Ende Februar findet jedes Jahr der Spurenworkshop der Spurenkommission der DGRM statt.

Zur Erinnerung: Der historische Zweck des Spurenworkshops war, die Ergebnisse der beiden jährlichen GEDNAP-Ringversuche für forensisch-molekularbiologische Labore vorzustellen und zu diskutieren.  Inzwischen ist die Veranstaltung, die tatsächlich einmal als ganz kleiner Workshop ihren Anfang nahm, aber zu einer großen internationalen Tagung mit Hunderten Teilnehmern und zahlreichen Industrieausstellern geworden, auf der auch immer etliche wissenschaftliche Vorträge präsentiert werden.

Dieses Jahr gab es eine wichtige Neuerung, denn wir als Spurenkommission haben entschieden, einen eigenen Ringversuch („TrACE – ein Ringversuch der Spurenkommission“) anzubieten, ausgerichtet vom Institut für Rechtsmedizin in Münster, weil es, nachdem der jahrelange Ausrichter der GEDNAP-Ringversuche insolvent gegangen war, nicht gelungen ist, sich mit dem Nachfolgeinstitut, das GEDNAP übernommen hat, auf Bedingungen zu einigen, die die Spurenkommission erfüllt sehen will, um einem Ringversuch das Prädikat „Ringversuch der Spurenkommission“ zu verleihen. Die GEDNAP-Ringversuche wurden (ohne Prädikat) trotzdem weitergeführt und viele Teilnehmer des Spurenworkshops hatten auch daran teilgenommen, so daß natürlich dem Ausrichter von GEDNAP ein Vortragsslot, traditionell am Freitagnachmittag, gegeben wurde, um die Ergebnisse vorzustellen und zu diskutieren. Die Spurenkommission hat am Samstag dann auch die Ergebnisse von „TrACE“ vorgestellt. Doch ich greife vor…

Das letzte Mal waren wir in „Bielefeld“, wo meine (Ex-/Neu-)Doktoranden Kathrin, Jan und Annica über die Etablierung einer verbesserten (und vor allem schnelleren) Methode zur RNA-Extraktion aus forensischem Spurenmaterial (Kathrin), die Unmöglichkeit der Subdifferenzierung forensisch relevanter Hirnregionen mittels Untersuchung differentieller RNA- Expression (Jan) [1] und erste Ergebnisse aus dem Projekt zum „Molekularen Alibi“ (Annica) [2] gesprochen hatten.

Dieses Jahr ging es also nach Frankfurt (a.M.) und die Tagung stand, dies vorweg, unter keinem guten Stern, denn erstens fand zeitgleich eine große Messe in Frankfurt statt, so daß die Hotelpreise exorbitant hoch waren und zweitens gab es am Donnerstag einen Bahnstreik, der es für viele sehr schwer machte, nach Frankfurt zu kommen. Beides wirkte sich leider negativ auf die Teilnehmerzahlen auf. Dennoch war ich wie auch die letzten Jahre schon am Donnerstag vor Ort, um eine Fortbildungsveranstaltung (zu DNA-Transfer) für die Kollegen (mit) zu gestalten. Außerdem nahm ich am Treffen der Spurenkommission teil, die sich traditionell im Rahmen des Spurenworkshops, so auch dieses Mal am Freitagmorgen zusammensetzt.

Christian Heinz (CDU), hessischer Justitzminister (und ja, das Namensschild ist noch vom Vorredner)

Gegen Mittag begann dann das normale Programm mit Grußworten unter anderem des hessischen Justizministers, Christian Heinz, die mir sehr gut gefielen, denn er positionierte sich eindeutig gegen das Verbot der Feststellung der biogeographischen Herkunft (BGA) aus Spuren-DNA, das derzeit in Deutschland gem. StPO (noch und bekanntlich aus rein ideologischen, nicht wissenschaftlichen Gründen) besteht. Die allermeisten meiner Kollegen und auch die allermeisten Ermittler auf Polizeiseite teilen die Kritik am Verbot und daß nun auch hochrangige Politiker sich öffentlich kritisch dazu äußern, ist ein gutes Zeichen und sollte uns ermutigen, weiterhin eine Aktualisierung der StPO anzustreben, die auch in Deutschland BGA-Feststellung ermöglicht (nachdem das z.B. kürzlich erst in der Schweiz passiert ist, wozu sich yours truly übrigens im Schweizer TV geäußert hat).

Hier ein paar Vorträge, die ich besonders interessant oder spannend fand:

Die Kollegin M. Nastainczyk-Wulf aus Halle berichtete von einer institutseigenen Untersuchung zur Sicherung von Spermien aus dem Mundraum nach oraler Vergewaltigung durch den Einsatz von Mundspülung und verglich die Effizienz dieser Vorgehensweise mit der des standardmäßigen Einsatzes von Abriebtupfern (zur Erinnerung: vor 10 Jahren hatte ich hier mal eine Studie zum Einsatz von Zahnseide zu diesem Zweck vorgestellt). Es zeigte sich, daß die Methode sehr gut funktioniert (in den Händen der Kollegen sogar besser als die Standardmethode) und sich die Ausspülungen des Mundraums auch sehr gut für spätere Untersuchungen lagern lassen. Ein interessanter Denkanstoß, um evtl. das Standardprozedere bei der Sicherung von Spuren nach Sexualdelikten anzupassen.

Ebenfalls um die Detektion von Spermien ging es bei der sehr eindrucksvollen Präsentation von J. Kumme vom LKA Berlin, wo man eine sehr teure und aufwendige Anlage zur automatischen Mikrokskopabsuche von Ausstrichpräparaten angeschafft und validiert hatte. Die mikroskopische Suche in solchen Präparaten durch Menschen ist sehr zeitaufwendig und in gewissem Umfang fehleranfällig, allerdings ist die mikroskopische Detektion von Spermien ein sicherer Nachweis von Sperma und daher von großer forensischer Bedeutung. Die automatisierte Suche basiert hier auf einem aufwendig trainierten „deep neural network“ (DNN), also einer Methode des „maschinellen Lernens“, das anhand von hunderten von Beispielen sehr gut lernt, Spermien in einem Ausstrichpräparat zu erkennen.

Das LKA kann diese Methode nun in seiner Routinearbeit einsetzen und dadurch sehr viel Zeit sparen und die Dokumentation verbessern bei gleichzeitig hoher Ergebniszuverlässigkeit. (Etwas ähnliches hatten die Kollegen aus Zürich schon vor zwei Jahren publiziert [3])- Ziemlich cool!

Apropos Zürich: N. Hänggi hatte den letzten Wissenschaftsvortrag am Freitag und berichtete von den Ergebnissen von „RNAgE“, einem EU-geförderten Kooperations-Projekt unter der Leitung des Bundeskriminalamts zur Bestimmung des biologischen Alters anhand differentieller RNA-Expression, an dem neben den Zürichern und dem LKA Bayern übrigens auch wir (Annica und yours truly) beteiligt waren. In der Präsentation der Kollegin ging es um die sich ziemlich schwierig gestaltet habende Suche nach geeigneten RNA-Kandidaten aus Blutproben, aus deren gemeinsamem Expressionsmuster sich mittels geeigneter biostatistischer Algorithmen das biologische Alter der Person, von der das Blut stammt, bestimmen läßt (und ja, lieber Leser, gut aufgepasst, das geht auch und sogar wahrscheinlich etwas besser mit der Methylierungsanalyse, nur verbraucht diese sehr viel mehr Material, das man in typischen forensischen Szenarien oft nicht hat). Ein paar solcher Marker haben wir aber doch gefunden und unsere Biostatistikerin hat ein Vorhersagemodelle gebastelt, mit deren bestem wir in erster Näherung auf eine Schätzgenauigkeit von ca.+/- 4 Jahren kommen, wofür jedoch über 200 Gene einbezogen werden müssen, was das ganze sehr aufwendig macht [4]. Ist also noch einiges zu tun, aber es war auch schon von Beginn des Projekts an klar, daß es nicht einfach werden würde. Während der mehrjährigen Laufzeit sind wir als „RNAgE-Grüppli“ (wie die Zürcher uns getauft haben) jedenfalls echt zusammengewachsen und es wurde für uns sogar ein cooles „Gang-Shirt“ (und ja, die Black-Metal-Remineszenz ist durchaus beabsichtigt \m/) designt, in dem wir posiert haben:

das (wegen wegen einer Verkettung ungünstiger Ereignisse leider unvollständige (drei fehlen)) RNAgE-Grüppli

Nach der üblichen Freitagabend-Spurenworkshop-Sause mit Speis & Trank (diesmal im Casino der Uni Frankfurt), die ich traditionell hurtig verlasse, sobald zum Tanze etwas aufgespielt wird, was einige Leute “Musik” zu nennen den Humor haben, ging es am Samstagmorgen weiter mit dem Programm:

Zuerst stellten Mitglieder der Spurenkommission die Ergebnisse der Module (STRs, mtDNA, Biostatistik, vollkontinuierliche Modelle) des neuen TrACE-Ringversuchs vor (für FDP und Alter war leider keine Zeit mehr). Dafür, daß das ein erstes Mal war, war alles einigermaßen gut gelaufen und waren auch die Ergebnisse der teilnehmenden Labore recht zufriedenstellend gewesen. TrACE soll auch 2024 wieder angeboten werden, wir werden Verbesserungsvorschläge umsetzen und schauen, wie es läuft.

Ziemlich spannend am Samstag war dann noch der Fallbericht von B. Rolf von einem Privatlabor, in dem es um die Unterscheidung eineiiger Zwillinge ging, deren identisches DNA-Profil in Spuren aus einer Vergewaltigungsserie gesichert worden waren, ging. Eineiige Zwillinge sind genetisch (fast) identisch und lassen sich mittels normaler STR-Analyse bekanntlich nicht unterscheiden. Rolfs Gruppe, die inzwischen schon 11 solcher “Zwillingsfälle” bearbeitet hat, hatte jedoch schon vor 10 Jahren die erste Arbeit publiziert [5] (s. auch hier), die zeigte, daß man mittels ausreichend tiefer MP-Sequenzierung somatische Mutationen bei finden kann (die nach der Trennung der Embryonen passieren), die also nur bei einem der Zwillingspartner auftreten, so daß, wenn man eine solche Mutation wie in diesem Fall dann auch in Spurenmaterial an einem Tatort nachweisen kann (oder eben nicht), man die Spur einem der Zwillinge zuordnen kann.

Übrigens/natürlich war auch meine Gruppe wissenschaftlich wieder gut im Programm vertreten. Kathrin, die inzwischen meine Doktorandin auf dem DFG-geförderten Nukleinsäure-Projekt ist, stellte die (noch zu publizierenden) Daten ihrer Masterarbeit vor, im Rahmen derer sie eine Methode zur Identifikation forensisch relevanter Organgewebe erarbeitet hat, die wir inzwischen sogar nach DIN/ISO 17025 akkreditiert haben und in der Routinearbeit einsetzen können. Kathrins Methode baut auf einer >10 Jahre alten Methode von Lindenbergh et al. auf, hat aber viele Neuerungen und Verbesserungen.

Annica, Doktorandin im letzten Jahr, präsentierte eine Studie [6], die gewissermaßen ein “spin-off”-Produkt ihres Traces-of Time- (s. letztes Jahr) und des RNAgE-Projekts (s.o.) war und in der wir untersucht hatten, warum es so schwierig ist, RNA aus der Spurenart Speichel mittels MPS zu analysieren. Einer der Gründe ist, daß Speichel eine besonders große Menge Mikroorganismen enthält (z.B. Bakterien), deren RNA mit der Analyse menschlicher RNA interferiert. Hinzukommt, daß selbst in frischem Speichel die Degradation RNA ein echtes Problem darstellt.

Und dann hatten wir noch einen Medizinstudenten (!, das ist auf dem Spurenworkshop, wo eher Naturwissenschaftler anzutreffen sind, durchaus ungewöhnlich) dabei, der für seine Doktorarbeit >50 Studien zum „Shedder Status“, den man besser, wie er argumentierte, als „individuelle Abscheideneigung“ bezeichnen müsste, zu einer Metaanalyse zusammengefasst hat, um die Fragen zu beantworten, ob dieser Status bzw. diese Neigung überhaupt sinnvoll als Konzept fassbar ist (Antwort: ja!) und wie man sie charakterisieren (z.B. in wie viele Kategorien man sie einteilen) sollte, welche Eigenschaften sich auf Ihre Ausprägung auswirken und mit welchen Methoden man sie am besten erfassen kann (s. Bild oben). Zum Hintergrund: die individuelle Abscheideneigung, also die Neigung von Individuen, Hautzellen und -schuppen durch Kontakt mit Oberflächen abzuscheiden bzw. zu -streifen, spielt eine ganz erhebliche Rolle bei der Beurteilung von Spurenbildern im Aktivitätenkontext z.B., wenn DNA-Transfer eine Rolle bei ihrer Entstehung gespielt haben könnte. – Nicht nur war der Vortrag des Studenten gut – vor allem für ein erstes Mal auf einer solchen Tagung – seine Erkenntnisse sind auch so wichtig und interessant, daß wir sie veröffentlichen werden.

Übrigens war auch Jan, meine ehemaliger Doktorand, der an der Rechtsmedizin Kiel (von dort kam diesmal ein Vortrag zu einer vielversprechenden neuen Methode zur Extraktion von DNA auch aus sehr strapazierten Knochen) geblieben ist, wieder da und er hat immer noch einen exzellenten T-Shirt-Geschmack:

noch jemand Lust auf Pommes? \m/

So ging der 44. Spurenworkshop in Frankfurt zu Ende, der trotz schlechter Vorzeichen gelungen ist und wie immer viel Gelegenheit bot, Neues zu lernen, Bekanntes zu vertiefen und neue Ideen zum Ausprobieren zu entwickeln. Außerdem habe ich natürlich wieder viele nette Menschen, bekannte und neue, getroffen, was mich stets besonders freut. Nächstes Jahr geht es dann nach Salzburg. Ich werde da sein 🙂

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Referenzen

[1] Euteneuer, J., Moitinho-Silva, L., & Courts, C. (2024). Forensically relevant anatomical brain regions cannot be sub-differentiated by RNA expression analysis. Forensic Science, Medicine and Pathology, 1-6.

[2] Gosch, A., Bhardwaj, A., & Courts, C. (2022). TrACES of time: Transcriptomic Analyses for the Contextualization of Evidential Stains–towards estimating the time of deposition. Forensic Science International: Genetics Supplement Series, 8, 314-316.

[3] Golomingi, R., Haas, C., Dobay, A., Kottner, S., & Ebert, L. (2022). Sperm hunting on optical microscope slides for forensic analysis with deep convolutional networks–a feasibility study. Forensic Science International: Genetics, 56, 102602.

[4] Dørum, G., Hänggi, N. V., Burri, D., Marti, Y., Banemann, R., Kulstein, G., … & Neubauer, J. (2024). Selecting mRNA markers in blood for age estimation of the donor of a biological stain. Forensic Science International: Genetics, 68, 102976.

[5] Weber-Lehmann, J., Schilling, E., Gradl, G., Richter, D. C., Wiehler, J., & Rolf, B. (2014). Finding the needle in the haystack: differentiating “identical” twins in paternity testing and forensics by ultra-deep next generation sequencing. Forensic Science International: Genetics, 9, 42-46.

[6] Gosch, A., Banemann, R., Dørum, G., Haas, C., Hadrys, T., Haenggi, N., … & Courts, C. (2023). Spitting in the wind?—The challenges of RNA sequencing for biomarker discovery from saliva. International journal of legal medicine, 1-12.

 

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Kommentare (2)

  1. #1 RPGNo1
    22/03/2024

    Sehr nett! 🙂

    Danke für die spannende Zusammenfassung.

  2. #2 rolak
    22/03/2024

    Namensschild ist noch vom Vorredner .. ist ein gutes Zeichen

    Für mich auch, wenn sich Fremdorganisationen so hübsch und schadensfern irren 😉


    Wie bisher immer auch diesmal ein lehrreicher und unterhaltsamer ReiseReport!