Vor ungefähr 10 Jahren kamen mein damaliger Kollege, der Rechtsmediziner und Experte für Wundballistik, Christian Schyma (heute an der Rechtsmedizin Bern) und ich, damals noch ein ziemlicher Noob in forensischer Genetik, auf die Idee, nachdem Christian mir vom Phänomen „Backspatter“ erzählt hatte, doch einmal im Inneren von Schußwaffen, mit denen ein aufgesetzter Schuß auf ein ballistisches Modell, das mit menschlichem Blut bestückt war, abgegeben worden war, nachzusehen und zu prüfen, ob sich darin Backspatter finden, herausholen und forensisch-molekularbiologisch untersuchen lassen würde. (Daß wir in Bonn die ersten Schritte für dieses damals noch zu begründende und zu benennende Feld taten, fiel übrigens zeitlich in etwa mit meinem ersten Artikel in diesem Blog zusammen.)
Wir bastelten also ballistische Modelle, schossen drauf und rieben das Innere der Waffen ab. In meinem Labor untersuchten wir dann die Watteträger, extrahierten daran haftende DNA und erstellen STR-Profile. Und tatsächlich: es klappte. Mehrfach. Reproduzierbar. Sogar nach Nachschüssen! Wir schrieben es auf und probierten es dann mit Proben aus Waffen, mit denen wirklich auf Menschen (meist von diesen selbst auf sich) geschossen worden war. Es klappte wieder, sogar noch besser und auch das schrieben wir auf. Wir waren nun so überzeugt von unseren Entdeckungen, dass wir davon auf Polizeifortbildungen erzählten und kurz danach hatten wir auch schon die Gelegenheit, unsere Methode bei den Ermittlungen zu einem echten, familiären Mehrfachmord einzusetzen – mit Erfolg, auch davon gibt es einen Bericht.
Jetzt waren wir an einem Punkt, da wir beschlossen, dass dieses Forschungsfeld mehr Aufmerksamkeit und mehr Erforschung verdiente: wir schrieben einen Antrag an die DFG und parallel den Schweizer Nationalfonds, weil Christian Schyma gerade nach Bern gewechselt war, erhielten tatsächlich die Förderung für „Absoluter Nahschuß – Vom Schuß zur Spur“ (damals dachten wir noch, dass Backspatter nur bei absoluten Nahschüssen in die Waffe gelangen kann) und legten damit den Grundstein für die erfolgreiche Entwicklung des Forschungsfelds der „Molekularen Ballistik“.
Seit dem sind nun 10 Jahre vergangen und die Molekulare Ballistik ist ein gutes Stück weiter gekommen. Z.B. wissen wir inzwischen, wie weit Backspatter eigentlich fliegen kann [1,2]) Mein Doktorand und ich haben uns deshalb Ende letzten Jahres hingesetzt, um einen Jubiläumsartikel zu schreiben, der kürzlich vom International Journal of Legal Medicine veröffentlicht wurde [3, hier als open access].
Wir beginnen mit der Definition der molekularen Ballistik und verorten sie in der Schnittmenge von forensischer Ballistik (einsch. Wundballistik), forensischer Molekularbiologie und von Spurensicherung und –kunde:
Im Zentrum des Interesses der molekularen Ballistik steht der Backspatter, dessen Entstehung wir inzwischen auch photographisch dokumentieren konnten:
Backspatter aber auch Forward-Spatter entstehen in Folge der Interaktion eines Feuerwaffenprojektils mit hoher Geschwindigkeit und einem biologischen Körper. Daraus entsteht ein komplexes Gesamtspurenbild mit Spuren von Backspatter auf/an/in der Waffe, dem Schützen und dessen Umgebung sowie Forward-Spatter in der Richtung des Schusses, falls das Projektil das Ziel durchschlagen hat.
Diese Spuren zu sichern und zu analysieren und uns dadurch in die Lage zu versetzen, das Gesamtspurenbild auf Grundlage physikalischer Evidenz zu interpretieren und damit zur objektiven Rekonstruktion des Tathergangs beizutragen, ist der Zweck der molekularen Ballistik.
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