Die Vertreter der Universitären Forensischen Genetik (UFG), einem Zusammenschluss von DNA-Laboren der universitären rechtsmedizinischen Institute, erbringen essentielle Leistungen v. a. für Justiz und Polizei, wie z.B. die Untersuchung von biologischen Tatortspuren und die Bestimmung von Verwandtschaftsverhältnissen. Vor allem ist die UFG maßgeblich für die Erforschung, Entwicklung und Anwendung neuer Methoden in der Fallarbeit verantwortlich sowie der akademischen Lehre an medizinischen, natur- und rechtswissenschaftlichen Fakultäten verpflichtet. Aber auch die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses (Bachelor- und Masterstudierende, Promovierende) und die Fort- und Weiterbildung der zukünftigen Dienstleister in der Forensischen Genetik, der (rechtsmedizinischen) Fachärztinnen und Fachärzte sowie von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten sind Kernaufgaben der UFG. Die universitäre Anbindung des Faches gewährleistet, dass neueste Erkenntnisse aus Forschung und Wissenschaft unmittelbar für die Beurteilung rechtlicher Sachverhalte nutzbar werden, und dass das Fach unparteiisch von Polizei und Justiz agieren kann. Somit hat die forensische Genetik einen umfassenden gesellschafts- und damit demokratierelevanten Auftrag: sie leistet unverzichtbare Beiträge zur Gewährleistung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden sowie zu einer funktionierenden Rechtspflege und trägt somit in besonderem Maße zum Schutz der Grundrechte der Bürger bei.
Obwohl die Strafverfolgung und Rechtsprechung in Deutschland eine hoheitliche Aufgabe darstellen, ist die Existenz der universitären forensisch-genetischen Labore nicht gesichert. Dies gipfelte jüngst in der geplanten Schließung des renommierten forensischen DNA-Labors des Instituts für Rechtsmedizin an der Berliner Charité, welche nur nach massiver Intervention aus Wissenschaft und Politik zu einer Schrumpfung und letztlich teilweisen Privatisierung des Labors abgewendet werden konnte.
Der Erhalt und die Erfüllung der vielfältigen Aufgaben der universitären Abteilungen für forensische Genetik ist an vielen Standorten zumindest mittelbar von der Zuweisung von Untersuchungsaufträgen durch Ermittlungsbehörden abhängig. Die Anwendung von EU-weiten Vergabeverfahren auf forensisch-genetische Analysen hat eine zentrale kostenbetonte Ausschreibung von sog. „Spurenpaketen“ zur Folge. Da die UFG als öffentliche Forschungseinrichtungen im privatwirtschaftlichen Wettbewerb nicht konkurrieren können, resultiert daraus zunehmend eine Beauftragung preisgünstigerer Privatlabore.
Neben hochwertigen Dienstleistungen garantieren die universitären forensisch-genetischen Labore wissenschaftliche Forschung und technologische (Weiter-)Entwicklung neuer und bestehender Methoden. Dabei bieten sie häufig auch komplexe und kaum automatisierbare Untersuchungsverfahren an, deren Implementierung sehr aufwendig ist, die jedoch entscheidend für Ermittlungen und die Aufklärung schwerster Straftaten sein können. Hierunter fallen spezielle Verfahren, deren Bereitstellung für ein Hochdurchsatzlabor in der Regel keinen finanziellen Anreiz bieten, wie z.B. die forensische DNA-Phänotypisierung[1], molekularbiologische Altersschätzung[2] (gem. §81 e Abs. 2 StPO), forensische RNA-Analyse[3] sowie Untersuchungen zum indirekten DNA-Transfer[4].
Sowohl die anwendungsbezogene Forschung, als auch die an der Berufsrealität ausgerichtete wissenschaftliche Aus-, Fort- und Weiterbildung beziehen ihre Anregungen und Orientierung aus den konkreten Fragestellungen des Rechtslebens und bedürfen zur Durchführung eines ausreichend großen und repräsentativen Untersuchungsumfangs an fallbezogenen Laboranalysen und Begutachtungen.
Die derzeitige Entwicklung führt zu einer Monopolisierung von DNA-Analysen in privater Hand und zu einem Herabwirtschaften der universitären Infrastruktur mit weitreichenden Folgen. So würde die wettbewerbsinduzierte Ausgrenzung der UFG-Labore von der Auftragsvergabe mittelfristig zu einem Stillstand in Forschung und Entwicklung, einem Mangel in der Lehre und in der Ausbildung von Nachwuchskräften und zu einem massiven Innovationsrückgang führen. Dies würde schlussendlich in reduzierten Möglichkeiten bei der Aufklärung von Straftaten und auf lange Sicht in einer Gefährdung der Rechtssicherheit münden. Ein konkretes Beispiel ist die unsichere Zukunft der wissenschaftlichen Y-Chromosom-Haplotyp-Referenzdatenbank (YHRD; https://yhrd.org), welche seit 2001 vom rechtsmedizinischen DNA-Labor der Berliner Charité kuratiert wurde. Diese einzigartige, kostenlos verfügbare Datenbank wird von den meisten Institutionen weltweit, die mit DNA-Merkmalen auf dem Y-Chromosom (z. B. Y-STR[5], Y-SNP[6]) arbeiten, genutzt, um eine zuverlässige Häufigkeitsschätzung für eine konkret nachweisbare Merkmalskombination zu ermöglichen. Nur auf einer solchen Basis können Sachverständige überhaupt eine wissenschaftlich begründete Aussage zum “Beweiswert” einer Spur-Person-Übereinstimmung für Polizei und Justiz liefern.
Wir, die Vertreter der Universitären Forensischen Genetik, möchten öffentlich auf diese besorgniserregende Situation aufmerksam machen. Ein weiterer Abbau bzw. Rückbau der rechtsmedizinischen Institute und universitären DNA-Labore muss im Sinne der Gewährleistung von Forschung, Ausbildung und Lehre, akademischen Kompetenzerhalt, sowie der Entwicklung neuer Technologien unbedingt verhindert werden. Die Lösungsansätze liegen auf der Hand: eine gesetzlich geregelte Bestandssicherung universitärer Abteilungen für Forensische Genetik sowie eine Änderung der Ausschreibungspraxis unter Einbezug von Wissenschaft und Forschung als Zuschlagskriterien und/oder eine Mindestanzahl von Laboruntersuchungen als garantierte Grundauslastung für die universitär angesiedelte Forensische Genetik.
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