Also entwarfen wir Primer für eine RT-PCR-Anreicherung der entsprechenden Genmarker und ihre Darstellung mittels Kapillarelektrophorese, nahmen noch einmal neue Hirnproben von drei weiteren verstorbenen Individuen und untersuchten und verglichen die Expression der beiden Marker in den vier Hirnarealen. Und das ist, was wir sahen:

PVALB wird in keinem der Hirnareale (All lobes) exprimiert; der Zinken (“Peak”) für 18rRNA ist die Positivkontrolle, die zeigt, daß die Methode funktioniert und auswertbare RNA extrahiert wurde; da, wo PVALB steht gibt es hingegen kein auswertbares Signal (hier wurden die Proben aller Hirnareale zusammengelegt); rfu: relative Fluoreszenzeinheiten; aus [1]

hier wiederum sieht man, daß CDR2L in allen Hirnarealen vergleichbar stark exprimiert wird (der 18srRNA-Peak zum Vergleich); d.h., daß anhand der Expressionsintensität die Regionen nicht unterschieden werden können, aus [2]

Der eine Marker wurde also in allen Arealen etwa gleich stark, der andere gleich nicht exprimiert, womit sich beide als ungeeignet für unsere Zwecke erwiesen und wir uns endgültig geschlagen geben mußten.

Dennoch waren wir entschlossen, die Studie zu veröffentlichen; dies ist nun geschehen und das ist auch gut und richtig so, denn obwohl das Ergebnis „negativ“ ist, mit anderen Worten: unsere Hypothese, daß sich Proben von Leichen aus forensisch relevanten Hirnarealen anhand ihrer mittels MPS gemessenen Genexpression zuverlässig unterscheiden lassen, sich als nicht zutreffend erwiesen hat, ist es wichtig, auch dieses Ergebnis anderen bekannt zu machen. Erstens, weil dann niemand diesen Studienaufbau wiederholen (und ebenfalls scheitern) muß und zweitens, weil wir überzeugt sind, daß die Ergebnisse einen generalisierteren Schluß zulassen; nämlich, daß Genexpressionsunterschiede zwischen biologisch/funktionell sehr ähnlichen aber nicht identischen Geweben so klein sind, daß sie in forensischem Probenmaterial (das bekanntlich von geringer Qualität ist) selbst mittels der derzeit besten Methode (MPS mit guter Sequenziertiefe) generell nicht differenzierbar sind. Wir sind hier also mit den vorhandenen Methoden und wegen der Degradation der RNA in forensischem Material an die Grenzen des Machbaren gestoßen und das ist zwar schade aber eben auch gut zu wissen und wert es mitzuteilen.

____

Referenzen:

[1] Euteneuer, J., Moitinho-Silva, L. & Courts, C. Forensically relevant anatomical brain regions cannot be sub-differentiated by RNA expression analysis. Forensic Sci Med Pathol (2024). https://doi.org/10.1007/s12024-024-00787-7

[2] C. Lux, C. Schyma, B. Madea, & C. Courts (2014). Identification of gunshots to the head by detection of RNA in backspatter primarily expressed in brain tissue Forensic Science International DOI: 10.1016/j.forsciint.2014.01.016

[3] Kaliszan, M., Dalewski, W., Dawidowska, J., Gos, T., & Jankowski, Z. (2021). Fake gunshot wounds in the skull—post-mortem artifact caused by steel probe during police search for a missing body. International Journal of Legal Medicine, 135, 879-883.

[4] Shaqiri, E., Xhemali, B., Ismaili, Z., Sinamati, A., & Vyshka, G. (2017). An unusual lethal gunshot wound to the head. Medico-Legal Journal, 85(1), 51-54.

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Kommentare (12)

  1. #1 RPGNo1
    23/02/2024

    Heute aus der Rubrik: Erfolgreich scheitern

    Topp.

    Man erlebt ja leider oft genug, dass Studien zu pseudowissenschaftlichen Themen wie z.B. Homöopathie oder aktivistisch aufgeladenen Aufgabenstellungen (siehe die aktuelle Diskussion um Identitätspolitik) “negative” Studien nicht veröffentlichen oder sie so verschwurbelt formulieren, dass sie doch irgendwie “erfolgreich” klingen, um eine Agenda weiter voranzutreiben.

  2. #2 Staphylococcus rex
    23/02/2024

    Interessante Fragestellung. Ein “negatives” Ergebnis muss man dabei nicht als Scheitern betrachten. Es kann auch Ausgangspunkt für neue Hypothesenbildungen sein. Ein Aspekt könnte z.B. die Frage nach der Plastizität des Gehirns sein, wenn die Hirnareale bei der RNA-Expression ununterscheidbar sind, dann stellt sich die Frage, wie stark fixiert bestimmte “Zentren” auf einzelne Hirnareale sind.

    Auch stellt sich für mich die Frage, ob die hier besprochene Frage abschließend geklärt ist. Die Zeiten, in denen ich Anatomie und Histologie büffeln mußte, sind schon mehr als nur ein paar Jahre her, deshalb sind meine Einwürfe eher allgemeiner Art: Bei der Frage nach lokalen Unterschieden im Gehirn würde ich die Neuronen eher ausschließen. Unterschiede würde ich eher von den Gliazellen erwarten, habe aber im Augenblick keine Kennung, wie die unterschiedlichen Gliazellen im Gehirn verteilt sind. Außerdem müßte man wissen, ob sich die Expressionsmuster in unterschiedlichen Gliazellen unterscheiden (unter Berücksichtigung, dass es Unterschiede im wachsenden und im erwachsenen Gehirn gibt). Am Einfachsten dürfte der Unterschied zwischen Mikroglia und den restlichen Gliazellen sein, weil diese aus unterschiedlichen Keimblättern stammen, dies würde aber nur Vorteile bringen, wenn die Mikroglia regional unterschiedlich verteilt ist.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Gliazelle

  3. #3 Dr. Webbaer
    23/02/2024

    Eher überraschend, dieses Resultat?

    Denkbarerweise kann es basierend auf den erfassten Daten noch mit anderen Markern versucht werden.
    Hier könnte instruierte AI sozusagen eigeninitiativ ad ultimo auf den Daten “herumhühnern”.
    Vielleicht ist es eine Idee das Vorhaben so aufzubereiten, also dass eine AI so ran kann.

    In Wirtschaftsunternehmen fällt es manchmal nicht leicht den Projekterfolg “Es ging mit dieser Methode nicht, es ist unwahrscheinlich, aber nicht ganz sicher, dass es so grundsätzlich nicht geht!” den Auftraggebern zu verklickern, Kaufleuten in der Regel.

    MFG – WB (der selbstverständlich dem geschilderten hoch komplexen und spannenden Vorhaben nur grob folgen konnte)

  4. #4 Dr. Webbaer
    23/02/2024

    @ Kommentatorenkollege ‘Staphylococcus rex’

    Ein “negatives” Ergebnis muss man dabei nicht als Scheitern betrachten. [Ihre Nachricht im Kommentariat, ausgeschnitten]

    Kann auch als Scheitern bezeichnet werden, wichtich, mittelniederdeutsch, das Scheitern als selbst werthaltig zu erkennen (wenn ordentlich vorgegangen worden ist, was aber vom Schreiber dieser Zeilen vorausgesetzt wird, auch weil die Publikation des Vorhabens vorliegt, die anderen nur helfen kann).

    Vgl. auch so :
    -> https://de.wikipedia.org/wiki/Scheitern_(Misserfolg)
    -> https://www.amazon.com/How-Fail-Almost-Everything-Still-ebook/dp/B00COOFBA4 (2013)

    MFG – WB

  5. #5 Staphylococcus rex
    23/02/2024

    PS: Wenn die Gesamt-RNA sequenziert wird, ist dies ein offenes Herangehen an diese Fragestellung. Aus methodischer Sicht dürfte ein “positives” Signal (der gehäufte Nachweis einer bestimmten Sequenz in einem bestimmten Areal) leichter nachzuweisen sein als ein “negatives” Signal (das Fehlen einer bestimmten Sequenz in einem Areal), weil bei einer niedrigen Anzahl an Sequenzen die Frage der Signifikanz im Zahlenverhältnis noch schwieriger zu klären ist. Der Job des Bioinformatikers ist bei derartigen Fragestellungen in jedem Fall sehr anspruchsvoll.

  6. #6 Dr. Webbaer
    23/02/2024

    Zur möglichen Datendichte noch angemerkt :

    -> https://www.laborpraxis.vogel.de/in-dna-gemeisselt-dna-als-speichermedium-a-d68d6574e6ba3cdc1bb62ace955c780e/ (‘Im Vergleich zu traditionellen Speichern wie Festplatten oder Flashspeichern mit einer Datendichte von ca. 1013 bzw. 1016 bits pro cm3, erreicht DNA eine Datendichte von 1019 bits pro cm3, oder in anderen Worten eine Datendichte von 1 Milliarde TB pro Gramm mit einer enormen molekularen Stabilität [1].’)


    [1] [1] Extance A (2016): How DNA could store all the world’s data. (2016)


    Das Herumwühlen in Daten, um das Testen von Hypothesen zu bewerkstelligen, vgl. :
    -> https://en.wikipedia.org/wiki/Statistical_hypothesis_test
    …ist so-o eine Sache, auch eine Herausforderung, bereits diese soz.- negativistische Idee zu begreifen, die soz. perfekte Komplementär-Hypothesen zu testen anleitet …

    “Positive Signale”, Ihre Wortwahl, Kommentatorenkollege ‘Staphylococcus rex’ gibt es ja nie, sondern nur die Abwesenheit von (definierbarer) sozusagen Normalität.

    Commander Spock legte sein Augenmerk insofern auch stets auf sog. Anomalien.

    MFG – WB

  7. #7 rolak
    23/02/2024

    [3]

    Bis zum Lesen der Endnote ging ich davon aus, daß beim Stochern im Fluss irgendwie eine Waffe angestupst wurde, die den stochernden Menschen qua HinterkopfPerforation über den Jordan schickte…

    daß alle diese 29 Kandidaten

    Dieser Nebensatz unkomplett.

    btt: Eine äußerst sinnvolle NegativErgebnis-Veröffentlichung.

  8. #8 Cornelius Courts
    24/02/2024

    danke, rolak, ist repariert 😉

  9. #9 Staphylococcus rex
    26/06/2024

    Ist hier zwar etwas off topic, aber wer in leicht verdaulicher Form etwas über das Arbeitsgebiet von CC erfahren möchte, kann diesen Weiterbildungsartikel im Ärzteblatt lesen:
    https://www.aerzteblatt.de/cme/artikel?id=239548

    Ärzte können hier Weiterbildungspunkte sammeln, für alle Anderen ist es einfach eine schöne kompakte Übersicht.

  10. #10 RPGNo1
    26/06/2024

    @Staphylococcus rex

    Vielen Dank für den Hinweis. Ich könnte mir vorstellen, dass CC noch einen gesonderten Artikel dazu in den Blog stellt. Wenn er denn dazu die Zeit findet. 😉

  11. #11 Staphylococcus rex
    26/06/2024

    @RPGNo1,

    streng genommen ist der Weiterbildungsartikel gar nicht so weit off topic. Dort wird zum Beispiel beschrieben, wie man bei einer Misch-Spur aus Blut und Speichel das Blut und den Speichel den jeweiligen Personen zuordnen kann. Das wäre damit die perfekte Einleitung und Einführung für diesen Blogbeitrag gewesen.

  12. #12 zimtspinne
    26/06/2024

    Als ich bei diesem Satz war, blieb mir kurz das Herz stehen 😡

    “In den letzten Jahren vollzieht sich jedoch ein Perspektivwechsel in der forensischen Molekularbiologie und der Interpretation ihrer Befunde bei Gericht mit einer merklichen Verschiebung des Interesses von der Individualisierung zur Kontextualisierung von Spuren und Spurenbildern.”

    Persönlich würde ich mir eine Verbesserung der Aufklärung und Bestrafung der Sexualstraftäter aus häuslichen Umfeldern, die jahre- oder sogar jahrzehntelang zurückliegen, wünschen.
    Dort hat sich leider in den letzten Jahren gar nichts verändert, meinem Gefühl nach.