Am 28.02. hatte ich berichtet, daß die Charité die Abteilung für Forensische Genetik am Institut für Rechtsmedizin schließen will und zwar aus Kostengründen. Dagegen gibt es inzwischen aus verschiedenen Richtungen massive Kritik und Proteste.  Nun hat auch die deutschsprachige Arbeitsgruppe der ISFG  einen offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister und Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Charité geschickt, um gegen die unmittelbar bevorstehende Schließung der Abteilung für Forensische Genetik am Institut für Rechtsmedizin der Charité zu protestieren. Den Brief haben neben deutschen auch namhafte Wissenschaftler aus anderen Ländern unterzeichnet. Ich zitiere ihn hier im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, Senator und Aufsichtsratsvorsitzender Müller,

Im Jahr 1985 erschien in der höchst-renommierten Wissenschaftszeitschrift NATURE der erste Fachartikel der Autoren Sir Alec Jeffreys und Peter Gill über den sogenannten genetischen Fingerabdruck, das revolutionäre molekular-genetische Verfahren zur individualen Identifizierung von Personen ausgehend von humanbiologischen Tatortspuren im Strafprozess. Seitdem ist die praktische Anwendung des genetischen Fingerabdrucks nach einigen Verbesserungen zu einem leistungsfähigen Beweismittel in weltweit ungezählten Strafverfahren zur Aufklärung von Kapitalverbrechen und zur Überführung der Straftäter, viel häufiger aber zum Ausschluss zu Unrecht Beschuldigter, geworden. Ebenso bedeutsam ist dessen Anwendung zur Identifizierung lebender und insbesondere toter vermisster Personen z.B. nach Kriegshandlungen, Völkermord, Naturkatastrophen und Massenunfällen.

Bereits zwei Jahre später gründete 1987 der weltweit angesehene Direktor des Institutes für Gerichtliche Medizin der Berliner CharitéProf. Dr. med. Dr. h.c. mult. Otto Prokop eine der ersten forensisch-genetischen Abteilungen in Deutschland, damals in der DDR, die unter ihrem Leiter Dr. Lutz Roewer rasch internationales Ansehen gewann. Lutz Roewer erhielt für seine wissenschaftlichen Erfolge auf dem Gebiet der forensischen DNA-Analyse 1990 und 1998 den Preis der Gesellschaft für Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (DGRM) und 1999 den Wissenschaftspreis der International Society for Forensic Genetics (ISFG). 1990 nach der deutschen Wiedervereinigung wurde das Institut für Gerichtliche Medizin Berliner Charité mit seiner Abt. für Forensische Genetik gründlich evaluiert und wegen ihres internationalen Ansehens und der politischen Nichtbetroffenheit aus DDR-Zeit in die neue Rechtsform der Charité übernommen. Seither führte die Abteilung mehrere Forschungsprojekte finanziert von der Europäischen Kommission und der Deutschen Forschungsgemeinschaft erfolgreich durch und schloss zehntausende von Spurenuntersuchungen für die Berliner Polizei und andere Auftraggeber erfolgreich ab. Ebenso erfolgreich wurde durch die Abteilung über viele Jahre hinweg die Transplantationsmedizin der Berliner Charité mittels molekulargenetischer Diagnostik unterstützt.

Diese Abteilung, sehr geehrter Herr Reg. Bürgermeister Müller, auf die das Land Berlin und ganz Deutschland stolz sein können, soll nun plötzlich geschlossen werden. Als Gründe für die bevorstehende Schließung werden der Verlust von Untersuchungsaufträgen der Berliner Polizei zur forensischen Spurenanalytik als Folge eines wettbewerbsrechtlichen Verfahrens und eine sich daraus ergebende „Unwirtschaftlichkeit“ der Abteilung, welche zum Institut für Rechtsmedizin der Charité gehört, angeführt.

Wie immer die Stellungnahmen der unmittelbar betroffenen Einrichtungen der Strafverfolgung –Polizeipräsident für das Landeskriminalamt, Generalstaatsanwaltschaft, Präsident des Landgerichts Berlin u.a. ausfallen, die den plötzlichen Ausfall der einzigen universitären, und damit unabhängigen Einrichtung für die kriminalistische Untersuchung biologischer Spuren in Berlin betreffen –geht es den Unterzeichnern vorrangig um die Erhaltung der DNA-Expertise im Fach Forensische Genetik innerhalb der Rechtsmedizin. Wir Unterzeichner haben von 1985 bis heute die wissenschaftlichen und technischen Voraussetzungen der heutigen DNA-Spurenuntersuchungen geschaffen, die seitdem in zahllosen Strafverfahren bis hin zu den sog. „cold cases“ zur Wahrheitsfindung entscheidend beigetragen haben, bzw. deren weitere wissenschaftliche und technischen Weiterentwicklung maßgeblich vorangetrieben.

Die Unterzeichner, sämtlich weltweit führende DNA-Fingerprint-Forscher der ersten und zweiten Generation, protestieren nachdrücklich gegen eine Schließung der international anerkannten Abteilung für Forensische Genetik der Berliner Charité und geben zusätzlich Folgendes zu bedenken:

Die Abteilung für Forensische Genetik der Berliner Charité ist, wie jedes forensisch-genetische Labor anderer universitärerrechtsmedizinischer Institute keine kommerziell ausgerichtete Institution, sondern folgt dem universitätsmedizinischen Auftrag von Forschung, Lehre und Patientenversorgung (hier DNA-Spurenuntersuchung für Polizei und Staatsanwaltschaft zur Einhaltung hoheitlicher Aufgaben im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Gewährleistung von Rechtstaatlichkeit). Darüber hinaus ist die Abteilung für Forensische Genetik der Berliner Charité kein beliebiges „DNA-Routine Labor“, sondern steht an der Weltspitze forensisch-genetischen Forschung. Zum Beispiel wurde durch die Abteilung über eine großangelegte internationale Vernetzung die größte Y-chromosomale Haplotypen-Referenzdatenbank der Welt aufgebaut mit mehr als 300.000 Datensätzen. Diese öffentlich zugängliche Referenzdatenbank dient Kriminalisten aus der ganzen Welt zur Schätzung der Häufigkeit und somit des Beweiswertes Y-chromosomaler Merkmale, insbesondere bei schweren Straftaten wie Gewaltdelikten und in Fällen sexuellen Missbrauchs. Auch möchten wir die akademische Lehre die durch die Abteilung geleistet wird hervorheben, die über viele Jahre zu einer Aus-und Weiterbildung von Studierenden der Medizin, Rechtswissenschaft und Kriminalistik/Polizei auf hohem wissenschaftlichem und didaktischem Niveaubeigetragen hat.

Diese derart wichtige und erfolgreiche Abteilung der Berliner Charité soll nun aus rein wirtschaftlichen Gründen ohne Verhandlungsspielraum mit sofortiger Wirkung geschlossen werden. Das nationale und internationale Ansehen Berlins, der Hauptstadt Deutschlands, lebt auch von den Erfolgen ihrer Forschungseinrichtungen und würde durch diese Schließung schwer beschädigt. Inwieweit das Landeskriminalamt Berlin in Zukunft ihren Dienstaufgaben zur DNA-Spurenuntersuchungen ohne die bisherige tatkräftige Unterstützung der Abteilung Forensische Genetik der Berliner Charité erfolgreich nachkommen kann, ist offen.

Zum Schluss bekunden wir unsere Zuversicht, dass es der Charité –Universitätsmedizin Berlin und der Berliner Senatsverwaltung gelingen möge, für die Abt. der Forensischen Genetik ein tragfähiges Konzept für deren international hochangesehene und gesellschaftlich hochrelevante forensische Forschung, Lehre und Serviceaufgaben dauerhaft zu finden.

Mit freundlichen Grüßen

Die Unterzeichner:

Univ.-Prof.(em.) Dr.med. Dr.h.c.mult. Bernd Brinkmann, ehem. Direktor des Institutes für Rechtsmedizin der Universität Münster i.W.

Univ.-Prof.(em.) Dr.med. Gunther Geserick, ehem. Direktor des Institutes für Rechtsmedizin der Charité Berlin

Univ.-Prof.(em.) Dr.med. Christian Rittner, ehem. Leiter des Institutes für Rechtsmedizin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Professor Peter D. Gill, Forensic Genetics Research Group, Department of Forensic Sciences, Oslo University Hospital, Norway; Department ofClinical Medicine, University of Oslo, Norway

Professor Peter de Knijff, Head of the Forensic Laboratory for DNA Research, Department of Human Genetics, Leiden University Medical Center, Leiden, the Netherlands

Professor Manfred Kayser, Head of the Department of Genetic Identification, Erasmus MC University Medical Center Rotterdam, Rotterdam, the Netherlands

Professor Niels Morling, former Director of the Institute of Forensic Medicine, University of Copenhagen, Denmark

Professor Angel Carracedo, Forensic Genetics Unit, Institute of Forensic Sciences, University of Santiago de Compostela, Santiago de Compostela, Spain

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Kommentare (3)

  1. #1 Ludger
    04/03/2021

    Sind die Kostengründe eventuell nur vorgeschoben und in Wirklichkeit ist es eine Maßnahme, die die forensische DNA-Phänotypisierung treffen soll?

  2. #2 noch'n Flo
    Schoggiland
    04/03/2021

    Es ist doch allgemein bekannt – Berlin ist “arm, aber sexy”. Daher muss jetzt Geld gespart werden, damit die Post-Wowi-Partygeneration auch nach Corona noch Clubs vorfinden kann.

  3. #3 Peter Schneider
    Köln
    04/03/2021

    @Ludger – zu den Gründen siehe Text:

    “Als Gründe für die bevorstehende Schließung werden der Verlust von Untersuchungsaufträgen der Berliner Polizei zur forensischen Spurenanalytik als Folge eines wettbewerbsrechtlichen Verfahrens und eine sich daraus ergebende „Unwirtschaftlichkeit“ der Abteilung, welche zum Institut für Rechtsmedizin der Charité gehört, angeführt.”

    Fakt ist, dass Untersuchungsaufträge auch unabhängig von einem Werkvertrag mit dem LKA möglich sind, und dass sich aus den in den letzten 10 Jahren durchgeführten DNA-Spurenuntersuchungen zahlreiche Anschlussaufträge ergeben werden, die vor allem für die Justiz von großer Bedeutung sind. Wird das Labor geschlossen, ist niemand für diese Anschlussuntersuchungen verfügbar, obwohl die Verantwortung für die Aufrechterhaltung dieser Dienstleistung eindeutig bei der Charité liegt.