Heute gibt es die nächste Folge dieser Serie, in der ich kurz von Entwicklungen aus meiner eigenen Forschung, Arbeit (Fälle, über die ich sprechen darf) oder von nebenberuflichen Tätigkeiten und Aktivitäten, von denen ich hier im Blog schon zuvor regelmäßig berichtet habe (GWUP, Skeptikerkram, Vorträge, Slams, TV- und Podcast-Präsenzen etc.), erzähle.

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Forschung, Lehre und Wissenschaft:

Kürzlich wurden drei Kooperationsprojekte, an denen wir/meine Gruppe jeweils beteiligt waren, fertig und veröffentlicht worden:

Forensic Science International: Genetics: Über das EU-geförderte Projekt unter Leitung des BKA, das das Ziel verfolgt hat, das Lebensalter einer Person aus biologischem Spurenmaterial anhand der differentiellen RNA-Expression zu bestimmen, hatte ich schon mal gesprochen, als die erste Publikation erschienen war. Jetzt ist die zweite und abschließende Arbeit ebenfalls veröffentlicht worden [1]

 

 European Journal of Human Genetics: Unter Leitung einer niederländischen Gruppe ist kürzlich A. Ralfs Projekt zu einer neuen Datenbank mit weltweit gesammelten Frequenzdaten für Y-chromosomale SNP-Haplotypen (“USYD“) abgeschlossen und veröffentlicht worden [2]. USYD soll das Studium der genetischen Variation des menschlichen Y-Chromosoms erleichtern:

Durch die Harmonisierung verschiedener Datensätze unter einem einheitlichen phylogenetischen Baum bietet UYSD Forschern und der Öffentlichkeit eine umfassende Ressource zur Erforschung der Y-SNP- und Haplogruppenverteilungen in globalen Populationen.
Das wissenschaftliche Interesse an väterlichen Abstammungslinien ist im Laufe der Jahrzehnte gewachsen, aber die relevanten Daten sind oft über zahlreiche Publikationen verstreut, was eine effektive Konsolidierung und Analyse erschwert. UYSD geht diese Herausforderung an, indem es eine durchsuchbare und zugängliche Datenbank anbietet, die Haplogruppen-Informationen standardisiert und trotz historischer Veränderungen eine konsistente Nomenklatur gewährleistet.
Die Plattform ermöglicht den Nutzern:
– Suche und Visualisierung von Y-Haplogruppen-Verteilungen auf einer interaktiven Weltkarte.
– Schätzung der Häufigkeit von Haplogruppen in Regionen mit spärlichen Daten durch Interpolation.
– Zugang zu einem detaillierten phylogenetischen Baum der Y-chromosomalen Haplogruppen und Erforschung dieser.
– Einreichen und Integrieren neuer Datensätze, Förderung der Zusammenarbeit und des Datenaustauschs innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft

 

Forensic Science International: Genetics: Und auch die EDNAP hat wieder zugeschlagen: unter Leitung der Forensischen Genetik der Rechtsmedizin Zürich wurde der zweite Laborvergleich zum Einsatz von MPS in der forensischen RNA-Analyse mit dem Ziel der Körperflüssigkeitenidentifikation und Komponentenzuordnung bei Mischspuren erfolgreich abgeschlossen und kürzlich veröffentlicht. [3].

 

Lehre: Sehr gefreut haben sich alle hier am Institut, die wir auch an der studentischen Lehre beteiligt sind, über das Abschneiden unserer Medizinstudenten in Fach Rechtsmedizin, wo sie, mit  noch erheblichem Abstand vor anderen Fächern, sehr deutlich besser als der Bundesdurchschnitt liegen. Muß wohl an der guten Lehre liegen 😉

 

TV-/Podcast-/Interview-/Vortragsaktivitäten:

Ende Mai war ich auf der Skepkon 25 in Regensburg. Mein Vortrag, den ich dort gehalten habe, ist noch nicht verfügbar, den liefere ich in der nächsten Folge nach, aber ich habe dort mit Sinan, Imp und Holger gesprochen:

 

Fälle:

Der Fall “Mord in Hamburg”, in dem, als ich das letzte Mal davon berichtete (zum Hintergrund siehe hier), noch kein Täter gefunden worden war, kam nun zu einem Ende:

Die Spur führte zu drei Männern, sie stehen seit Ende Mai vor Gericht. Einer von ihnen legte jetzt ein Geständnis ab. Dabei stellte er alles als einen aus dem Ruder gelaufenen Einbruch dar: Er habe damals gehört, in der Wohnung des Rentners befände sich viel Geld, weil er sein spanisches Restaurant verkauft habe.

Bei dem Einbruch habe sich der 69-Jährige dann überraschend stark gewehrt. Im Kampf hätten die Angeklagten ihn getötet, so die Aussage des 38-jährigen Angeklagten. Wochen später habe er dann gehört, dass eine Frau als Mörderin verhaftet worden sei. “Ein trauriger Fall”, sagte der Angeklagte.

Traurig in der Tat, denn die zu Unschuld Verdächtigte, die schon von Anfang an ein Alibi hatte und deren Unschuldsvermutung auch von unserem Gutachten schon sehr früh gestützt wurde, saß monatelang in Untersuchungshaft.

An diesem Fall sieht man lehrbuchhaft, wie wichtig es ist, nicht (!) von DNA-Befunden (Quellenebene; hier: DNA von der Verdächtigen befand sich am Tatort und am Geschädigten) auf Aktivitäten (Handlungsebene, hier: Verdächtigte hat die Tat begangen) zu schließen und wie notwendig es ist, daß sich Gerichte und Staatsanwaltschaften über moderne Erkenntnisse der forensischen Molekularbiologie und die Möglichkeit der “Begutachtung auf Aktivitätenebene” (was wir in diesem Fall gemacht haben) fortzubilden. DNA steht schon lange nicht mehr für Do Not Ask! Seit 2020 mache ich mit Kollegen zusammen dazu jedes Jahr eine Fortbildung auf dem Spurenworkshop und inzwischen fahre ich auch regelmäßig zu Fortbildungsveranstaltungen für Polizei, Staatsanwaltschaften, Strafverteidiger und bald auch Gerichte, unser Forschungsprojekt, um bessere Grundlagen für solche Begutachtungen zu schaffen, läuft unterdessen weiter.

Im Hamburger Fall war es vermutlich so, daß, auch wenn das Gericht es nicht offiziell “zugegeben”hat, unser Gutachten die vermeintliche Gewissheit durch den DNA-Beweis erschüttert hat und die zuvor für unglaubwürdig gehaltene Alibizeugin ernst genommen und die Verdächtige letztlich freigesprochen werden musste. Jetzt kennen wir die “ground truth”, also den wahren Täter in dem Fall, die ehemals Verdächtige ist mithin nicht nur mangels Beweise unschuldig und wir freuen uns, mit unserer Arbeit zur Wahrheitsfindung, die diesmal in der Unschuld einer Verdächtigen bestand, beigetragen zu haben.

Nachtrag am 03.09.2025: inzwischen sind die wahren Täter, derer es drei gab, jeweils zu lebenslanger Haft verurteilt worden und der Fall damit abgeschlossen.

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Referenzen:

[1] Hänggi, N. V., Neubauer, J., Marti, Y., Banemann, R., Kulstein, G., Courts, C., … & Dørum, G. (2025). Assessing transcriptomic signatures of aging: Testing an mRNA marker panel for forensic age estimation of blood samples. Forensic Science International: Genetics, 78, 103282.

[2] Ralf, A., Zandstra, D., van Wersch, B., Köksal, Z., Larmuseau, M. H., Rosa, A., Jobling, M.A., D’Amato, M.E., Courts C. … & Kayser, M. (2025). UYSD: a novel data repository accessible via public website for worldwide population frequencies of Y-SNP haplogroups. European Journal of Human Genetics, 1-9.

[3] mRNA profiling and donor association of mock casework samples: Results of a 3rd and 4th EDNAP collaborative exercise

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Kommentare (3)

  1. #1 schorsch
    14/08/2025

    Im NDR-Bericht zu Deinem hamburger Fall heisst es, ein Gerichtssprecher habe gesagt, von der angeklagten Frau seien DNA-Spuren “auch unter den Fingernägeln des Opfers” gefunden worden.

    Das lässt sich aber schwer vereinbaren mit der Angabe ihrer Verteidigung, ihre DNA-Spuren seien anläßlich einer Vorstellung einige Tage vor dem Mord an den Tatort gelangt. Bei üblicher Körperhygiene sollten bei solchem Anlass übertragene DNA-Spuren, würde ich vermuten, auch unter den Fingernägeln nach einigen Tagen nicht mehr nachweisbar sein.

    Ist da deutlich mehr vorgefallen, als eine reine Vorstellung, oder ist der NDR-Artikel bzw. die Angabe des Gerichtssprechers falsch?

  2. #2 Cornelius Courts
    14/08/2025

    @schorsch: “Ist da deutlich mehr vorgefallen, als eine reine Vorstellung,”

    möglich, kann man nicht ausschließen

    “Bei üblicher Körperhygiene sollten bei solchem Anlass übertragene DNA-Spuren, würde ich vermuten, auch unter den Fingernägeln nach einigen Tagen nicht mehr nachweisbar sein.”

    kann man nicht verallgemeinern, aber es geht ja vor allem um die DNA der Frau an seinen Kleidern, die natürlich durch das Anziehen am selben Tag an die Finger gelangt sein kann

  3. #3 Cornelius Courts
    03/09/2025

    die wahren Täter aus Hamburg sind nun alle drei jeweils zu lebenslanger Haft verurteilt worden.