In einer der letzten Ausgaben der großen, wichtigen Wissenschaftszeitschrift „Science“ erschien ein Editorial, das Sumaya al-Hassan, eine jordanische Bildungspolitikerin*, verfaßt hat, in dem sie behauptet, der Hauptgrund für ungleiche Bildungs- und Karrierechancen arabischer Frauen sei nicht die Religion sondern die Wirtschaftslage und ein Mangel an Gelegenheiten.
Problematisch ist hier natürlich zunächst al-Hassans Begriff „arabische Frauen“. Wer soll damit bezeichnet werden? Allgemein alle Frauen aus der arabischen Welt? Die ist zwar groß und viele Staaten lassen sich dazu zählen, welche genau, ist abhängig von der jeweils angelegten Definition, aber der Tschad (60% Moslems) und Malaysia (60% Moslems), die al-Hassan ausdrücklich als schlechte bzw. gute Beispiele für Bildungschancen von arabischen Frauen nennt, gehören auch mit viel Phantasie nicht dazu. Meint sie vielleicht eigentlich „islamische Frauen“? Gehen wir einmal davon aus.
Jedenfalls schreibt sie:
“Religion and culture are not the strongest determinants of Arab nations’ approaches to women’s education—systems and resources are. Choosing to see religion or ethnicity over economics and prosperity is both careless and damaging”
„Religion und Kultur sind nicht die stärksten Determinanten dafür, wie arabische Nationen mit der Bildung von Frauen umgehen, sondern Systeme und Ressourcen. Sich dafür zu entscheiden, Religion oder Ethnizität für bedeutender als Wirtschaft und Wohlstand zu halten, ist sowohl fahrlässig als auch schädlich“ (Ü: CC)
und weiter
„There is no religious bar to education for women in my faith, Islam. Indeed, according to religious doctrine,the acquisition of knowledge is binding on all Muslims, regardless of gender”
“Es gibt keine religiös begründete Einschränkung der Bildung für Frauen in meinem Glauben, dem Islam. In der Tat, entsprechend der religiösen Lehre sind alle Moslems zum Erwerb von Wissen verpflichtet, unabhängig von Geschlecht“ (Ü: CC)
Eine Quellenangabe für diese Behauptung bleibt sie schuldig und soweit ich weiß sind da Boko Haram, die Taliban und Konsorten die sich in ihren Ideologien unstrittig auf den Islam berufen und ihre eigenen Theologen und „Gelehrten“ haben, auf die sie sich dabei stützen, auch durchaus anderer Meinung bzw. kommen zu einer ganz anderen Auslegung des Korans. Man frage etwa Malala Yousafzai einmal nach den Folgen.
Natürlich läuft das alles wieder auf die Frage hinaus, welche Lesart des Islam richtig und welche falsch ist und wer das zu bestimmen hat, aber so zu tun, als spiele der Islam, dessen verheerendes Frauenbild [1] und die davon durchtränkten arabischen patriarchalischen Kulturen keine bzw. nur eine untergeordnete Rolle bei der Erklärung der Tatsache [2-5], daß Frauen in Ländern mit islamischer Mehrheit neben kaum Rechten auch geringere Bildungsniveaus haben (auch bei Korrektur für strukturelle Faktoren wie wirtschaftliche Entwicklung und Demokratie) ist, was wirklich als „fahrlässig“ und „schädlich“ zu bezeichnen wäre.
Zudem ist in Betracht zu ziehen, ob es nicht gerade ein reaktionärer, fundamentalistisch und regressiv ausgelegter Islam ist, der die Entstehung einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft und dem daraus emergierenden Wohlstand, die nach al-Hassan die Bildungschancen von Frauen verbessern würden, verhindert. (Ausnahmen hiervon sind Länder mit zwar reaktionärem Islam, wo aber das Geld in Form von Öl direkt aus dem Boden fließt und Wohlstand schlechterdings unvermeidlich aber eben auch fest an den Rohstoff gebunden scheint und wohl mit ihm versiegen wird, mithin kontingent ist.)
Immerhin räumt sie ein:
“Of course, highlighting this heritage of education must not disguise the cultural impact of patriarchy in some societies that are predominantly Muslim, but it is a way to put that in its proper place—that is, patriarchy is neither unique to the Arab world nor intrinsic to its predominant religious tradition.”
„Natürlich darf das Hervorheben dieser Bildungsherkunft nicht die kulturelle Auswirkung des Patriarchats in einigen Gesellschaften verhehlen, die überwiegend moslemisch sind, aber man sollte das richtig darstellen, d.h. das patriarchalische System ist weder einzigartig in der arabischen Welt noch in der vorherrschenden religiösen Tradition intrinsisch.“ (Ü: CC)
Es stimmt natürlich, daß alle großen monotheistischen Religionen frauenfeindlich sind und patriarchalische Herrschaftssysteme fördern und bedingen können und wollen und es auch tun, wenn man sie läßt. Der Unterschied ist, daß in westlichen, christlich (mit)geprägten Ländern die patriarchalische Kultur und ihre negative Auswirkung auf die Bildung von Frauen inzwischen im gleichen Maße verdrängt oder wenigstens sublimiert wurde, in dem auch der Einfluß der (christlichen) Religion verringert und die Rechte der Frauen gestärkt wurden, gegen den erbitterten Widerstand jener, versteht sich (und es ist noch Luft nach oben).
Al-Hassan, die auf dem islamischen Auge blind oder doch jedenfalls fehlsichtig ist, scheint nicht wahrhaben zu wollen, daß die patriarchalische Kultur, der Hemmschuh für die Egalisierung der Bildungschancen für Frauen und zugleich freilich direkter Ausfluß der islamischen Religion und deren politischer Hegemonie in der arabischen Welt ist. So wie sie es in der westlichen Welt unter dem Joch des Christentums auch war. Vor gar nicht so langer Zeit übrigens.
Dazu paßt, daß al-Hassan ausgerechnet ihr eigenes Land, Jordanien, hervorhebt, indem sie scheinbar beeindruckende Entwicklungen im Bereich der Frauenbildung herausstellt. Mit gerade einmal 10 Mio. Einwohnern (ca. 2% der arabischen Welt) dürfte Jordanien daher schwerlich als repräsentativ anzusehen sein. Pikant ist hier zudem, daß al-Hassan einem Herrscherhaus angehört, unter dessen Ägide das Land eine miserable Position in der Rangliste der Pressefreiheit innehat (138 von 180). Man fragt sich also, ob es auch unabhängige Berichte aus Jordanien geben kann…
Sie schließt mit folgender Analyse:
“If we truly want to help Arab women scientists to thrive, then both Arab governments and the global science community must invest in improving career prospects in Arab countries.“
“Wenn wir wirklich den arabischen Wissenschaftlerinnen helfen wollen, zu prosperieren, dann müssen sowohl arabische Regierungen wie auch die Weltwissenschaftsgemeinschaft in die Verbesserung der Karrierechancen in den arabischen Ländern investieren.“(Ü: CC)
Aha, man muß also nur arabische Regierungen erstens davon überzeugen, daß frei und unabhängig denkende, arbeitende und in der Welt umherreisende Frauen, die zugleich Wissenschaftlerinnen sind, etwas Erstrebens- und Fördernswertes sei und zweitens, die Einmischung der „Weltwissenschaftsgemeinschaft“ in ihren Ländern zur Verbesserung der Karrierechancen von WissenschaftlerInnen, am liebsten sicher EvolutionsbiologInnen u.ä. zu gestatten. Wie das passieren soll, ohne einen kulturellen Wandel, dem in allererster Linie die in der arabischen Welt übliche (ultra)konservative Auslegung des Islam im Wege steht, bleibt wohl das Geheimnis von Frau al-Hassan. Und es bleibt das Geheimnis von Science, warum sie so ein Editorial veröffentlichen :/
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*Besonders übel aufgestoßen ist mir hier, daß al-Hassan in einer Seitenleiste unter ihrem Portraitbild untertänigst und anbiederisch als „Her Royal Highness“ (dt.: Ihre königliche Hoheit) tituliert wurde. In einer internationalen und hoch renommierten Wissenschaftszeitschrift! Dabei ist „Adel“ ein völlig absurdes, antiemanzipatorisches, antidemokratisches und inzwischen obsoletes Konzept und gerade WissenschaftlerInnen wird man mit solchen Titeln ganz sicher nicht beeindrucken.Ich finde es regelrecht unappetitlich, aus falschem Respekt vor den Gepflogenheiten ihres Herkunftslands diesen Titel zu verwenden. Man wird auch Kim Jong-Un nicht als „großen Führer“ und Peter Fitzek nicht als „König von Deutschland“ bezeichnen, nur weil das in Nordkorea so üblich und dort gerne gesehen wird bzw. weil Fitzek eben findet, er sei König. Im Falle al-Hassans wird zudem mit dieser für den Rest der Welt vollkommen unerheblichen Angabe ja nur die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Abstammungslinie indiziert, deren Mitglieder sich aus historischen Gründen als über anderen stehend wähnen, hingegen keinerlei Fachkunde oder sonstige für das Verfassen eines solchen Editorials in Science qualifizierende Eigenschaft angezeigt. Dabei hat al-Hassan ja durchaus ihre (echten) Verdienste und derlei Speichelleckerei daher gar nicht nötig. – no gods. no kings.
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Referenzen
[1] „Ich klage an: Plädoyer für die Befreiung der moslemischen Frauen” von AyaanHirsi Ali (Piper Verlag)
[2] Cooray, Arusha and NiklasPotrafke. 2011. “Gender inequality in education: Political institutions or culture and religion?,” European Journal of Political Economy 27: 268–280.
[3] Feldmann, Horst. 2016. “Which religions still affect schooling? A study of 143 countries,” Cmparative Sociology 15: 439–484
[4] Norton, Seth W. and Annette Tomal. 2009. “Religion and female educational attainment,” Journal of Money, Credit and Banking 41(5): 961–986.
[5] Østby, Gudrun, Henrik Urdal, and Ida Rudolfsen. 2016. “What Is driving gender equality in secondary education? Evidence from 57 developing countries, 1970–2010,” Education Research International 2016. https://doi.org/10.1155/2016/4587194.
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