Wer die RNA-Serie hier im Blog verfolgt hat, wird wissen, daß diese Zuordnung neben dem individualisierenden Aspekt auch bereits kontextuelle Information generieren kann, da die Gegenwart bestimmter Körperflüssigkeiten an bestimmten Stellen häufig bereits Hinweise auf bestimmte Aktivitäten geben können. Hier ist zu beachten, daß die etablierten Verfahren zur Bestimmung einer Spurenart (immunchromatographische Tests aber auch die Standard-RNA-Analyse mittels Kapillarelektrophorese) nicht ermöglichen, eine Spurenart auch einer konkreten Person zuzuordnen. Bei einer Zweiermischung aus Sperma und Vaginalsekret bei einem männlichen TV und einem weiblichen Opfer wäre das unproblematisch, weil hier die Spurenkomponenten geschlechtsspezifisch sind, in anders gelagerten Szenarien kann das jedoch anders sein. Um auch in solchen Fällen eine Zuordnung vornehmen zu können, werden derzeit (auch in meinem Labor, Veröffentlichung folgt) Methoden zur RNA-Sequenzierung mittels MPS erforscht [1], die die RNA-Sequenz erfassen, so daß man Varianten dieser Sequenz (Einzelnukleotidpolymorphismen aus kodierenden Bereichen der DNA sog. cSNPs) mit der transkribierten DNA der Tatbeteiligten abgleichen und somit die Komponenten den einzelnen Beiträgern zuordnen kann. Doch das führt hier zu weit.

 

Aktivitätenebene

Gehen wir davon aus, daß das Spurenbild individualisiert ist, wir also wissen, welche Spurenarten vorliegen und von welchen Personen sie stammen, gehen wir weiter davon aus, daß in einem Gerichtsverfahren streitige Parteien, Anklage und Verteidigung, sich darüber durchaus einig sind. Fast immer stellt sich an dieser Stelle die Frage, wie denn das Spurenbild, über dessen Zusammensetzung nicht gestritten wird, entstanden ist und die Aufgabe der forensischen Wissenschaftler besteht in der Kontextualisierung der Spur. Zur Illustration nehmen wir ein besonders typisches Beispiel, bei dem die Kenntnis der Spurenart uns kaum bis keine kontextuelle Information liefert:

An einem Einbruchtatort ist ein Fenster aufgehebelt worden, durch das der Einbrecher in das Haus gelangte. Im Haus werden kaum brauchbare Spuren gefunden, keine Fingerspuren, keine DNA-Spuren etc. In einem Mülleimer in der Nähe jedoch findet sich ein massiver Schraubendreher, dessen Klinge perfekt zu den Werkzeugmarken am Fenster passt. Vom Griff des Werkzeugs lässt sich ein gemischtes DNA-Profil erstellen mit einer vollständigen Hauptkomponente, die sich eignet, um eine Suche in der DAD-Datenbank durchzuführen, die einen Treffer generiert: ein wegen Einbruchs bereits Vorbestrafter, der in der Nähe einen Handwerksbetrieb führt. Mit dem Tatvorwurf konfrontiert, gibt er an, daß er nichts mit der Tat zu tun habe. Daß seine DNA am Tatwerkzeug gefunden worden sei, könne er sich nicht erklären. Es kommt zur Anzeige und Gerichtsverhandlung, während derer, der molekulargenetische Sachverständige sein DNA-Gutachten erläutert. Die Verteidigung hat keine Zweifel an der Korrektheit des Gutachtens und räumt ein, daß die DNA von ihrer Mandantschaft stammt, bringt dann aber eine alternative Hypothese zur Erklärung des Spurenbilds vor: der Angeklagte habe nichts mit der Tat zu tun, aber ihm seien kurz vor der Tat Arbeitshandschuhe vermutlich von einem Hilfsarbeiter gestohlen worden, die dann vom wahren Täter bei Tatausübung getragen wurden. Die den Handschuhen anhaftende DNA des Angeklagten sei so auf den Griff des Werkzeugs gelangt. Auf die Frage des Gerichts an den Sachverständigen, ob so etwas überhaupt möglich sei, bestätigt dieser und verweist auf Forschungsstudien, die diese Art von „Sekundärübertragung“ DNA-haltigen Materials mittels Handschuhen als Vektor mehrfach nachgewiesen haben [2-4].

Eine inzwischen typische Situation. Es herrscht Einigkeit zwischen den streitigen Parteien über den Ursprung, die Quelle der Spur, die Spurenart (abgestreiftes Hautmaterial) bringt keine nützliche Information (Hautzellen auf einem Schraubendrehergriff sind zu erwarten), es stellt sich mithin die Frage, wie, durch welche Aktivität und welchen Akteur ist die Spur entstanden, ist das analysierte Material dorthin gelangt, von wo es gesichert wurde? Es stellt sich die Frage nach dem Kontext der Spurenentstehung.

 

Tat- oder Schuldebene

Die Interpretation von Spurenbildern auf dieser Ebene ist ausschließlich dem Gericht vorbehalten, der Sachverständige hat sich hierzu nicht zu äußern. Hier fließen Erkenntnisse zu schuldhaftem Handeln, Motiv, Schuldfähigkeit, Beweggründen und andere fallrelevante Informationen ein, hier greift auch die richterliche Beweiswürdigung, die für eine juristische Bewertung und die schlußendliche Urteilsfindung von Bedeutung sind. Das Gericht baut also auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen von den Quellen- und Aktivitätenebenen auf und nutzt diese, um sich seine Überzeugung zu bilden. Ein Bespiel illustriert den Spielraum auf dieser Ebene: in einem Fall eines angeklagten Sexualdelikts gibt es von Quellen- und Aktivitätenebene sehr gute Belege, daß zwischen Tatverdächtigem und Geschädigter (Quellen) Geschlechtsverkehr (Aktivität) stattgefunden hat, den jener zunächst geleugnet hat; in Anbetracht der forensisch-molekulargenetischen Gutachten ändert der Tatverdächtige seine Einlassung, räumt den Verkehr ein, erklärt aber, daß dieser einvernehmlich gewesen sein, was die Geschädigte bestreitet. Die vorhandene Evidenz (hierzu würde auch die rechtsmedizinische Untersuchung der Geschädigten zählen) ist sowohl mit dem einen (einvernehmlichen) als auch dem anderen (nicht einvernehmlichen) Szenario kompatibel und lässt keines davon deutlich plausibler erscheinen, und diese Erkenntnis ist alles, was ein Sachverständiger beitragen kann. Es obliegt nun dem Gericht, über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten entscheiden.

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