1 / 2

Kommentare (17)

  1. #1 Gunbar
    29. Januar 2009

    Eigentlich sollte es keine Frage sein, ob Eltern bestraft Werden oder zumindest Sanktionen Erfahren sollten, wenn sie ihre Kinder für Urlaub schwänzen lassen. Ebenso absurd ist es, Eltern mit Geld dafür zu entlohnen, dass sie ihre sonst vernachlässigten Kinder zur Schule schicken. Damit, das wird hier ja deutlich angemerkt, bestraft man nämlich gleichzeitig alle Eltern, die ihre Pflicht tun und ihre Kinder ohne Probleme zur Schule schicken. Und wenn 100 Euro nicht reichen, was kommt dann? 1000, 10 000?? Das ist absolut absurd. Wenn man den Menschen nicht beibringen kann, das Bildung an sich ein Wert ist, das sie immer eine Chance bedeutet, dann kann man das auch nicht tun, in dem man sie mit einem Geldwert verknüpft.

  2. #2 Ludmila
    29. Januar 2009

    Ach Christian,
    was nichts kostet oder zumindest Mühe macht, oder gar als Zwang empfunden wird, ist nichts wert. So ticken die meisten Menschen nun mal.

    Bsp.: Für meinen Großvater hat Bildung einen extrem hohen Wert. Aber seine Eltern waren noch Analphabeten, bitterarm, er selbst musste Stunden laufen, um in die Schule zu kommen, für ihn war Bildung der Weg aus den bitterarmen Verhältnissen in der rumänischen Bukovina aufzusteigen => Bildung ist was wert.

    Eigentlich folgt daraus, dass man das Schulgeld wieder einführen müsste. Im Moment zahlen die Leute zwar alle Schulgeld: Aber unpersönlich über Steuern. Wir sehen gar nicht wohin das Geld fließt und wie viel oder wenig uns das wert ist.

    Vielleicht sollte man da ansetzen. Natürlich mit entsprechenden Härtefallregelungen.

    Übrigen gilt das gleiche, was für die Bildung gilt, auch für die Demokratie. Mit welcher Selbstverständlichkeit die Leute heute über die Politik schimpfen, für die vor gar nicht allzu langer Zeit noch Menschen in diesem Land Menschen getötet und gefoltert wurden.

    Da kann man schon zum Misanthropen werden.

  3. #3 Marie
    29. Januar 2009

    Es ist nun mal so, dass Bildung nur bei einem Teil der Bevölkerung als Wert geschätzt wird. Mehr als ideeller Wert denn als monetärer. Ein postdoc mit einem Einser-Examen darf sich über zweierlei freuen: Erstens über seine zurückliegende Prüfung und zweitens über seine Eltern, die ihn die ganze Zeit finanziell-existenziell ausreichend ausgestattet haben. Er kann sich aber nicht über sein monatliches Einkommen aus Laborarbeit an einem wissenschaftlichen Institut freuen, wenn er es vergleicht mit dem Einkommen, das ehemalige Schulkameraden haben (Bsp.: nach der Hauptschule mit 16 eine betriebliche Ausbildung begonnen, Facharbeiterbrief mit 19, somit seit 13 Jahren Industriegehalt und unbefristeter Arbeitsvertrag in einem Großbetrieb).

    Wert der Bildung? Hauptschule reicht doch offenbar, gut, meinetwegen auch Realschule.

    Völlig richtig, Christian, es ist ein Unding und aus dem Tollhaus, dass für die Nichtbegehung von Ordnungswidrigkeiten im Falle von Schulabsentismus Prämen bezahlt werden sollen. Es sind doch überwiegend jene Familien (oder das, was noch davon übrig ist), die man dem Prekariat zurechnet oder die als Integranden besonders in der Schule in den Genuss von besonderen stützenden/fördernden Maßnahmen gelangten, könnten sie sich denn zur Anwesenheit entschließen.

    Wenn Kindergeld nicht als periodischer Zeugungsprämienabschlag sondern als staatlicher Erziehungs-/Bildungs-Honorarzuschuss, also leistungsbezogen, verstanden würde…, wenn es dann am Tresen auf dem Schulsekretariat nach erfolgtem Unterrichtsbesuch täglich ausgehändigt würde…

    Und so lange dies nicht erfolgt, verhängen die Ordnungsämter weiterhin Bußgeldbescheide, die dann anschließend vom Sozialamt bezahlt werden müssen. Das ist auch ein Aspekt in der Diskussion um den Wert der Bildung.

  4. #4 Bernd
    29. Januar 2009

    @ Christian Reinboth: Dieser Beitrag wird auf den ScienceBlogs unter den Kategorien “Geistes- & Sozialwissenschaften” sowie als “Politik” geführt. “Politik” kann ich nachvollziehen, man kann die Ausführungen von Christian als politisches Statement werten.

    Der wissenschaftliche Gehalt des Textes, der eine Einordnung unter “Geistes- & Sozialwissenschaften” rechtferigen würde, erschließt sich mir hingegen nicht. Die Ausgangsfrage lautet: Welche Interventionen sind nötig, um Kinder aus bildungsfernen Familien wieder an die Schule und einen regelmäßigen Schulbesuch heranzuführen. Der Vorschlag “wirtschaftliche Anreize” wird vor allem mit dem (normativ aufgeladenen) Hinweis auf Verteilungs(un)gerechtigkeit abgetan (inklusive Stilmittel “alleinerziehende Mutter”).

    Ein wissenschaftlich überzeugendes Argument würde sich auf empirische Studien stützen, die entweder die Wirksamkeit von negativen oder positiven Sanktionen (Anreizen) belegen. Meines Wissens nach gibt es solche Untersuchungen für Delinquenzformen wie Schulschwänzen/-verweigerung nicht — zumindest nicht für Deutschland. Eine kurze Recherche nach passenden Systematischen Reviews bei der Campbell Collaboration brachte auch keine wirklich überzeugenden Ergebnisse. (Achtung, persönliche Meinung: Ich denke übrigens nicht, dass Bußgelder ein überzeugendes Mittel sind, die Eltern vom regelmäßigen Schulbesuch der Kinder zu “überzeugen”.)

    Der Beitrag endet mit folgendem Statement:

    “Was aber müsste geschehen, damit Bildung von Eltern und Kindern wieder als das gesehen wird, was sie wirklich ist – als eine großartige (und oft die einzige) Chance, die eigene Zukunft aktiv zu gestalten, als die beste Möglichkeit, die Wunder dieses Lebens zu begreifen und mit anderen Augen zu sehen sowie natürlich als die „Eintrittskarte” in eine faszinierende Welt des Wissens und der Erkenntnis?”

    Wir haben im Rahmen des Projektes Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln unter anderem an die 20 Interviews mit Jugendlichen durchgeführt, die teilweise seit Jahren nicht mehr in der Schule waren. Diese Jugendlichen (und auch deren Eltern oder Elternteile) erreicht man natürlich nicht mehr mit (verzeih’ meine Direktheit) Plattitüden wie “eigene Zukunft aktiv gestalten”, “Wunder dieses Lebens begreifen” oder “faszinierende Welt des Wissens und der Erkenntnis”. Und solchen Dinge wie kulturelles Kapital oder Vererbung sozialer Ungleichheit oder die Befunde der PISA-Studien sollten auch nicht gänzlich unbekannt sein. Just my 2 (könnte noch mehr schreiben, habe aber keine Zeit…).

  5. #5 Christian Reinboth
    29. Januar 2009

    @Bernd: Die Einordnung in die Kategorie “Sozialwissenschaften” erklärt sich aus dem Umstand, dass sowohl das Problem der Schulverweigerung als auch die Frage, mit welcher Form der Incentivierung sich Schulverweigerung minimieren lässt, relativ eindeutig einen sozialwissenschaftlichen Bezug aufweisen. Entgegen der Erwartungshaltung mancher Leser ist es jedoch nicht so, dass jeder Beitrag auf den ScienceBlogs den wissenschaftlichen Gehalt eines publizierten Papers aufweist. Wäre dies der Fall, würden hier vermutlich keine fünf Blogeinträge pro Monat erscheinen, da es sich für die Autoren um ein reines Freizeitprojekt handelt. Dies schließt ein, dass es auch einmal gestattet ist, sich emotional und ohne wissenschaftlichen Gehalt über die offensichtliche Abwertung des Kulturfaktors “Bildung” zu echauffieren, der mit dem im SPIEGEL besprochenen Vorschlag einhergeht.

    Der Vorschlag “wirtschaftliche Anreize” wird vor allem mit dem (normativ aufgeladenen) Hinweis auf Verteilungs(un)gerechtigkeit abgetan (inklusive Stilmittel “alleinerziehende Mutter”).

    Das stimmt so nicht. Der Vorschlag wird auch mit dem Hinweis darauf abgetan, dass die Analogie “wie in der Wirtschaft” extrem fehlerhaft ist, da “vernünftiges Verhalten” allein in der Wirtschaft kaum belohnt wird. Darüber hinaus habe ich darauf hingewiesen, dass ich es für – gelinde gesagt – völligen Schwachsinn halte, negative Verhaltensweisen wie die Vernachlässigung von Kindern rückwirkend zu alimentieren. Die “alleinerziehende Mutter” war übrigens nicht als Stilmittel gedacht – mir sind selbst einige alleinerziehende Mütter bekannt, die jeden Monat hart zu kämpfen haben, die aber aufgrund ihres sozial vorbildlichen Verhaltens niemals in den Genuß einer “Elternprämie” kommen würden, was ein klarer Fall von Fehlallokation wäre.

    Ein wissenschaftlich überzeugendes Argument würde sich auf empirische Studien stützen, die entweder die Wirksamkeit von negativen oder positiven Sanktionen (Anreizen) belegen. Meines Wissens nach gibt es solche Untersuchungen für Delinquenzformen wie Schulschwänzen/-verweigerung nicht — zumindest nicht für Deutschland.

    Um es auch mal ganz direkt zu sagen: Das Fehlen wissenschaftlicher Erkenntnisse zur wirksamen Anreizschaffung bei Schulverweigerung ist aus meiner Sicht lediglich ein weiterer Grund dafür, keine Steuergelder mit Experimenten zu verschwenden.

    Wir haben im Rahmen des Projektes Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln unter anderem an die 20 Interviews mit Jugendlichen durchgeführt, die teilweise seit Jahren nicht mehr in der Schule waren. Diese Jugendlichen (und auch deren Eltern oder Elternteile) erreicht man natürlich nicht mehr mit (verzeih’ meine Direktheit) Plattitüden wie “eigene Zukunft aktiv gestalten”, “Wunder dieses Lebens begreifen” oder “faszinierende Welt des Wissens und der Erkenntnis”.

    Da 20 Interviews ganz sicher keine Repräsentativschlüsse ermöglichen, sind die Aussagen sicher nur als Indikator dafür zu werden, welche Faktoren möglicherweise zur Schulverweigerung beitragen. Dass es Jugendliche gibt, die derartig abgestumpft sind, dass man sie weder um ihrer eigenen Zukunft Willen zum Lernen motivieren noch ihr Interesse am Verständnis der Welt wecken kann, ist in der Tat traurig. Platitüden sind dies trotzdem nicht, insbesondere nicht der Hinweis auf die Gestaltung der eigenen Zukunft, die – auch das dürfte allgemein bekannt sein – ganz erheblich vom Bildungsniveau abhängt. Warum man im übrigen die Eltern solcher Jugendlichen für ihren Beitrag zur Abgestumpftheit der Kinder noch alimentieren sollte, erschließt sich mir aus diesen Argumenten nicht.

    Und solchen Dinge wie kulturelles Kapital oder Vererbung sozialer Ungleichheit oder die Befunde der PISA-Studien sollten auch nicht gänzlich unbekannt sein.

    Sind sie auch nicht. Ich halte es aber für falsch, aus solchen Erkenntnissen den Schluss ziehen zu wollen, dass es ganze gesellschaftliche Gruppen gibt, die auf eine Art und Weise benachteiligt sind, die es erforderlich machen würde, sie wie Kinder permanent an die Hand zu nehmen und wechselweise entweder zu bestrafen oder zu belohnen. Wie zahlreiche individuelle Lebenswege zeigen, ist der soziale Aufstieg auch aus einer bildungsfernen Schicht durchaus möglich, wenngleich er natürlich mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist. Individuelle Förderung ist daher sinnvoll, die breite Alimentierung von eindeutigem Fehlverhalten, die in NRW diskutiert wird, ist es aber keinesfalls. Nicht jede Maßnahme, die auf eine benachteiligte Gruppe abzielt, ist nur deshalb sinnvoll, weil sie auf diese Gruppe abzielt.

  6. #6 Bernd
    29. Januar 2009

    Mist, jetzt lasse ich mich doch darauf ein… 🙂

    @ Christian Reinboth, 29.01.09, 16:59 Uhr:

    Du schreibst: “Die Einordnung in die Kategorie “Sozialwissenschaften” erklärt…” Mir ist schon klar, dass ich auf einem Blog bin und (ich in den meisten Fällen) keine fachwissenschaftlichen Artikel erwarten darf. Ich bin in der Hinsicht nur etwas puristischer als Du.

    Damit keine Mißverständnisse auftauchen: Ich habe mich weder befürwortend noch ablehnend dem Vorgehen in Oer-Erkenschwick gegenüber geäußert. Mein Hinweis war, evidenzbasiert vorzugehen.

    Ich stimme Dir zu, dass die Analogie zum “Wirtschaftssystem” nicht zutrifft.

    Du schreibst weiter: “Da 20 Interviews ganz sicher keine Repräsentativschlüsse ermöglichen, sind die Aussagen sicher nur als Indikator dafür zu werden, welche Faktoren möglicherweise zur Schulverweigerung beitragen.”

    1. Um Faktoren der Schulverweigerungen ging es in meinem Absatz nicht. Vielleicht hast Du die bloße Nennung unseres Projektes dahingehend interpretiert?
    2. Ich bin fast geneigt, den Hinweis auf die “Repräsentativschlüsse” persönlich zu nehmen 😉 Hast Du Dir mal mein Blog angeguckt? Ich habe geschrieben, dass wir “unter anderem” qualitative Interviews durchgeführt haben. Darüber hinaus haben wir Analysen zu den Determinanten der Schulverweigerung durchgeführt, wo, je nach Datensatz, zwischen mehreren hundert bis über 30.000 Fälle zur Verfügung standen. Einige Befunde haben wir in einem Buch zusammengetragen: Schulabsentismus. Soziologische Analysen zum Einfluss von Familie, Schule und Freundeskreis.

    “Platitüden sind dies trotzdem nicht, insbesondere nicht der Hinweis auf die Gestaltung der eigenen Zukunft, die – auch das dürfte allgemein bekannt sein – ganz erheblich vom Bildungsniveau abhängt.”

    Die zweite Hälfte des Satzes deckt sich mit meinem Hinweis auf die Vererbung sozialer Ungleichheit etc. Von “Platitüden” habe ich geschrieben, weil Dir (und mir und den meisten anderen LeserInnen) die Nützlichkeit und Wichtigkeit von Wissen klar ist. Jugendliche, die massiv die Schule schwänzen, kannst Du mit derlei Ausführungen nicht hinter dem Ofen hervorlocken.

    “Warum man im übrigen die Eltern solcher Jugendlichen für ihren Beitrag zur Abgestumpftheit der Kinder noch alimentieren sollte, erschließt sich mir aus diesen Argumenten nicht.”

    Was für ein Argument? Ich habe an dieser Stelle keine Argumente dafür vorgebracht, dass Eltern auf irgendeine Art und Weise alimentiert werden sollen. Mich hat, ehrlich gesagt, nur der etwas “bildungsbürgerliche” Tonfall Deines letzten Absatzes gestört — in der Sache stimme ich Dir zu. Wenn es sinnvolle (!) Möglichkeiten gibt, den Jugendlichen eine Chance auf künftige gesellschaftliche Teilhabe zu eröffnen, dann sollte man diese nutzen. Wenn sich empirisch zeigen ließe, dass das mit finanziellen Anreizen funktioniert, dann sollte man das auch machen. Wenn entsprechende Maßnahmen fehlschlagen und das Absentismusverhalten nicht reduziert wird, dann müssen andere Maßnahmen ersonnen werden.

    Darüber hinaus habe ich den Eindruck, dass Du vor allem auf das Verhalten der Eltern eingehst und die schwänzenden Kinder/Jugendlichen in den Hintergrund geraten. Wenn bestimmte Maßnahmen (präventiv, interventiv oder rehabilitiv) Kindern/Jugendlichen helfen, ein bestimmtes Bildungszertifikat zu erlangen, dann ist mir persönlich egal, wenn davon auch die Eltern profitieren. Auch wenn der eine oder die andere es als ungerecht empfinden mag.

    “[…] Ich halte es aber für falsch, aus solchen Erkenntnissen den Schluss ziehen zu wollen, dass es ganze gesellschaftliche Gruppen gibt, die auf eine Art und Weise benachteiligt sind, die es erforderlich machen würde, sie wie Kinder permanent an die Hand zu nehmen und wechselweise entweder zu bestrafen oder zu belohnen. Wie zahlreiche individuelle Lebenswege zeigen, ist der soziale Aufstieg auch aus einer bildungsfernen Schicht durchaus möglich, wenngleich er natürlich mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist. Individuelle Förderung ist daher sinnvoll, die breite Alimentierung von eindeutigem Fehlverhalten, die in NRW diskutiert wird, ist es aber keinesfalls. Nicht jede Maßnahme, die auf eine benachteiligte Gruppe abzielt, ist nur deshalb sinnvoll, weil sie auf diese Gruppe abzielt.”

    Auch das werte ich mal als persönliches Statement, denn aus meinen Ausführungen lassen sich solche Massnahmen nicht ableiten. An dieser Stelle noch einmal der Hinweis: Ich habe mich weder für noch gegen finanzielle Anreize ausgesprochen.

  7. #7 Christian Reinboth
    29. Januar 2009

    @Bernd:

    Ich sehe schon, wir sind uns vermutlich einiger als ich zunächst angenommen habe. Was die Bloggerei angeht, sehe ich die Sache vermutlich nicht ganz so puristisch. Auch in diesem Blog gibt es evidenzbasierte Ausführungen mit Quellen etc., aber gelegentlich eben auch den einen oder anderen persönlichen Kommentar.

    Da ich mir den Blog natürlich nicht angesehen hatte (das habe ich inzwischen aber nachgeholt), ist mir auch jetzt erst klargeworden, dass hier jemand kommentiert der sich beruflich tatsächlich mit der Thematik auseinandergesetzt hat. So gesehen hat eine fachliche Diskussion über die Maßnahme vermutlich wenig Sinn, da das Thema für mich einerseits ein eher emotionales ist und mir andererseits der fachliche Background fehlt.

    Der Kommentar zum Repräsentativitätsschluss ist im Übrigen nicht generell abwertend zu verstehen. Ich bin nur einfach aus der Erfahrung heraus ein großer Befürworter quantitativer Markt- und Meinungsforschung und stehe dafür der qualitativen Forschung sehr skeptisch gegenüber, da ich schon oft erlebt habe, wie in der Marktforschungs-Praxis und leider auch in der Sozialforschung sehr unsauberer Schindluder gerade mit mit Interviews und Gruppengesprächen getrieben wurde. Was jetzt natürlich nicht auf euer Projekt abzielt, sondern lediglich erklären soll, warum in mir der Skeptiker erwacht, wenn ich etwas von “20 Befragten” lese 🙂

    Dass es Jugendliche gibt, die man mit “denk an deine Zukunft” nicht hinter dem Ofen hervorlocken kann, ist mir leider auch nur zu bewusst. Ich denke nur nicht, dass man dieses (oder überhaupt irgendein) Problem lösen kann, indem man Geld darauf wirft (schon gar nicht in Richtung der Eltern, die in vielen Fällen zur Entstehung des Problems mit beigetragen haben dürften). Ein Gutscheinsystem, welches den Jugendlichen auf eine Weise zugute kommt, die man noch als Förderung verbuchen könnte (z.B. mit Büchergutscheinen) wäre mir da wesentlich sympathischer – und ja, natürlich kann man auch damit wieder niemanden hinter dem Ofen hervorlocken.

    Wenn bestimmte Maßnahmen (präventiv, interventiv oder rehabilitiv) Kindern/Jugendlichen helfen, ein bestimmtes Bildungszertifikat zu erlangen, dann ist mir persönlich egal, wenn davon auch die Eltern profitieren. Auch wenn der eine oder die andere es als ungerecht empfinden mag.

    Da sind wir wohl wirklich unterschiedlicher Meinung. Mir fiele auf Anhieb eine ganze Reihe von staatlichen Maßnahmen ein, mit denen sich die Situation für Jugendliche aus Problemfamilien, Rentner, Migranten etc. pp. verbessern lassen könnte, die aber von vielen anderen Mitgliedern der Gesellschaft als ungerecht oder als Zumuntung empfunden werden würden. Hier gibt es feine Grenzen, an denen man sich bei der Einführung auch solcher Incentivierungen orientieren sollte.

    Das grundlegende Problem des Vorschlags ist doch, dass (a) falsches Verhalten sichtbar honoriert wird und (b) Jugendliche, die von den Eltern wegen der Prämie in die Schule geschickt werden vermutlich kein bisschen motivierter sind als zuvor. Insofern trifft der Vorschlag nicht den Kern des Problems – es wird lediglich Geld darauf geworfen, wohl (eine Spekulation meinerseits) in der Hoffnung, dass sich die Verweigerungs-Statistik verbessert und sich die darunter liegenden Probleme im Fahrwasser dieser Verbesserung irgendwie von selbst korrigieren.

    An dieser Stelle noch einmal der Hinweis: Ich habe mich weder für noch gegen finanzielle Anreize ausgesprochen.

    Das stimmt natürlich. Wie schon erwähnt ist das Thema Schulverweigegerung bei mir emotional belegt, da lasse ich mich schonmal auf Antworten zu Aussagen hinweisen, die gar nicht gefallen sind 🙂

  8. #8 Bernd
    29. Januar 2009

    @ Christian Reinboth, 29.01.09, 19:37 Uhr:

    Das stimmt natürlich. Wie schon erwähnt ist das Thema Schulverweigegerung bei mir emotional belegt, da lasse ich mich schonmal auf Antworten zu Aussagen hinweisen, die gar nicht gefallen sind 🙂

    Geschenkt 🙂 Ist ja alles sehr zivilisiert abgelaufen (andere Teile der ScienceBlogs könnten sich davon mal ‘ne Scheibe abschneiden ;-).

    Und was die unterschiedliche Meinung betrifft: Auch hier habe ich nicht von Prämien für die Eltern gesprochen. Ich habe nur (allgemein und diffus) von Maßnahmen gesprochen.

    Schließlich noch kurz auf die Debatte qualitative vs quantitative Methoden:

    “[…] da ich schon oft erlebt habe, wie in der Marktforschungs-Praxis und leider auch in der Sozialforschung sehr unsauberer Schindluder gerade mit mit Interviews und Gruppengesprächen getrieben wurde.”

    Zumindest für die Sozialwissenschaften kann ich sagen, dass es in den letzten Jahren deutliche Entwicklungen hin zu methodisch sauberen qualitativen Studien gegeben hat. Ich erzähle Dir nichts Neues, wenn ich anmerke, dass natürlich auch quantitative Studien Müll produzieren können.

  9. #9 Christian Reinboth
    29. Januar 2009

    @Bernd:

    Ich erzähle Dir nichts Neues, wenn ich anmerke, dass natürlich auch quantitative Studien Müll produzieren können.

    Das stimmt allerdings 🙂 Wie oft musste ich schon erleben, dass mit Begriffen wie “signifikant” und “repräsentativ” bei der Vorstellung quantitativer Studien vollkommen sinnlos um sich geworfen wurde. Der Unterschied zur qualitativen Forschung ist, dass man meist nach einem Blick auf die Zahlen feststellen kann, ob man gerade Mist erzählt bekommt, während das bei einer qualitativen Studie wesentlich schwerer ist.

    Vielleicht daher das Misstrauen…

  10. #10 Pawel
    30. Januar 2009

    Ein interessanter Beitrag, und eine interessante Diskussion.

    Ich befürchte, dass es, wenn die Schüler mit 13 oder 14 nicht in der Schule auftauchen, schon zu spät ist. In einzelnen, seltenen Fällen mag es noch möglich sein, sie – um es mit einer bildungsbürgerlicher Plattitüde zu sagen 😎 – auf den Pfad der Tugend zurückzubringen, die meisten Menschen werden aber mit solchen extrem kurzfristigen Anreizen nicht zu verändern sein.

    Bildung ist ein seh langwieriger Prozess und – vielleicht noch mehr – eine Einstellung. Ich habe in England Projekte gesehen, die genau dort ansetzen. Studenten von Unis – auch und besonders von bekannten wie Oxford oder Cambridge – gehen alle Paar Monate für einen Tag in ein Grundschule in der Nähe oder auch woanders. Es werden Schulen ausgesucht, wo man viele Kinder aus traditionell bildungsschwachen Familien findet (Sozialhilfeempfänger, bestimmte Migrantengruppen usw.). Sie nehmen am Unterreicht teil, spielen in den Pausen mit den Kindern und helfen ihnen mit den Aufgaben. Ein- oder zweimal im Jahr kommen die Kinder an der Uni, wo sie herumgeführt werden und sich vielleicht auf dem altehrwürdigen Rasen austoben können. Und der erklärte Sinn dieser Aktionen ist es, den Kindern von Klein auf klarzumachen, dass Bildung und Universität nicht etwas sind, was anderen passiert; sie so früh wie möglich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ein Studium, wenn man denn will, eine Option sein kann.

    Diese Passage ist etwas lang geworden. Aber ich glaube, dass solche langfristig angelegte (und oft privat initiierte und durchgeführte) Aktionen viel mehr bringen als Einkaufsgutscheine oder Bewährungsstrafen für die Eltern.

  11. #11 Christian Reinboth
    30. Januar 2009

    @Pawel: Hallo und herzlich Willkommen im Blog.

    Die Idee mit den Uni-Studenten in den Grundschulen kannte ich noch nicht und kann daher nicht viel dazu sagen. Es klingt auf jeden Fall wie ein großartiges Projekt und ich könnte mir gut vorstellen, dass die Sache gut funktionieren könnte. Natürlich würde mich brennend interessieren, ob es dazu schon irgendwelche Untersuchungen gibt bzw. wie lange das Projekt schon läuft.

    In Deutschland soll übrigens ein ähnliches – wenn auch kein identisches – Programm aufgelegt werden: Bei “Teach First Deutschland” versucht man, junge Absolventen (d.h. keine Studenten) zu überreden, im Anschluss an ihr Studium zwei freiwillige “Lehrerjahre” abzuleisten, d.h. die Absolventen werden pädagogisch kurz geschult und gehen dann hauptsächlich in Haupt- und Realschulen an Brennpunkten um dort das Interesse für Naturwissenschaft, Technik etc. zu wecken:

    https://www.teachfirst.de/

    Meines Erachtens nach ein lobenswerter Ansatz, auch wenn sich natürlich die Frage stellt, ob man in der anvisierten Altersgruppe noch viel erreichen kann, oder ob man bei Jüngeren ansetzen sollte…

  12. #12 Nico
    30. Januar 2009

    Wenn Schulbildung nur als Vorbereitung aufs Berufsleben gesehen wird, ist so eine “Prämie” natürlich der logische nächste Schritt. Bildung ist in dieser Gesellschaft schon länger kein Wert für sich (falls sie es überhaupt jemals gewesen ist), sondern nur ein Sprungbrett.
    Dass manche Eltern sich nicht für die Zukunft ihrer Kinder interessieren, ist frelich auch traurig.

    @Ludmila: Mal abgesehen davon, dass ein solches Schulgeld niemals auf sozialverträgliche Art und Weise eingeführt werden wird (theoretisch vielleicht möglich, aber nicht mehrheitsfähig): Ich habe den Eindruck, dass die Wertschätzung der Bildung an sich unter uns Studenten seit Einführung der Studiengebühren eher abgenommen hat.

  13. #13 Jürgen Schönstein
    30. Januar 2009

    So ganz abwegig – und wirtschaftsfremd – fände ich den Gedanken, Incentives für den Schulbesuch zu entwickeln, auch wieder nicht. Es kommt doch primär darauf an, wie man die Incentives gestaltet. Wenn man sie nur auf die Delinquenten beschränkt, dann würden sie sogar erst mal das Gegenteil erreichen – denn dann hätte ich ja sogar einen Anreiz, mein Kind erst mal nicht in die Schule zu schicken, damit ich mich überhaupt erst mal als potenzieller Prämienempfänger qualifiziere. Aber mit ein paar Anleihen bei dem Cap-and-Trade-System, das ja als wirtschaftliches Incentive für CO2-Reduktionen entwickelt wurde, könnte man ja erst einmal ermitteln, was selbst unter normalen Umständen durchschnittlich an Fehltagen zu erwarten ist (100prozentige Anwesenheit an jedem Schultag zu erwarten, ist sicher nicht realistisch) und daraus eine Zielvorgabe entwickeln. Alle Familien, die diese Vorgabe an Fehltagen unterschreiten, qualifizieren sich für einen “Bonus”; dadurch würde gutes Verhalten in jedem Fall entlohnt – also auch die allein erziehende Frisöse

  14. #14 Pawel
    31. Januar 2009

    @Christian: danke fürs Willkommen 😎

    Von Teach First habe ich gehört und gelesen – lobenswert ist es allemal. Die Wirkung scheint auch da zu sein (Wikipedia). Studien zum englischen Uni-Grundschul-Programm kenne ich nicht – vielleicht auch, weil es meines Wissens einzelne Kleinprojekte sind. Von der Methode her sehe ich aber zwei Vorteile – erstens kann kann man auf jüngere Kinder einwirken, und zweitens ist der Aufwand erheblich kleiner. Es dürften mehr Studenten bereit sein, ein Paar Tage im Jahr zu opfern, als sich für zwei Jahre zu binden. Natürlich hat man auch bei Teach First einen großen Vorteil – man kann die Schüler über einen längeren Zeitraum mitprägen. Alles in allem schließen sich die beiden Ansätze natürlich nicht aus.

    @Jürgen:
    Die Lösung ist aber auch problematisch. Zum Beispiel müsste man die Prämie an alle zahlen, die die Voraussetzung erfüllen – es würden also 95% (die Zahl ist mehr oder weniger geraten, aber die Größenordnung dürfte stimmen) der Schüler diese Prämie bekommen. Und wenn die Prämie groß genug sein soll, um ein richtiger Anreiz zu sein, wäre es alles in allem ein sehr großer finanzieller Aufwand…

  15. #15 Jürgen Schönstein
    31. Januar 2009

    @Pawel
    “Und wenn die Prämie groß genug sein soll, um ein richtiger Anreiz zu sein, wäre es alles in allem ein sehr großer finanzieller Aufwand…
    Ja. Ich wollte eigentlich auch nur sagen, dass es durchaus denkbar wäre, ein finanzielles Anreiz-System zu schaffen, das gerecht ist. Ob es sinnvoll oder wünschenswert wäre, steht auf einem anderen Blatt. Aber vielleicht gäbe es ja statt Bargeld ein Punktekonto, das gegen Sachleistungen eingetauscht werden kann.

  16. #16 Arno
    5. Februar 2009

    Für eine solche Prämie könnte man einfach das Kindergeld umwidmen. Die Höhe sollte ausreichend sein, und so hätte man keine zusätzlichen Kosten.

  17. #17 Ludmila
    5. Februar 2009

    @Nico: Ich habe den Eindruck, dass die Wertschätzung der Bildung an sich unter uns Studenten seit Einführung der Studiengebühren eher abgenommen hat.

    Kann das daran liegen, dass Ihr dafür gefühlt wenig an Leistung zu sehen kriegt? Wobei ich mitgekriegt habe, dass die Studiengebühren zumindest in Köln tatsächlich auch für sinnvolle Maßnahmen verwendet werden. Davon haben die Geowissenschaften ein W-Lan angeschafft. Von dem Geld für die Bachelor-Umstellung gab es neue Gerätschaften in den Physik-Praktikums-Räumen.

    Aus dem Konjunktur-Paket wird die lange, lange überfällige Renovierung der Unigebäude bezahlt.

    Es geht voran. Aber so langsam, dass Ihr wohl nicht mehr allzuviel davon haben werdet. Aber es ist schon viel besser, als das, was ich so mitmachen durfte als Student.