Vor 6 Jahren berichtete ich bereits von neuen forensisch-genetischen Analysen, die J. Louhelainen an einem Schal, der vom Tatort eines der fünf Ripper-Morde, dem an Catherine Eddowes, stammen soll. Ich empfehle sehr die Lektüre jenes alten Artikel als Vorbereitung auf das hierin Folgende.
Kürzlich erschien im Journal of Forensic Sciences ein Artikel eben jenes J. Louhelainen, in dem er, wie wie ich vermute, die in meinem alten Blogartikel beschriebenen Analysen systematisch, um fehlende Informationen vervollständigt sowie um einige interessante Untersuchungen erweitert aufgeschrieben hat [1]. Insbesondere gibt es nun Antworten auf einige meiner Einschätzung nach offen gebliebene Fragen, die ich mir damals gestellt hatte:
„Fraglich ist und bleibt, […], warum kein NGS eingesetzt wurde, […], warum man nicht einmal versucht hat, STRs zu untersuchen (gerade Y-STRs wären interessant gewesen, um eine väterliche Linie des Rippers verfolgen zu können). Die methodischen Details wären ebenfalls noch offenzulegen und es fehlt die Information, welchen Teil des D-Loops man untersucht hat und wie häufig die ermittelten Haplotypen in der Bevölkerung sind.“
Die zunächst neutralen und eher als akademische Übung begonnenen, in ihrem Verlauf, wie Louhelainen selber schreibt [1], aber eher einen ermittlerischen Charakter annehmenden Untersuchungen konzentrierten sich auf die Prüfung der Frage, ob sich Evidenz für die Hypothese finden lasse, daß Aaron Kosminski, einer der möglichen Verdächtigen jener Zeit, Jack the Ripper gewesen sein könnte.
Louhelainens Artikel beginnt mit dem Brief eines Groß-Groß-Neffen des damaligen Polizisten Amos Simpson, in dessen Besitz besagter Schal angeblich übergegangen und dann bis zum Autor des Briefs weiter vererbt worden sei. Dies belege den Gewahrsamsverlauf bis zum Verkauf des Schals an Russell Edwards im Jahr 2007, der ihn dann Louhelainen zugänglich machte.
Und so sah der Schal aus: Er wurde in zwei Stücke zerschnitten und ein Teil fehlt, den eine Vorbesitzerin ausgeschnitten und entsorgt haben soll, weil Blut daran gehaftet habe. Es ist ein edler, teurer Seidenschal, der in der Mitte in einem Braunton und an den Enden blau gehalten und umseitig mit einem sogenannten „Michealmas-Gänseblümchen“-Muster verziert ist. Bei der Materialuntersuchung entdeckte Louhelainen, daß der blaue Farbstoff nicht wasserfest ist und eine spektrophotometrische Analyse ergab, daß zur Färbung wahrscheinlich Indigo-Pigment oder Indigo-Abkömmlinge verwendet worden waren.Eine UV/IR-Licht-Untersuchung und –photographie der gesamten Schaloberfläche ließ an folgenden Stellen Flecken, Antragungen o.ä. erkennen:
Die Entnahme der Proben für die genetische Analyse (hier geht es zur Serie zu forensischer DNA-Analyse zur Auffrischung) ist nun ausführlicher beschrieben: um Oberflächenkontaminationen früherer aber nicht tatbeteiligter Handhaber zu entfernen, wischte Louhelainen die Oberfläche an den Stellen, an denen Proben entnommen werden sollten, mit einem angefeuchteten und danach mit einem trockenen Wattetupfer ab. Dann erst „saugte“ er zelluläres Material, das sich noch im Inneren des Gewebes befand, mit einer speziellen Pipette heraus, da ihm das Zerschneiden und Beschädigen des Schals nicht gestattet war.Aus den dem Opfer zuzuordnenden, also von den blutverdächtigen Antragungen gesicherten Proben wurde mittels eines forensischen Spezial-Kits (Qiagen Investigator Kit) die DNA extrahiert. Außerdem wurden in die Analyse und wie im früheren Artikel bereits beschrieben noch Vergleichsproben von in mütterlicher Linie mit Opfer und potentiellem Täter (Kosminski) verwandten Personen sowie früheren Handhabern/Besitzern des Schals und des Laborpersonals mit einbezogen. Aus all diesen Proben wurden die HVI und HVII aus dem D-Loop der mitochondrialen DNA sequenziert.
Die Proben aus den spermaverdächtigen Antragungen wurden zunächst für eine mikroskopische Analyse aufbereitet. Unter dem Mikroskop wurden einzelne Zellen, die noch einen intakten Kern zu haben schienen, ausfindig gemacht und mittels LCM einzeln aus den Präparaten herausgeschnitten. Um die Chance für eine erfolgreiche genetische Analyse zu erhöhen, wurde dann die DNA der Einzelzellen mittels WGA (Repli-g, Qiagen) angereichert, der Erfolg der Anreicherung überprüft und dann erst erfolgte auch für diese Proben die Sequenzierung der mtDNA wie oben beschrieben.
Eine sehr interessante zusätzliche Analyse, die in diesem Artikel neu beschrieben wird, ist eine selbstgemachte FDP-Untersuchung, in die insgesamt 11 SNPs (z.B. in den Genen OCA2, MC1R und TUBB3) sowie ein SNP im Amelogenin-Locus zur Geschlechtsbestimmung einbezogen wurden. Louhelainen versprach sich davon offenbar einen Hinweis auf das Aussehen (Haut-, Augen- und Haarfarbe) des Täters bzw. des Spurenlegers. Die Konfiguration der FDP-SNPs wurde mittels quantitativer PCR (auch: Real Time PCR) abgefragt, leider sind die Primer-Sequenzen nicht aufgeführt, so daß man die Qualität der Primer nicht nachprüfen kann. Die Konfiguration des Amelogenin-SNP wurde stattdessen durch hochauflösende Schmelzkurvenanalyse ermittelt, hier waren auch die Primersequenzen angegeben.
Und wie sahen nun genau die Ergebnisse der mtDNA-Analyse aus? Zunächst einmal gab es Anzeichen, daß die alte DNA vom Schal schon stark degradiert, also fragmentiert war, was daran zu erkennen war, daß kaum eines der sequenzierten Fragmente länger als 100 bp war. Dennoch konnten die Sequenzen ausgewertet und mit der Referenzsequenz (RS) aligniert werden (zur Erklärung siehe hier). Aus, wie der Autor sagt, Datenschutzgründen, weil ja auch lebende Personen in die Analyse einbezogen waren, könne er aber nicht die uncodierten Daten der mtDNA-Sequenzierung preisgeben, stattdessen wird eine graphische Darstellung dieser Daten angeboten:
Man sieht sofort, daß Kontaminationen von Eigentümer und Laborpersonal in den Original-DNA-Proben ausgeschlossen sind, sowie daß die Opfer-DNA tatsächlich zu derjenigen der Verwandten von C. Eddowes paßt, was auf eine gemeinsame mütterliche Erblinie hindeuten kann. Zwischen Sperma-DNA und der Verwandten von Kominski hingegen gibt es Abweichungen an zwei Positionen, da die entsprechende Position laut Autor bei der Sperma-DNA nicht mit ausreichender Sicherheit bestimmt werden konnte. Eigentlich, wie Louhelainen auch selbst einräumt, ist eine Abweichung von der RS gem. den Vorgaben der SWGDAM in mehr als einer Position als Ausschluß einer gemeinsamen Herkunft zweier Proben zu werten. Es ist zwar nicht ganz klar, ob es wirklich zwei Sequenzunterschiede zwischen Sperma-DNA und Kominski-Erblinie gab oder ob wegen mangelnder Sequenzqualität das Ergebnis nicht sicher ist. Dennoch sollte hier eigentlich konservativerweise und vorbehaltlich weiterer Untersuchungen ein Ausschluß angenommen werden.Diesmal sind auch die aus der EMPOP-Datenbank abgefragten Frequenzen der ermittelten mtDNA-Haplotypen angegeben: 0,019 für den Sperma-DNA-Haplotypen und 0,0013 für den Opfer-DNA-Haplotypen. Beides nicht besonders selten, ersteren weisen 1,9 %, letzteren 0,13 % der europäischen Population auf. Daß beide gleichzeitig zufällig zusammen auftreten, habe, so der Autor, eine Wahrscheinlichkeit von 0,00025. Wenn man allerdings annimmt, daß das Blut wirklich von Eddowes stammt, dann kommen als Urheber der Spermaspur wieder knapp 2% aller Männer in Frage.
Bleiben noch die SNP-Untersuchungen: die selbstgebastelte FDP-Analyse, deren Validierung leider nicht beschrieben zu sein scheint, ergab, daß der Urheber der Sperma-Spur braune Augen und braune Haare gehabt haben soll, über die Hautfarbe, die ja angeblich mitgetestet worden sei, gibt es jedoch keine Auskunft. Der Amelogenin-SNP deutete überdies auf männliches Geschlecht hin. Ein braunhaariger, braunäugiger Mann entspreche auch einer der ganz wenigen aktenkundigen Täterbeschreibungen von Zeugen, so Louhelainen.
In der Diskussion versteigt sich Louhelainen dann glücklicherweise nicht zu der Folgerung, daß seine Untersuchungen zeigten, daß Kosminski tatsächlich Jack the Ripper gewesen sei oder auch nur, daß die Sperma-Spur von ihm oder das Blut von C. Eddowes stamme. Ich denke, er wußte, daß seine Daten das nicht hergeben. Er sagt lediglich, daß er ein paar interessante, teils neue Methoden zur Sicherung und Analyse alten, angegriffenen und kontaminationsgefährdeten Spurenmaterials vorgestellt habe und daß seine Erkenntnisse die These stützten, daß der Schal nicht C. Eddowes sondern dem Mörder gehört habe, da er nicht nur viel zu teuer war, als daß die arme Frau ihn sich hätte leisten können, sondern auch, weil die nicht wasserfeste Farbe darauf hinweist, daß er als über der übrigen Kleidung zu tragendes Alltagsaccessoire ungeeignet gewesen wäre.
Tja… was machen wir nun daraus? Ich stelle zunächst einmal fest, daß einige der zu Beginn genannten offenen Fragen nun geklärt sind. Andererseits bleibt die wichtige Frage offen, warum (immer noch) nicht die Analyse mittels NGS fortgesetzt worden ist. Damit ließen sich sehr wahrscheinlich auch die mtDNA-Daten verbessern, denn bisher sind die mtDNA-Ergebnisse sehr problematisch und legen bei vorsichtiger Interpretation eher den Ausschluß Kominsikis als Spurenleger nahe.
Warum Louhelainen bei der FDP-Analyse dann auf eine selbstgemachte SNP-Multiplex zurückgegriffen hat, statt die gut etablierte und validierte HIrisplex-Methode vom Erasmus-Medical Center [2] zu verwenden, das auch einen frei zugänglichen Auswertealgorithmus anbietet, erschließt sich mir nicht. So bleibt undurchsichtig, wie die SNP-Daten interpretiert wurden und wie groß die Fehlerwahrscheinlichkeit der gemachten Vorhersagen ist. Und was ist überhaupt aus der Hautfarbe geworden? Warum gibt es keine Angaben dazu, obwohl die SNPs dazu mitgetestet wurden?
Ob es, darüber hinaus, realistisch ist, daß wirklich Jack the Ripper beim Morden mit einem teuren, seidenen Frauenschal ‘rumgelaufen ist und so unvorsichtig war, ihn am Tatort zu hinterlassen, darf vermutlich bezweifelt werden. Auch daß er Sperma-Spuren darauf hinterlassen haben soll, paßt nicht zu seiner Vorgehensweise in den anderen Mordfällen, bei denen es sich eben nicht um „normale“ Sexualdelikte handelte. Und die Frage, warum eigentlich ein Polizist seine Streife verlassen und ein Beweisstück vom Tatort einer der berüchtigsten Mordserien Englands stehlen sollte, ist sicher auch zu stellen.
Mit meinen Kritik und Bedenken bin ich nicht allein. D. Rossmo hat bereits kurz nach Erscheinen des Artikels einen kritischen Kommentar geschrieben und im gleichen Journal veröffentlicht, in dem er auf weitere, nicht methodische sondern v.a. Ermittlungsergebnisse der damaligen Zeit betreffende Schwachpunkte von Louhelainens Arbeit eingeht und u.a. auch die Herkunft des Schals in Zweifel zieht [3].
Fazit: War also wirklich Aaron Kosminski Jack the Ripper? Wahrscheinlich nicht. Jedenfalls ist Louhelainens Arbeit nicht geeignet, diese Hypothese zu stützen. Wenigstens haben die Ripperologen nun immer noch ein Hobby 😉
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Nachtrag am 24.09.2024: Die Zeitschrift Journal of Forensic Science, in der Louhelainens Arbeit erschienen war, hat nun ein “Expression of Concern” veröffentlicht, d.h. die Zeitschrift meldet Zweifel an den Ergebnissen an und distanziert sich von der Arbeit (das ist eine Stufe vor “Retraction”, dem Zurückziehen eines Artikels). Vorausgegangen war dem ein Briefwechsel zwischen Kritikern von Louhelainens Arbeit (s. auch [3]) und ihm selbst, so daß das Journal schließlich um die Original-Daten bat, um die Sache unabhängig prüfen zu können. Diese, so Louhelainen, existierten nicht mehr, eine nachträgliche Prüfung könne also nicht mehr erfolgen.
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Referenzen:
[1] Louhelainen, J., & Miller, D. (2020). Forensic investigation of a shawl linked to the “Jack the Ripper” murders. Journal of forensic sciences, 65(1), 295-303.
[2] Chaitanya, L., Breslin, K., Zuñiga, S., Wirken, L., Pośpiech, E., Kukla-Bartoszek, M., … & Kayser, M. (2018). The HIrisPlex-S system for eye, hair and skin colour prediction from DNA: Introduction and forensic developmental validation. Forensic Science International: Genetics, 35, 123-135.
[3] Rossmo, D. K. (2020). Commentary on: Louhelainen J, Miller D. Forensic investigation of a shawl linked to the “Jack the Ripper” murders. J Forensic Sci https://doi. org/10.1111/1556-4029.14038. Epub 2019 Mar 12. Journal of Forensic Sciences, 65(1), 330-333-
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