Die Hessen haben
gewählt, auch wenn über die politische Zukunft des Landes
nun noch in Koalitionsgesprächen verhandelt werden muss.
Erfreulich war schon mal, dass der Themenbereich ‘Erneuerbare
Energien’ in diesem Landtagswahlkampf sehr präsent war, obwohl
in den letzten Wochen viele Diskussionsthemen durch die
Jugendgewalt-Debatte nach hinten geschoben wurden.
Als Informatiker
beschäftigt mich jedoch noch ein weiterer Aspekt dieser Wahl:
Die in einigen Wahlkreisen eingesetzten Wahlcomputer. Über
diesen Einsatz hat es in den letzten Stunden einige beunruhigende
Berichte gegeben, auf die ich hier kurz eingehen möchte.
Zunächst ein
paar Hintergrundinformationen: In Hessen wird nicht flächendeckend
am Bildschirm gewählt, sondern bislang nur in acht Wahlbezirken.
Zum Einsatz kommen dabei Systeme des niederländischen
Unternehmens NEDAP,
die teilweise auch schon in der Bundestagswahl 2005 verwendet wurden
– ein entsprechendes Wahlprüfungsverfahren
ist übrigens seitdem anhängig und soll Anfang diesen Jahres
vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden werden.
Weil die
Verwendung von Wahlcomputern als umstritten gilt, da eine technische
Manipulation der Wahlergebnisse von vielen Experten für möglich
gehalten wird, hat der Chaos Computer Club (CCC)
vor der Hessen-Wahl interessierte Bürger dazu aufgerufen, sich
als Wahlbeobachter zur Verfügung zu stellen und in den
Wahllokalen zu beobachten, wie sich der Einsatz der Rechner praktisch
gestaltet.
CCC – das sind
doch aber eigentlich die bösen Jungs – oder nicht? Nun, der
CCC ist offiziell eine Vereinigung zur Förderung von Datenschutz
und Kommunikationsfreiheit, die ursprünglich in den 80er Jahren
als eine Art „Hacker-Club“ ins Leben gerufen wurde. Diverse
fragwürdige Aktionen und Personen werden mit dem CCC in
Verbindung gebracht, darunter beispielsweise der als „Dr. Kimble“
bekannte Kim Schmitz. Nichtsdestotrotz steht außer Frage, dass
in der CCC sehr viele talentierte Experten für
Computersicherheit organisiert sind, so dass ihrem Urteil
hinsichtlich der Wahlcomputer einiges Gewicht beigemessen werden
sollte.
Diese
Wahlbeobachtungs-Aktion hat nun einige unschöne Vorkommnisse ans
Tageslicht gebracht, über die inzwischen dankenswerterweise auch
in Mainstream-Medien wie dem FOCUS
oder dem Handelsblatt
berichtet wird:
1) Alle neun
Wahlcomputer der Gemeinde Niederhausen wurden vor der Wahl in den
Privathäusern lokaler Ortspolitiker gelagert – Politiker,
deren Parteien selbst bei der Wahl antraten. Dies ist ein
eklatanter Regelverstoß, der aber wohl häufig vorkommt –
so gaben Mitarbeiter des Ordnungsamtes gegenüber
Wahlbeobachtern zu Protokoll, dass mit den Geräten vor einer
Wahl generell so verfahren werde. [Quelle]
2) In
Obertshausen wurden die Wahlbeobachter vor dem Wahllokal abgefangen
und durften dieses nicht betreten. Anschließend wurden ihre
Personalien aufgenommen und ihnen mit einer Anzeige wegen Störung
der Wahl gedroht – wobei ihre einzige Verfehlung bis zu diesem
Zeitpunkt darin bestand, dass sie darauf pochten, den Aufbau und die
Inbetriebnahme der Computer mit ansehen zu wollen. Ihr Hinweis auf
die Paragraphen im Wahlgesetz, in denen die Öffentlichkeit der
Wahlvorbereitung festgelegt ist, wurde mit der Aussage „Sie haben
hier gar keine Rechte“ quittiert. Anschließend wurden die
Beobachter auch aus dem Umkreis des Wahllokals verbannt
und mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen. [Quelle]
3) In Viernheim
versagte der Wahlcomputer – ein Ersatzgerät war nicht
verfügbar und konnte erst nach einer Stunde Wartezeit in
Betrieb genommen werden. Wählern, die z.B. aus beruflichen
Gründen diese Stunde nicht erübrigen konnten, wurde damit
effektiv die Möglichkeit zur Ausübung ihres Wahlrechtes
genommen – etwas, dass bei einer „Papierwahl“ niemals hätte
passieren können. [Quelle]
4) Den
schlimmsten bisher bekanntgewordenen Schnitzer leistete man sich in
Lampertheim: Dort wurden die vor dem noch verschlossenen Wahllokal
wartenden Wahlbeobachter von den Lieferanten der Wahlcomputer
irrtümlich für Wahlhelfer gehalten. Das NEDAP-Gerät
wurde ihnen daraufhin ohne Überprüfung der Personalien
oder auch nur die Frage nach dem Namen einfach ausgehändigt,
woraufhin sie es eine Viertelstunde bis zum Eintreffen des ersten
„echten“ Wahlhelfers bewachen durften. [Quelle]
Insgesamt taten
sich auf der einen Seite etliche Möglichkeiten der Manipulation
auf, während auf der anderen Seite einfache Anfragen oft recht
harsch beantwortet und diversen Beobachtern mit Anzeigen und
Strafverfolgung gedroht wurde. Der hessische Wahlleiter, Bernhard
Emrich, soll vor der Wahl ein Schreiben verfasst haben, von dem
inzwischen ein unscharfes, heimlich im Wahllokal geschossenes Foto im
Netz aufgetaucht ist. [Quelle]
Hierin warnt er vor Störaktionen von CCC-Mitgliedern, die „sich
als Wahlhelfer ausgeben“ und beabsichtigen „Unregelmäßigkeiten
mittels Fotos [zu] dokumentieren“. Da diese Absicht zwangsläufig
„zu Störungen im Wahllokal“ führe, werden die
Wahlleiter im Schreiben dazu aufgefordert, die Beobachtungsaktionen
zu unterbinden.
Aus der Tatsache,
dass im Schreiben relativ offen gesagt wird, dass es wohl durchaus zu
Unregelmäßigkeiten kommen könnte (zumindest lässt
es sich so interpretieren) mag jeder seine eigenen Schlüsse
ziehen. Fest steht, dass hier die Beobachtung eigentlich öffentlich
stattfindender Vorgänge unterbunden werden soll. Unabhängig
davon, wie man zu der Aktion des CCC stehen mag, wird der Wahlvorgang
offenbar auch von berufener Stelle als „gefährlicher“ als
eine Urnenwahl eingestuft, da man ja entweder Angst vor tatsächlichen
Manipulationen zu haben scheint, oder die Aufdeckung von
Unregelmäßigkeiten befürchtet. Alles Sorgen, die sich
bei einer Wahl mit Kugelschreiber und Papier gar nicht erst auftun.
Neben den bereits
angeführten Problemen ist es darüber hinaus auch zu weniger
schlimmen und eher zu erwartenden Technik-Ausfällen gekommen:
Viele ältere Mitbürger kamen mit der Bedienung des
Wahlcomputers nicht zurecht und mussten sich von den Wahlhelfern
assistieren lassen, die selbst manchmal nicht so richtig Bescheid
wussten. [Quelle]
Auch bei der Veröffentlichung der Ergebnisse hakte scheinbar die Technik: Die Ergebnisse für Lampertheim wurden gegen 19.20 auf der Seite
des Hessischen Wahlleiters bekanntgegeben [Quelle],
da im Vergleich zu 14.641 Wählern in 2003 aber nur 1.689 in die
aktuellen Ergebnisse eingingen, und die Wahlbeteiligung bei aller
Politikverdrossenheit nicht so stark gesunken ist, konnte dieses
vorläufige Ergebnis noch nicht so recht passen. Um 19.21 wurde
die Freigabe dann auch wieder zurückgezogen [Quelle],
und die etwas später erneut veröffentlichten vorläufigen
Ergebnisse sahen dann schon ganz anders aus [Quelle].
Keines dieser
Probleme deutet auf eine Manipulation oder eine aus anderen Gründen
ungültige Wahl hin. Sie verdeutlichen aber, dass die
Anfälligkeit einer Computerwahl sowohl für gezielte
Manipulationen als auch für technische Ausfälle wesentlich
höher ist, als dies bei einer „traditionellen“ Wahl der Fall
wäre. Als Informatiker bin ich alles andere als technikfeindlich
und sehe durchaus die Vorteile einer Computerwahl. Die Wahlen sind
aber nicht ohne Grund eines der kostbarsten Güter unserer
Demokratie – und wir sollten erst dann dazu bereit sein, auf Urnen
und Wahlzettel zu verzichten, wenn wir ganz sicher sein können,
dass wir es richtig hinbekommen. Wenn auch nur an der Hälfte der
Geschichten, die zur Zeit in Blogs und Foren diskutiert werden, und
die ich in diesem Post längst nicht alle berücksichtigen
konnte, tatsächlich etwas dran sein sollte, dann hat der
hessische Versuchsballon den Beweis dafür erbracht, dass wir es
momentan noch nicht können. Und das sollte uns allen vor der
nächsten Wahl eine Denkpause wert sein.
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