rilke

Rilke – Ausschnitt aus Gemälde von Leonid Ossipowitsch Pasternak

Übermorgen stirbt das Jahr 2022 aber heute vor 96 Jahren starb Rainer Maria Rilke.
Für mich der größte Lyriker deutscher Sprache (dessen Nachlass kürzlich vom Marbacher Literaturarchiv erworben wurde und bald der Öffentlichkeit zugänglich sein wird :)) )

XII. Sonett

Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert,
drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt;
jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert,
liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt.

Was sich ins Bleiben verschließt, schon ists das Erstarrte;
wähnt es sich sicher im Schutz des unscheinbaren Grau’s?
Warte, ein Härtestes warnt aus der Ferne das Harte.
Wehe -: abwesender Hammer holt aus!

Wer sich als Quelle ergießt, den erkennt die Erkennung;
und sie fuhrt ihn entzückt durch das heiter Geschaffne,
das mit Anfang oft schließt und mit Ende beginnt.

Jeder glückliche Raum ist Kind oder Enkel von Trennung,
den sie staunend durchgehn. Und die verwandelte Daphne
will, seit sie lorbeern fühlt, daß du dich wandelst in Wind.

–R.M. Rilke

__

und damit wünsche ich allen LeserInnen einen sanften und freudvollen Übergang ins neue Jahr, welches glücklicher sein möge, als das vergangene.

Ob und wie es hier weitergehen wird, weiß ich noch nicht. So oder so:  wir sehen uns wieder… auf der anderen Seite!

flattr this!

Kommentare (4)

  1. #1 Dieter Kief
    Konstanz
    29/12/2022

    Welche Iberrasch’ng! Die “Reine Maria” – ausgirechn’t hia!
    (Ist das XII. Sonett ob’n fehlerhaft abgitibbt? – Ei vabibbsch!)

  2. #2 fauv
    08/01/2023

    Was ist das für eine Dichtung, die mit Worten spielt wie mit Glaskugeln das Kind ?
    In jeder Glaskugel erkennt jeder sich selber und wird wieder zum Kind.
    Und das Kind wird erwachsen und vergisst diese Worte
    aber nicht seinen Sinn.

  3. #3 Ursula
    08/03/2023

    Über die Geduld

    Man muss den Dingen
    die eigene, stille,
    ungestörte Entwicklung lassen,
    die tief von innen kommt
    und durch nichts gedrängt
    oder beschleunigt werden kann;
    alles ist Austragen – und
    dann gebären…
    reifen wie der Baum,
    der seine Säfte nicht drängt
    und getrost in den Stürmen
    des Frühlings steht,
    ohne Angst,
    dass dahinter kein Sommer
    kommen könnte.
    Er kommt doch!
    aber er kommt nur zu den Geduldigen,
    die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
    so sorglos still und weit…
    man muss Geduld haben,
    gegen das ungelöste im Herzen,
    und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
    wie verschlossene Stuben,
    und wie Bücher, die in einer fremden Sprache
    geschrieben sind.
    es handelt sich darum, alles zu leben.
    wenn man die Frage lebt,
    lebt man vielleicht allmählich,
    ohne es zu merken,
    eines fremden Tages
    in die Antwort hinein.

    R.M.Rilke