Wenn wir also zwei Punkte haben, die Anfangs einen Meter auseinander sind, dann hat sich der Abstand zwischen ihnen nach knapp 1000 Sekunden um einen Protondurchmesser (etwa 1,7·10−15 m) vergößert. Nehmen wir an, dass an jedem dieser Punkte ein Teilchen sitzt, das “ruht” (mit der Idee ist Vorsicht geboten, dazu gleich mehr), dann vergrößert sich der Abstand zwischen diesen Teilchen entsprechend, weil sie sich mitbewegen, genau wie in dem Galaxienbild ganz oben.
Jetzt verbinden wir die beiden mit einem dünnen Seil. Wie stark muss das Seil sein, damit es dieser auseinandertreibenden Kraft widerstehen kann? Das war die Frage, die ich mir gestern gestellt habe. Versucht man, das Ergebnis auszurechnen, bekommt man ein Problem: Es gilt ja F=ma, Kraft ist Masse mal Beschleunigung, das habt ihr vermutlich irgendwann in der Schule mal gelernt. Hier beschleunigt aber nichts – die beiden Teilchen entfernen sich ja mit konstanter Geschwindigkeit. (Ganz streng genommen nicht, weil wenn der Abstand zunimmt, die relative Geschwindigkeit ja mitwächst, aber dieser Effekt ist so klein (PhysikerInnen würden sagen “von 2. Ordnung”), dass wir ihn getrost vernachlässige können, insbesondere, wenn wir ja unsere Teilchen eh auf konstantem Abstand halten wollen. Nachtrag: Das war so nicht richtig. Wen wir eine konstante Expansion betrachten, entfernen sich zwei Punkte mit immer derselben Geschwindigkeit voneinander. Unten in den Kommentaren wird das bis zum Abwinken diskutiert…) Weil die Beschleunigung Null ist, ist also auch die Kraft Null. Ein Ergebnis, das auf den ersten Blick völlig unsinnig aussieht, oder? Schließlich treibt die Expansion die Teilchen doch auseinander, oder etwa nicht?
Und genau hier steckt der zentrale Denkfehler, den man (ich jedenfalls) leicht machen kann. Was müssen wir denn tun, um unsere Teilchen auf konstantem Abstand zu halten? Wir müssen eins der Teilchen relativ zum anderen mit einer konstanten Geschwindigkeit versehen, so dass diese Geschwindigkeit die Ausdehnung des Raumes genau kompensiert (das wäre also eine gigantische Geschwindigkeit von 2,3·10−18 m/s). Als Analogie können wir wieder ein Gummi zur Hilfe nehmen, wie beim Ballon: Stellt euch ein großes Gummituch vor, auf dem zwei Spiezeugautos stehen. Ziehe ich das Gummituch auseinander, dann entfernen sich die Autos voneinander. Wenn ich aber eines der Autos jetzt anstupse, so dass es genau mit der Geschwindigkeit rollt, mit der sich das Tuch ausdehnt, dann bleiben die beiden Autos im konstanten Abstand. Rollen die Autos reibungsfrei, dann brauche ich keine Kraft, um die Autos an ihrem Ort zu halten. Nur wenn es eine Reibung zwischen Auto und Tuch gibt, muss ich gegen diese Reibkraft anarbeiten.
Ein reibungsfreies Gummituch (oder reibungsfreie Auto-Achsen) gibt es natürlich nicht – aber Teilchen können sich im Raum natürlich reibungsfrei bewegen – das wissen wir seit Newton und Galilei. (Während Aristoteles ja noch glaubte, bewegte Objekte kämen irgendwann zur Ruhe.) Objekte sind nicht an irgendwelche Raumpunkte “angeheftet” und müssen erst von ihnen losgerissen werden – ein Teilchen, das mit konstanter Geschwindigkeit fliegt, behält diese Geschwindigkeit bei, und zueinander gleichförmig bewegte Bezugssysteme sind gleichberechtigt (dazu habe ich neulich etwas geschrieben).
Wenn also unsere Teilchen am Anfang relativ zueinander ruhen, während sich der Raum ausdehnt, dann bleiben sie auch relativ zueinander in Ruhe – sie fliegen mit genau der Geschwindigkeit aufeinander zu, mit der zwischen ihnen Raum entsteht. Ob ein einzelnes Objekt “relativ zum Raum” ruht, könnt ihr ja nicht feststellen – es gibt kein absolutes Bezugssystem (ihr könnt natürlich ein passendes definieren, wie die Erde, die Sonne oder die kosmische Hintergrundstrahlung, aber das ist nur eine Frage der Bequemlichkeit und des Geschmacks ). Es gibt eben keine “Reibung” zwischen einem Objekt und dem Raum.
Habe ich euch jetzt überzeugt, dass ein sich ausdehnendes Universum keine Kräfte auf Teilchen ausübt, die sich darin befinden? Falls ja, warum liest man dann ab und zu, dass die Expansion des Universums eines Tages alle Teilchen im Universum auseinanderreißen könnte (zum Beispiel bei Wikipedia)?
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