Moin liebe Leser, erinnert Ihr Euch noch an die blooD’N’Acid-Serie „kurz notiert“? Ich hatte dieses Format eine Weile lang genutzt, um aktuelle Forschungsergebnisse in knapper Form darzustellen; da dies oft Arbeiten und Befunde aus entlegenen oder mir sogar völlig fremden Bereichen waren, konnte ich auch fachlich gar nicht in die Tiefe gehen, sondern wollte in erster Linie meine Faszination bzw. amüsiertes Interesse an den dargestellten Ergebnissen mit Euch teilen.
An jenes Format erinnert nun der Name dieser neuen „Serie“ oder besser losen Folge von Artikeln, die ich hier veröffentlichen will, in denen ich Euch jeweils kurz von Entwicklungen aus meiner eigenen Forschung, Arbeit (Fälle, über die ich sprechen darf) oder von nebenberuflichen Tätigkeiten und Aktivitäten, von denen ich hier im Blog schon zuvor regelmäßig berichtet habe (GWUP, Skeptikerkram, Vorträge, Slams, TV- und Podcast-Präsenzen etc.), erzählen werde (und da ich einiges nachholen und -reichen muß, ist die erste Ausgabe etwas länger).
Natürlich wird es auch immer noch/wieder in Form regulärer Blogartikel ausführlichere Berichte zu neuen Studien aus meiner Arbeitsgruppe geben (wie kürzlich erst), aber um Euch auf dem Laufenden zu halten, darüber, was hier aktuell so passiert und ich so treibe / getrieben habe, hoffe ich, daß sich dieses Format sich bewähren wird.
_______
Forschung und Wissenschaft:
Nature: Eine ziemliche Sensation (für uns) war, daß wir einen Beitrag zu einem Nature-Artikel leisten konnten, der kürzlich veröffentlicht wurde und den Titel trägt: „Evolutionary trajectories of small cell lung cancer under therapy“. In der Studie ging es darum, die evolutionären Grundlagen der Widerstandsfähigkeit der Tumorzellen des kleinzelligen Lungenkrebs‘ (SCLC) gegen Chemotherapie zu verstehen, wofür die Phylogenie von Zellen von 160 Tumoren von 65 Patienten ab der Diagnose und während der Chemotherapie mittels Sequenzierung verfolgt wurde. Wir haben für diese Studie Zellinien/Zellen mittels DNA-Profiling authentifiziert. Die Studie war erfolgreich, denn es ist gelungen, die Schlüsselprozesse der genomischen Evolution von SCLC unter Therapie zu entdecken, den gemeinsamen Vorfahren als Quelle der klonalen Diversität beim Rezidiv zu identifizieren und die zentralen genomischen Muster, die mit Empfindlichkeit für und Resistenz gegen Chemotherapie assoziiert sind, aufzuzeigen.
Für mich war das natürlich auch eine spannende kleine Reise zurück in meine Doktorarbeits- und Krebsforscherzeit, wo ich ja die molekulare Pathogenese von Lymphomen des zentralen Nervensystems erforscht habe. Und obwohl Nature inzwischen leider ziemlich woke geworden ist, ist es immer noch eine der wichtigsten und „einflussreichsten“ (gemessen am Impact-Factor) wissenschaftlichen Zeitschriften, deshalb freuen wir uns sehr über diesen Erfolg!
–
TV-/Podcastaktivitäten:
Vorpolitisch-Podcast: schon ‘ne ganze Weile her, aber so richtig erwähnt habe ich es hier noch nicht: Ich war nämlich bei Sebastian „Seb“ Schnelles sehr empfehlenswertem „Vorpolitisch“-Podcast zu Gast, wo wir uns ca. 50 Minuten über forensische Molekularbiologie und verschiedenste Aspekte meiner Arbeit unterhalten haben; ein für „Vorpolitisch“ eher untypisches Thema, zu dem Seb auch kein Vorwissen hatte (ganz im Gegensatz zu den üblichen Episoden) aber er hat diese „Naivität“ gut genutzt und sehr gute Fragen gestellt und ich glaube, daß wir ein paar ganz interessante Themen angesprochen haben. Hier geht es zur Folge (gibt es auch bei Spotify und youtube).
WDR Mordorte: Hier ging es um die Leiche aus dem Worringer Bruch; ein Pilzsammler hatte dort am 14. Oktober 2001 eine bis heute nicht identifizierte, weibliche Leiche gefunden. Die Leiche war zum Zeitpunkt des Fundes vollständig skelettiert, und die Verweildauer wurde damals auf 4 Monate bis 1 Jahr geschätzt. In der Rechtsmedizin Köln wurde (lange vor meiner Zeit) versucht, ein DNA-Profil zu erstellen, das Material war aber schon so stark degradiert, daß dies nicht mehr gelang. Somit konnte keine gezielte Suche in der VermiUTot-Datenbank erfolgen. Stattdessen konnte jedoch ein mtDNA-Profil erstellt werden, das jedoch nur die Bestätigung einer gemeinsamen mütterlichen Erblinie ermöglicht und auch das nur, wenn DNA einer Vergleichsperson vorliegt, da die mtDNA-Haplotypen in den üblichen Datenbanken nicht enthalten sind. Die mtDNA erlaubte aber immerhin, eine grobe Schätzung der möglichen biogeographischen Herkunft auf Südamerika. Seitens der Kriminalpolizei werden nun weitere Schritte erwogen, aber weil nicht mehr viel Material der Verstorbenen übrig ist, ist die Anzahl der noch möglichen Versuche sehr begrenzt. Ich habe dem WDR erzählt, was ich von dem Fall wußte, was schon gemacht wurde und was nicht mehr ging (hier kann man den WDR-Beitrag sehen).
Volle Kanne (ZDF): Am 23.11.2023 gab es in der Sendung „Volle Kanne“ einen kurzen Beitrag zu unserer Arbeit mit yours truly – ich habe natürlich auch die Forensische RNA-Analyse und die Molekulare Ballistik erwähnt UND es gibt Cameos meiner beiden Doktorandinnen Annica und Kathrin 🙂 (hier kann man die Sendung sehen, der Beitrag beginnt etwa ab Minute 38)
sternTV (RTL): Am 28.02.2024 war ich live bei der Sendung „stern TV“ (Episode 8) zu Gast, als Experte zum Thema Abstammung und Genetik (hier zum Hintergrund); es ging um die Frage, welche Aussagekraft das Ergebnis eines kommerziellen Tests der Fa. „myheritage“ hat, den Marie hat durchführen lassen, demzufolge mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit ein mögliches Abstammungsverhältnis zwischen ihr und einer Person, die die Cousine zweiten Grades ihres Elternteils wäre, bestehen könnte. Die Mediathek von RTL ist kostenpflichtig, aber hier kann man einen Teil der Sendung mit yours truly sehen. War auf jeden Fall mal interessant, so eine Studio-Live-Situation sogar mit Publikum mitzuerleben und die ganze komplexe Logistik, die hinter den Kulissen läuft, zu sehen.
–
Vorträge:
Kortizes/Nürnberg: Am 26.03. war ich in Nürnberg, wo ich im wunderschönen Nicolaus-Kopernikus-Planetarium einen Vortrag zum Thema „C.S.I.rrtum – Moderne Mythen über forensische Wissenschaften treffen auf die Wirklichkeit“ gehalten habe (und ja, lieber aufmerksamer Leser, das war der Vortrag, der von SitP Köln gecancelt worden war – ich glaube im Nachhinein war es viel besser, ihn in Nürnberg gehalten zu haben 😉). Der Veranstalter war Kortizes (Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs). Das Ganze war sehr nett und professionell und ich hatte einen echt schönen Abend mit vielen interessierten Gästen. Hier kann man sich den Vortrag ansehen.
–
Fälle:
Cold Case „Karnevalsmord“: In einem über 36 Jahre alten Mordfall und cold case (hier ein WDR-Mordorte-Beitrag dazu) hatten wir die DNA-Analyse an dem jahrzehntealten Spurenmaterial durchgeführt. Hinweis: 1988, als die Tat passierte, wurde in Deutschland bei Kriminalermittlungen noch gar nicht routinemäßig DNA untersucht, auch die PCR war erst ein paar Jahre zuvor erfunden worden, d.h. man hatte bei der Spurensicherung DNA gar nicht im Sinn und ging auch nicht mit der heute üblichen Vorsicht vor. Auf die Spur des in dieser Sache später Angeklagten kam man durch einen Hinweis eines Zuschauers der Sendung „Aktenzeichen XY“:
Im KStA hieß es am 04.09.23 dazu:
„Im Dezember hatte die Polizei den „Cold Case“ in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY… Ungelöst“ präsentiert. Ein ehemaliger Bekannter hatte danach den Hinweis auf den Angeklagten gegeben. Die Rechtsmedizin konnte diesem die sichergestellte DNA an Körper und Kleidung von Petra Nohl zuordnen. Die Verteidiger Uwe Krechel und Marc Piel halten den Zeugen für unglaubwürdig. Und die DNA hätte auch beim gemeinsamen Diskobesuch übertragen werden können, argumentieren sie.“
Die Rechtsmedizin war in diesem Fall meine Abteilung für Forensische Molekulargenetik und hinter diesem Halbsatz steckt monatelange akribische Arbeit, im Rahmen derer wir ~4.000 Einzelhautschuppen von alten Fasersicherungsfolien sowie von neu auf verschiedene Kleidungsstücke der Getöteten geklebten Spurensicherungsfolien abgesucht und DNA-analysiert haben. Dabei wurde u.a. mehrfach ein DNA-Profil festgestellt, das mit dem DNA-Profil des Angeklagten übereinstimmte. Es kam zur Gerichtsverhandlung, zu der ich auch geladen wurde und für die die DNA-Befunde eine wichtige Rolle spielten.
Der Angeklagte wurde inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilt, das Urteil ist aber noch nichts rechtskräftig, da die Verteidigung in Revision gegangen ist. Wie oben angedeutet, bestreitet die Verteidigung nicht die Quelle der DNA, sondern vielmehr die Aktivität, die dazu geführt hat, daß DNA-haltiges Material des Angeklagten auf der Leiche bzw. deren Kleidung gefunden wurde. Es geht also wieder einmal um die Handlungsebene – man sieht, wie wichtig es ist, daß wir aktiv daran forschen, solche Vorgänge besser zu verstehen.
Hamburger Fall: In einem Fall aus Hamburg ging es um ein rätselhaftes Tötungsdelikt, das einer jungen Mutter vorgeworfen wurde, die zur Tatzeit im neunten Monat schwanger war. Der Verdacht fiel auf sie, weil ihre DNA am Tatort, an der Leiche und ihrer Bekleidung gefunden worden war. Zum Hintergrund hier ein Bericht im NDR. Wir hatten in der Sache im Auftrag der Verteidigung ein Gutachten auf Aktivitätenebene erstattet, in dem wir das Befundbild unter alternativen Hypothesen begutachtet haben (hier zum wissenschaftlichen Hintergrund); die Verteidigung erklärte die Spuren der Angeklagten damit, daß sie einige Tage vor der Tat in der Wohnung des Getöteten geputzt und Hausarbeiten, darunter das Falten und Zusammenlegen von Wäsche, verrichtet hatte. Diese Interpretation des Spurenbildes wurde vom Gericht zunächst nicht ernst genommen und für unplausibel erklärt, unser Gutachten zeigte jedoch, daß auch die Hypothese der Verteidigung das Spurenbild plausibel erklären konnte. Die Angeklagte, die viele Monate in Untersuchungshaft saß und auch ihr gerade neugeborenes Kind nur selten sehen durfte, wurde am Ende freigesprochen. Ein spannender Fall mit gutem Ausgang für die Angeklagte, bei dem einiges nicht gut gelaufen ist. Und der echte Mörder läuft noch frei herum…
Kommentare (10)