Endlich wieder auf eine Tagung! Live, ohne Monitor, mit Händeschütteln und Umarmungen, zusammen essen und echtem Austausch!
Dieses imaginäre Aufatmen wenn nicht – seufzen habe ich überall auf dem „21st European Forensic DNA Group Meeting“, das dankenswerterweise und „against all odds“ von der Firma Promega organisiert wurde, wahrgenommen, auch an mir selber. Zugegen waren wieder Kollegen aus vielen europäischen Ländern, selbst ein paar britische Ex-Europäer waren dabei 😉 Auch meine letzte Tagung mit körperlicher Anwesenheit ist tatsächlich fast zwei Jahre her.
Der Tagungsort hätte nicht besser zu diesem Neubeginn passen können, denn wir waren in Nizza an der Côte d’Azur in Südfrankreich, direkt am Meer, wo es auch im November gerne noch warm, hell und sonnig ist. Das Ganze fand mitten in der Altstadt im schönen, altehrwürdigen Hotel Aston La Scala statt, wo man beim Essen einen sensationellen Ausblick hatte (s.o.). An einem Abend gab es zudem eine interessante Stadtführung, bei der man Nizza auch erschmecken konnte, denn wir bekamen an verschiedenen Orten u.a. exotische Eissorten (ich hatte Lavendel), Olivenpaste und -öl, Socca und so eine Art Zwiebelkuchen zu verkosten.
Doch bei aller Wiedersehens- und Endlichmalausdemhauskommensfreude gab es natürlich auch ein gehaltvolles wissenschaftliches Programm in Form von Vorträgen und einer Auswahl von Postern:
Den Anfang machte Walther Parson, der auf mtDNA spezialisiert ist, mit einem eindrucksvollen, aber auch erschütternden Vortrag, denn er berichtete von der Untersuchung der Überreste des ehemaligen Vernichtungslagers der Nazis in Sobibor, an der verschiedene Fachleute, darunter Anthropologen und auch forensische Genetiker beteiligt waren. Die Arbeiten dort hatten im Jahr 2000 begonnen, 2013 hatte man die Reste der Gaskammern gefunden aber auch 10 unerwartete intakte Skelette entdeckt. Man hatte zuerst angenommen, daß es sich bei diesen um die Überreste polnische Partisanen, die sich gegen das Sowjetregime gestellt hatten, gehandelt hatte, weil Aussagen ehemalige Insassen des Camps zufolge die Opfer der Nazis kremiert worden waren. DNA aus den Knochen wurde dann u.a. im Labor von W. Parson in Innsbruck analysiert und die mitochondriale aber auch y-chromosomale DNA-Analyse ergab, daß die Überreste entgegen der vorigen Annahmen wahrscheinlich von aschkenasischen Juden und damit Opfern der Nazis stammte.
Damit gelang der erste forensisch-genetischer Beweis für Holocaust-Verbrechen in Ostpolen [1]. Die Überreste wurden, jüdischer Tradition folgend, in Anwesenheit eines Rabbiners an ihrem Fundort neu bestattet.
Aber auch Lutz Roewer, der Experte für den anderen forensisch bedeutenden haploiden Marker, das Y-Chromosom, ist und den ich im Zusammenhang mit der Schließung an der Charité schon erwähnt hatte, hielt einen Vortrag. Er erläuterte verschiedene Herangehensweisen bei der Interpretation y-chromosomaler STR-Befunde – das wird in verschiedenen Ländern nämlich durchaus unterschiedlich gehandhabt:
(für Deutschland wird das hier empfohlen)
Es hat aber wohl niemanden gewundert, daß Lutz zum Schluß auch noch auf die Querelen um seine YHR-Datenbank, die es am Ende bis in Science geschafft hatten, zu sprechen kam. Wen Details dazu interessieren, mag auch hier noch einmal nachlesen.
Ein Vortrag, der mich besonders interessierte, kam von B. Bekaert aus Leuven und befasste sich mit der forensischen Analyse des Thanatotranskriptoms (RNA-Population, die aus Transkriptionsaktivität nach dem Tod des Organismus entsteht) und der Möglichkeit, aus der differentiellen, post-mortalen Genexpression mittels geeigneter Algorithmen das post-mortem-Intervall zu berechnen.
Das klappte schon ganz ordentlich,
aber Bekaert wies zurecht darauf hin, daß die Anzahl der Probanden (7) noch sehr begrenzt und zudem in einem eher hohen Altersbereich angesiedelt war und daß auch die erfassten PMI-Werte nicht sehr unterschiedlich waren. Dennoch ist der Ansatz hoch interessant und m.E. wert, weiter verfolgt zu werden. Ich habe ja schon öfters erzählt, wie spannend ich grundsätzlich die Möglichkeit des Einsatzes der forensischen RNA-Analyse bei der Rekonstruktion zeitlicher Aspekte einer Tat finde und besonders den Einsatz post-mortaler Transkription zu diesem Zweck finde ich faszinierend. Übrigens – in diesem Zusammenhang: auch unsere RNAgE-Gruppe (ich bin Kooperationspartner eines EU-geförderten Projekts zur „RNA-basierten molekularen Alterseingrenzung von Spurenverursachern“) hat in Nizza erste, noch unpublizierte Ergebnisse unserer Arbeit vorgestellt – hier ist unser Poster:
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