An diesem Fall sieht man lehrbuchhaft, wie wichtig es ist, nicht (!) von DNA-Befunden (Quellenebene; hier: DNA von der Verdächtigen befand sich am Tatort und am Geschädigten) auf Aktivitäten (Handlungsebene, hier: Verdächtigte hat die Tat begangen) zu schließen und wie notwendig es ist, daß sich Gerichte und Staatsanwaltschaften über moderne Erkenntnisse der forensischen Molekularbiologie und die Möglichkeit der “Begutachtung auf Aktivitätenebene” (was wir in diesem Fall gemacht haben) fortzubilden. DNA steht schon lange nicht mehr für Do Not Ask! Seit 2020 mache ich mit Kollegen zusammen dazu jedes Jahr eine Fortbildung auf dem Spurenworkshop und inzwischen fahre ich auch regelmäßig zu Fortbildungsveranstaltungen für Polizei, Staatsanwaltschaften, Strafverteidiger und bald auch Gerichte, unser Forschungsprojekt, um bessere Grundlagen für solche Begutachtungen zu schaffen, läuft unterdessen weiter.

Im Hamburger Fall war es vermutlich so, daß, auch wenn das Gericht es nicht offiziell “zugegeben”hat, unser Gutachten die vermeintliche Gewissheit durch den DNA-Beweis erschüttert hat und die zuvor für unglaubwürdig gehaltene Alibizeugin ernst genommen und die Verdächtige letztlich freigesprochen werden musste. Jetzt kennen wir die “ground truth”, also den wahren Täter in dem Fall, die ehemals Verdächtige ist mithin nicht nur mangels Beweise unschuldig und wir freuen uns, mit unserer Arbeit zur Wahrheitsfindung, die diesmal in der Unschuld einer Verdächtigen bestand, beigetragen zu haben.

Nachtrag am 03.09.2025: inzwischen sind die wahren Täter, derer es drei gab, jeweils zu lebenslanger Haft verurteilt worden und der Fall damit abgeschlossen.

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Referenzen:

[1] Hänggi, N. V., Neubauer, J., Marti, Y., Banemann, R., Kulstein, G., Courts, C., … & Dørum, G. (2025). Assessing transcriptomic signatures of aging: Testing an mRNA marker panel for forensic age estimation of blood samples. Forensic Science International: Genetics, 78, 103282.

[2] Ralf, A., Zandstra, D., van Wersch, B., Köksal, Z., Larmuseau, M. H., Rosa, A., Jobling, M.A., D’Amato, M.E., Courts C. … & Kayser, M. (2025). UYSD: a novel data repository accessible via public website for worldwide population frequencies of Y-SNP haplogroups. European Journal of Human Genetics, 1-9.

[3] mRNA profiling and donor association of mock casework samples: Results of a 3rd and 4th EDNAP collaborative exercise

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Kommentare (3)

  1. #1 schorsch
    14/08/2025

    Im NDR-Bericht zu Deinem hamburger Fall heisst es, ein Gerichtssprecher habe gesagt, von der angeklagten Frau seien DNA-Spuren “auch unter den Fingernägeln des Opfers” gefunden worden.

    Das lässt sich aber schwer vereinbaren mit der Angabe ihrer Verteidigung, ihre DNA-Spuren seien anläßlich einer Vorstellung einige Tage vor dem Mord an den Tatort gelangt. Bei üblicher Körperhygiene sollten bei solchem Anlass übertragene DNA-Spuren, würde ich vermuten, auch unter den Fingernägeln nach einigen Tagen nicht mehr nachweisbar sein.

    Ist da deutlich mehr vorgefallen, als eine reine Vorstellung, oder ist der NDR-Artikel bzw. die Angabe des Gerichtssprechers falsch?

  2. #2 Cornelius Courts
    14/08/2025

    @schorsch: “Ist da deutlich mehr vorgefallen, als eine reine Vorstellung,”

    möglich, kann man nicht ausschließen

    “Bei üblicher Körperhygiene sollten bei solchem Anlass übertragene DNA-Spuren, würde ich vermuten, auch unter den Fingernägeln nach einigen Tagen nicht mehr nachweisbar sein.”

    kann man nicht verallgemeinern, aber es geht ja vor allem um die DNA der Frau an seinen Kleidern, die natürlich durch das Anziehen am selben Tag an die Finger gelangt sein kann

  3. #3 Cornelius Courts
    03/09/2025

    die wahren Täter aus Hamburg sind nun alle drei jeweils zu lebenslanger Haft verurteilt worden.