Heute gibt es die nächste Folge dieser Serie, in der ich kurz von Entwicklungen aus meiner eigenen Forschung, Arbeit (Fälle, über die ich sprechen darf) oder von nebenberuflichen Tätigkeiten und Aktivitäten, von denen ich hier im Blog schon zuvor regelmäßig berichtet habe (GWUP, Skeptikerkram, Vorträge, Slams, TV- und Podcast-Präsenzen etc.), erzähle.

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Forschung und Wissenschaft:

Ärzteblatt: Im deutschen Ärzteblatt ist ein Artikel von uns zum Thema „RNA-Analyse in der forensischen Molekularbiologie“ (zum Hintergrund) erschienen [1]. Das ist deswegen erwähnenswert, weil das Ärzteblatt einen für eine deutschsprachige Zeitschrift ziemlich hohen Impact-Faktor (8,2), aber auch, weil es eine riesige Auflage (>390.000 gedruckte Exemplare) hat und von sehr vielen Menschen, v.a. natürlich Ärzten, gelesen wird. Hinzukommt, daß unser Artikel eine zertifizierte Fortbildung (CME) ist, so daß sich hoffentlich viele Leser intensiv damit auseinandersetzen werden. Wir versprechen uns davon, daß die forensische RNA-Analyse dadurch bekannter und auch Ärzten, die nichts mit Forensik zu tun haben aber eventuell durchaus Opfer von Straftaten als Patienten sehen können, zu Bewußtsein gebracht wird. Sie können dann z.B. die Empfehlung aussprechen, gesicherte Spuren auch mittels forensische RNA-Analyse untersuchen zu lassen bzw. gesicherte Spuren, z.B. gynäkologische Abstriche, sachgerecht handhaben und lagern und/oder sich direkt mit Fragen an uns wenden.

BIOspektrum: Auch für BIOspektrum habe ich auf deren Anfrage hin einen Artikel zur Forensischen RNA-Analyse geschrieben, auf den sogar auf der Titelseite der Ausgabe 04/2024 hingewiesen wird [2]. (und ja, lieber sehr treuer und sehr aufmerksamer Leser, vor 11 Jahren ist da schon einmal ein Artikel von mir erschienen).

Forensic Science International: Genetics: Bei FSI:Genetics hat mein (von Peter geerbter) Doktorand Max nun sein magnum opus veröffentlicht [3]. In diesem Artikel stecken fünf Jahre Arbeit an „MixSeq & Match“, einem Kooperationsprojekt mit dem Hessischen Landeskriminalamt, das vom Fonds für Innere Sicherheit der EU gefördert wurde. Der Artikel ist die Essenz von Max‘ Doktorarbeit, an der er gerade noch werkelt. Max hat ein targeted-MPS-Panel für die forensische RNA-Analyse entwickelt, mit dem man nicht nur die wichtigsten Körperflüssigkeiten (auch in Mischungen, z.B. Blut und Speichel) identifizieren kann, sondern zusätzlich mittels der integrierten Analyse von codierenden Einzelnukleotidpolymorphismen (cSNPs) die Komponenten einer Mischung den Individuen, die sie beigetragen haben, zuordnen kann (z.B. das Blut Person A und den Speichel Person B). Letzteres ist mit der derzeit in meinem Labor eingesetzten Analyse mittels Kapillarelektrophorese nicht möglich und Max‘ Methode erschließt damit für die RNA-Analyse einen weiteren wichtigen ermittlerischen Aspekt.

 

TV-/Podcast-/Interview-/Vortragsaktivitäten:

 

Fälle:

Brutaler Raubüberfall mit Todesfolge:

Einen Bericht zum Fall gibt es hier. In den lapidaren und irreführenden Zeilen:

Die Polizei hatte DNA-Spuren des 37-jährigen Angeklagten am Tatort gefunden.

und

sicherten seine DNA-Spuren am Tatort: an den Handfesseln.

wird das Ergebnis unserer Analysen angedeutet. Lapidar, weil unsere Ergebnisse auf Monaten  intensiver Arbeit und Tausenden einzeln untersuchter Hautschuppen basierten. Irreführend, weil natürlich nicht die Polizei „DNA-Spuren gefunden“ hat, sondern wir.

Dieser Fall ist aber ein schönes Beispiel für Fälle, die ohne forensische DNA-Analyse niemals aufgeklärt worden wären.

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Referenzen:

[1] Courts C, Gosch A, Rothschild M: RNA analysis in forensic molecular biology. Dtsch Arztebl Int 2024; 121: 363–9. DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0051

[2] Courts, C. (2024). Forensische RNA-Analyse–Möglichkeiten und Perspektiven. BIOspektrum, 30(3), 277-281.

[3] Neis, M., Groß, T., Schneider, H., Schneider, P. M., & Courts, C. (2024). Comprehensive Body Fluid Identification and Contributor Assignment by combining Targeted Sequencing of mRNA and coding region SNPs. Forensic Science International: Genetics, 103125.

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Kommentare (9)

  1. #1 rolak
    16/10/2024

    Nu, daß Medienmeldungen offensichtlich teilweise aus Parallelwelten herübergechannelt worden sein müssen, da gewöhnt man sich über die Dekaden dran. Interessant wirds erst dann, wenn einer der OriginalAutoren mal hierhin rüberflitzt und seine Tantiemen für die letzten 345y seiner Zeitrechnung einklagt…

    Ansonsten: selbst wenn mich unerwarteterweise in einer Folge kein einziger Beitrag interessieren sollte, die Notizen-Reihe, die interessiert mich.

  2. #2 Dr. Burscheid
    Berlin
    17/10/2024

    mit großem Interesse und Gewinn habe ich den Beitrag im Ärzteblatt über die RNA-Untersuchung gelesen. Toll, was heute alles möglich ist! Danke für diesen Einblick in Ihre neuen Ermitlungsmethoden.

    Ich habe auch Kliniker-Kollegen darauf aufmerksam gemacht, die regelmäßig mit Patienten, die bei Straftaten verletzt wurden, zu tun haben. Vielleicht können diese die Information zum Nutzen der Patienten verwenden.

  3. #3 Ludger
    17/10/2024

    Der Artikel im Ärzteblatt ist gut zu lesen und ohne Bezahlschranke.
    Link:
    https://www.aerzteblatt.de/archiv/239548/RNA-Analyse-in-der-forensischen-Molekularbiologie

  4. #4 zimtspinne
    17/10/2024

    oh, der Impactfaktor ist ja echt spektakulär für dieses Blättchen! Hätte ich nicht erwartet.. hab noch nie nachgeguckt.
    Es gibt auch noch ein anderes mit ähnlichem Namen, allerdings nur für den inneren Kreis der Medizin.

    Was mich mal interessieren würde, schlägt sich das Forankommen der forensischen Methoden und Verfahren eigentlich auch schon in Statistiken zu Ermittlung und Aufklärung von Straftaten nieder?
    Also liegt die Rate der unentdeckten Tötungsdelikte (Mordfälle) noch immer bei geschätzten 50%?
    in skandinavischen Ländern soll die übrigens laut Experten nur bei ca 30% liegen…

  5. #5 zimtspinne
    17/10/2024

    “geerbter Doktorand Max” — omg…
    Solche Erbschaftsangelegenheiten sind ja heutzutage auch nicht mehr ohne… stell dir mal vor, du erbst was aus postcolonial biology oder forensic colonialism studies :p

  6. #6 Cornelius Courts
    18/10/2024

    @zimtspinne: “der Impactfaktor ist ja echt spektakulär”

    gell? 😉

    “für dieses Blättchen!”

    eben kein Blättchen, ein veritables Blatt mit enormer Auflage und Verbreitung. Ich wußte aber bis vor kurzem auch nicht, daß die auch an solchen Artikeln wie unserem Interesse haben UND es ist überhaupt nicht einfach, da zu publizieren. Es gab erst ganz normales peer review und danach dann noch mehrere (!) Revisionsrunden mit der Redaktion bis es für die ok war. War harte Arbeit.

    “Was mich mal interessieren würde, schlägt sich das Forankommen der forensischen Methoden und Verfahren eigentlich auch schon in Statistiken zu Ermittlung und Aufklärung von Straftaten nieder?”

    die Aufklärungsrate bei Kapitaldelikten/Morden, WENN die Tat als solche erkannt wird, war und ist sehr hoch. Ob sie gestiegen ist, kann ich aus dem Stegreif nicht sagen – interessant wäre aber, ob es einen Unterschied gibt zwischen Taten, bei denen ein LKA die forens. Analyse gemacht hat vs. Taten, bei denen es eine universitätre forensisch. Genetik war …

    “Also liegt die Rate der unentdeckten Tötungsdelikte (Mordfälle) noch immer bei geschätzten 50%?”

    Viele Rechtsmediziner gehen davon aus, da sich an der Regelung zur Leichenschau und an ihrer Häufigkeit nichts geändert hat

    “stell dir mal vor, du erbst was aus postcolonial biology oder forensic colonialism studies”

    ouh nee, danke, so ein Erbe würde ich ausschlagen. Sowas kommt mir nichts ins Haus. Aber den Max habe ich gerne übernommen (auch wenn der Anlaß dafür sehr traurig war 🙁 )

  7. #7 Ludger
    18/10/2024

    Die Regelung der Leichenschau unterscheidet sich in den verschiedenen Bundesländern. In NRW ist es ein Ärgernis. Kann sein, dass in manchen Stadtstaaten besser funktioniert.
    Die Gesetze und Verwaltungsvorschriften sind von Juristen formuliert und daher wasserdicht. Auf Wunsch der Politik darf das aber nicht viel kosten.
    Außerhalb der Krankenhäuser und während der Ärztlichen Notdienste sind die normalen Niedergelassenen zuständig, die hierzu keine Spezialausbildung haben. Die Approbation reicht. Sie müssen die Leichenschau unverzüglich nach Benachrichtigung durchführen. Dass die Entwickerlung sicherer Todeszeichen Zeit braucht, ist dabei das Problem der Leichenschauer/innen. Die Leiche muss völlig entkleidet von allen Seiten untersucht werden, mit Inspektion von allen Körperöffnungen. Darauf muss eine Todeshistorie formuliert werden ( z.B. Demenz – Schluckstörung – Aspirationspneumonie – Ateminsuffizienz – Herzrhythmusstörung). Wenn das nicht möglich ist, muss man ankreuzen: unklar ob natürlicher oder unnatürlicher Tod. In der Situation muss man unmittelbar die Polizei einschalten. Juristisch ist das alles fugendicht, aber oft kaum praktikabel. Das könnte zu Kompromissen verleiten.
    Meine letzte Leichenschau war nachts in Hallenberg, laut Google Maps 78,1 km von meinem Wohnort entfernt. Ich wurde von der Johanniter Unfallhilfe gefahren. (Später konnte ich mich aus Altersgründen vom Kassenärztlichen Notdienst befreien lassen.)
    Es handelte sich um eine alte Dame in einem Altenheim, die die üblichen internistischen Begleiterkrankungen sehr alter Leute gehabt hatte. Nix Verdächtiges. Ich habe nicht die Polizei gerufen. Ich war ungefähr 3 Stunden unterwegs.
    Es gibt immer wieder Berichte von Tötungsdelikten in Krankenhäusern und auch Altenheimen. Habe ich vielleicht eine Injektionsstelle übersehen? Hätte ich doch die Polizei rufen sollen? Hätte die Staatsanwaltschaft dann ohne Verdacht eine Rechtsmedizinische Leichenöffnung angeordnet? Ich glaube nicht.

  8. #8 Staphylococcus rex
    18/10/2024

    @ Ludger und CC, die Regelungen für Leichenschau und für Obduktionen sind aus den schon beschriebenen Gründen einfach nur ein Ärgernis, Grund ist in beiden Fällen der gleiche, Krankenkassen betrachten den Leichnam als Sache und damit als außerhalb ihrer Zuständigkeit. Ohne sichere Finanzierung wird es keine Besserung geben. Nach meiner Kenntnis werden die Kosten der Leichenschau zusammen mit den Bestattungskosten von den Angehörigen bezahlt.

    Die Leichenschau müßte zweigeteilt werden in eine vorläufige Leichenschau vor Ort und eine spätere endgültige Leichenschau unter optimalen Lichtverhältnissen durch eine spezialisierte Fachkraft, die dann auch die sicheren Todeszeichen bestätigt.

    Aus den 90-er Jahren kenne ich im Krankenhaus die sogenannten Todesfallkonferenzen, bei denen verstorbene Patienten durch Pathologen und behandelnde Ärzte nachbesprochen wurden. Damals gab es belastbare Zahlen zu den Unterschieden bei den Diagnosen auf dem Totenschein und dem Ergebnis der Obduktion. Es wird soviel über Behandlungsqualität seitens der großen Politik und seitens der Krankenkassen schwadroniert. Wenn es sich dabei um mehr als Lippenbekenntnisse handeln würde, warum wird dann nicht festgelegt, dass die Obduktionsrate Bestandteil des Qualitätsberichts des Krankenhauses sein muss? Für eine gute Qualität wäre es m.E. wichtig mindestens 10% der im Krankenhaus Verstorbenen zu obduzieren.

    Selbst die Juristen müßten sich dabei nicht wirklich verbiegen, es gibt zwar einen klinischen Todeszeitpunkt, aber erst mit der Unterschrift auf dem Totenschein darf nach meiner Kenntnis der Bestatter aktiv werden. Alle Anordnungen vor dieser Unterschrift (das betrifft auch die Anordnung von Leichenschau und Obduktion) wären dann im Verantwortungsbereich der Krankenkassen.

    Selbst wenn die gesetzliche Regelung für Obduktionen geändert würde, hätten wir noch das Problem, dass nach dem Sparkurs der letzten Jahrzehnte dafür mittlerweile die Fachkräfte fehlen.

  9. #9 Joseph Kuhn
    18/10/2024

    Vielleicht zum Thema Leichenschau von Interesse: https://link.springer.com/journal/103/volumes-and-issues/62-12

    Ärzteblatt: noch nicht wie das BMJ, aber deutlich angestiegenes Niveau.