Ende Februar findet jedes Jahr der Spurenworkshop der Spurenkommission der DGRM statt. Wegen “C-Wort” wurden die Ausgaben 41 und 42 jedoch lediglich virtuell abgehalten (Nr. 42 schon zu meiner Kölner Zeit und von meinem Kölner Team hervorragend organisiert!) und obwohl auch auf diesem Weg interessante Vorträge gehalten worden waren, war ich zu genervt und frustriert, um davon zu berichten, außerdem heißt diese Rubrik ja auch: “Auf Reisen” 😉 Umso mehr freue ich mich, daß wir dieses Jahr endlich wieder reisen und einander alle persönlich wiedersehen konnten, auch, wenn es (nur) nach “Bielefeld” gehen sollte.
Zur Erinnerung: Der historische und aktuelle Hauptzweck des Spurenworkshops ist, die Ergebnisse der beiden jährlichen GEDNAP-Ringversuche für forensisch-molekularbiologische Labore vorzustellen und zu diskutieren. Inzwischen ist die Veranstaltung, die tatsächlich einmal als ganz kleiner Workshop ihren Anfang nahm, aber zu einer großen internationalen Tagung mit Hunderten Teilnehmern und zahlreichen Industrieausstellern geworden, auf der auch immer etliche wissenschaftliche Vorträge präsentiert werden.
Das letzte Mal “in echt” waren wir in München, haarscharf bevor “C-Wort” richtig ausbrach und alle Tagungen u.ä. abgesagt wurden. Meine (Ex-)Doktoranden Jan und Annica hatten damals über die Korrelation von Schussdistanz, Wundprofil und DNA-Ausbeute aus Spuren von Backspatter aus dem Waffeninneren (ein molekularballistisches Thema) bzw. über die Variabilität der Spurenprofilzusammensetzung an Schusswaffen durch DNA-Transfer in realitätsnahen alternativen Handhabungsszenarien gesprochen.
Dieses Jahr ging es also nach “Bielefeld”. Ich war wie schon 2020 am Donnerstag vor Ort, um zwei Fortbildungsveranstaltungen (zu RNA und DNA-Transfer) für die Kollegen (mit) zu gestalten. Außerdem nehme ich, seit ich im Januar von meinen UFG-Kollegen als ein Vertreter der Rechtsmedizin dafür gewählt wurde, als neues Mitglied der Spurenkommission an deren Sitzungen teil. Abgesehen von virtuell trifft sich die Kommission traditionell im Rahmen des Spurenworkshops, so auch dieses Mal am Freitagmorgen. Gegen Mittag begann dann das normale Programm.
Vorweg: die Begeisterung und Freude vieler Kollegen einander wieder persönlich begegnen und sich austauschen zu können aber auch über die hervorragende Organisation vor Ort war mit Händen zu greifen. Bei letzterer war meine Kollegin Dr. Jane F. Silvery (ihre Geschichte findet sich übrigens auch hier) federführend, wofür sie beim Gesellschaftsabend am Freitag im Lokschuppen auch gebührlich gefeiert wurde:
Zur Einführung sprach neben dem Tagungspräsidenten
auch der Richter Jens Gnisa, der nicht nur die wissenschaftliche Arbeit und die Fortschritte in unserem Fach gelobt hat, sondern auch die Genervtheit vieler Kollegen (mich eingeschlossen) über das derzeit leider bestehende Verbot teilt, das verhindert, daß in Deutschland im Rahmen von „erweiterten DNA-Analysen“ (s. StPO §81e) bei Ermittlungsarbeiten auch die biogeographische Herkunft von Spurenlegern bestimmt werden kann. Ich hatte 2019 darüber berichtet und meine Einschätzung mitgeteilt, daß es sich bei dieser Auslassung
„wahrscheinlich um einen politisch-korrekt eingeschüchterten Zurückzuckreflex des Gesetzgebers […], womöglich u.a. als Reaktion auf den Aktionismus“
bestimmter ideologisch motivierter Lobbygruppen gehandelt hat. Das denke ich auch heute noch und hoffe, daß dieser Fehler in Zukunft korrigiert wird, u.a. weil so auch die anderen FDP-Merkmale (Haut-, Augen- und Haarfarbe sowie Lebensalter) besser bestimmt und v vor allem kontextualisiert werden könnten.
Das eigentliche Programm war bunt gemischt, es gab Vorträge zu NGS, zur methylierungsbasierten Altersschätzung, zur genetischen Diagnostik beim plötzlichen Herztod („molekulare Autopsie“), zur Bestimmung von Körperflüssigkeiten (mittels RNA-Analyse oder methylierungssensitiver Restriktionsendonukleasen (MSRE)) u.v.a.m.
Vorträge, die ich besonders interessant oder spannend fand:
Die Kollegin A. Sorg aus Bern hatte sich, anläßlich eines Gerichtsurteils, das diese Möglichkeit zur Erklärung eines vermeintlich belastenden DNA-Befundes anheimstellte, mit DNA auf Steinen und der Frage befaßt, wieviel Hintergrund-DNA auf draußen herumliegenden, also umweltexponierten Steinen nachweisbar ist. Dafür ist sie über Monate viele Stunden durch Bern gelaufen, klaubte 108 Steine vom Boden auf, dokumentierte genau Fundort,
Eigenschaften und Wetter (zur Fundzeit) und analysierte sie im Labor. Sie kam zu dem Ergebnis, daß auf 6,5 % der Steine gut auswertbare DNA-Profile nachweisbar waren und daher in der Tat Hintergrund-DNA auf Steinen bei der Bewertung vor Gericht berücksichtigt werden sollte (wenn z.B. ein Stein zum Einwerfen einer Scheibe oder Einschlagen eines Schädels verwendet wurde). Außerdem fand sie, daß Temperatur und Porosität des Steins jeweils indirekt proportional zur erhaltbaren DNA-Menge waren. Sehr interessante und gerade zum Thema DNA-Transfer relevante Ergebnisse also!
Der Vortrag „Identifizierung von Verstorbenen in Mexiko – Hand- und Fußgelenkssehnen als alternatives DNA-Material?“ von V. Birne aus Frankfurt war auch sehr interessant, wenngleich auch bedrückend, da hier die grausamen Folgen des Kriegs gegen die Drogen in Mexico sehr deutlich wurden. In der vorgestellten Studie wurde nämlich untersucht, ob sich bei aus Massengräbern in Mexico (, worin die von Drogenkartellen ermordeten und zerstückelten Opfer entsorgt werden,) geborgenen menschlichen Überresten Hand- und Fußgelenkssehnen als alternative DNA-Quelle eignen. Zusätzlich wurde geprüft, ob sich handelsübliches und auch in Mexico leicht erhältliches und preisgünstiges Tafelsalz (NaCl) als Konservierungsmittel eignet, um eine längere Lagerung und spätere DNA-Analyse zu ermöglichen. Es zeigte sich, daß beide Hypothesen bestätigt werden konnten: aus 38 von 42 Sehnenproben konnten vollständige oder doch für eine Identifizierung geeignete DNA-Teilprofile erstellt werden und das Einlegen in Salz erhöhte deutlich die meßbare DNA-Konzentration (auch nach 6 Monaten noch) sowie leicht die Vollständigkeit der zu erhaltenden DNA-Profile im Vergleich zu unbehandelten Proben. Bei all diesen Arbeiten und dem Transport des Gewebematerials von Mexico nach Frankfurt mußten natürlich ganz erhebliche administrative, ethische und logistische Schwierigkeiten überwunden werden und die Sprecherin erhielt dafür am Ende der Tagung auch den „Peter M. Schneider Young Scientist Award“, den wir als Spurenkommission dieses Jahr (in Andenken an Peter Schneider) eingeführt und zum ersten Mal vergeben haben. Dazu Gratulation!
Übrigens/natürlich war auch meine Gruppe wissenschaftlich wieder gut im Programm vertreten. Kathrin, die gerade ihren Master zu einem Thema der forensischen RNA-Analyse bei uns macht, hielt ihren ersten Vortrag auf einer Tagung und stellte Daten vor, die sie bei der Etablierung einer verbesserten (und vor allem schnelleren) Methode zur RNA-Extraktion aus forensischem Spurenmaterial gesammelt hatte.
Annica präsentierte eindrucksvolle erste Ergebnisse aus ihrem Projekt zum „Molekularen Alibi“ (ich hatte vor einer Weile ja erzählt, daß wir eine neue DFG-Förderung dafür erhalten hatten) unter dem Titel: „TrACES of Time: Transcriptomic Analyses for the Contextualization of Evidential Stains – Identifizierung von mRNA-Markern zur Bestimmung des Tageszeitpunkts einer Spurendeposition“ [1]. Das Projekt wird sie noch bis Mitte 2024 beschäftigen.
Jan, mein ehem. Doktorand, der seine Arbeit im Bereich Molekulare Ballistik gemacht hatte und seit Ende 2021 Gutachter in der Abt. f. forens. Genetik der Rechtsmedizin Kiel ist, hielt den finalen Vortrag zur inzwischen ausgelaufenen Förderung der Molekularen Ballistik und erklärte, daß und warum eine „Lokalisierung von Kopfschüssen“ anhand der „Subdifferenzierung forensisch relevanter Hirnregionen mittels Untersuchung differentieller RNA- Expression“ [2] nicht möglich ist (das ist ja auch ein valider, wichtiger Befund!). Er überzeugte nicht nur mit einem wieder einmal sehr unterhaltsamen Vortrag, sondern auch mit seinem exzellenten T-Shirt-Geschmack:
Kollege Olli Krebs aus Hamburch (seine Geschichte findet sich auch hier), hielt dann schließlich den allerletzen Vortrag am Samstag. Er hatte sich dafür extra und gegen den ausdrücklichen Rat seiner Gemahlin ein überaus kleidsames Hawaiihemd mit bunten aufgedruckten Schädeln zugelegt, das er, schon am Podium stehend, erst einmal auspackte und anzog (so viel Zeit mußte sein!),
um uns, derartig passend gewandet, die „Angst vor alten Knochen“ zu nehmen. Olli, der viel Erfahrung mit DNA-Analysen aus Knochen hat (kommt ja aus der Anthropologie), beschrieb uns seine in Jahren optimierte Methode (ein „Trick“ sei, besonders feines Knochenmehl mit sehr hoher Oberfläche zu erzeugen) und berichtete von ein paar Knochenfunden, bei denen er sie erfolgreich einsetzte. Ein Knochen, der ihm besonders alt vorkam, bei dem die Methode aber dennoch funktionierte, wurde schließlich C14-radiodatiert, wobei sich herausstellte, daß der Knochen ca. 2.700 Jahre alt war! Ich war beeindruckt (und überzeugt, daß Ollis Methode recht gut funktioniert).
So ging der 43. Spurenworkshop in „Bielefeld“ (das überzeugend seine Existenz vortäuschte ;-)) zu Ende, der deutlich besonderer und besser war, als diese Beschreibung vermuten läßt und viel Gelegenheit bot, Neues zu lernen, Bekanntes zu vertiefen und neue Ideen zum Ausprobieren zu entwickeln. Außerdem habe ich natürlich wieder viele nette Menschen, bekannte und neue, getroffen, was mich stets besonders freut. Nächstes Jahr geht es dann nach Frankfurt am Main. Ich werde da sein 🙂
Nachtrag am 30.03.2023:
Es gibt jetzt sogar ein schickes Video mit ein paar Eindrücken aus Bielefeld:
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Referenzen
[1] Gosch, A., Bhardwaj, A., & Courts, C. (2022). TrACES of time: Transcriptomic Analyses for the Contextualization of Evidential Stains–towards estimating the time of deposition. Forensic Science International: Genetics Supplement Series, 8, 314-316.
[2] Euteneuer, J., Moitinho-Silva, L., & Courts, C. (2022). Towards localizing head shots–Forensic sub-differentiation of anatomical brain regions by differential RNA expression. Forensic Science International: Genetics Supplement Series, 8, 178-180.
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