Halt. Moment mal. Soo einfach können wir es uns nicht machen. (Wieder ein kleiner Fallstrick, der gern unterschlagen wird.) Was ist denn “die Erde”? Die ist ziemlich groß und besteht aus unterschiedlichen Bestandteilen, und der Apfel ist an einem Teil der Erde ziemlich dicht dran, aber von einigen Teilen mehr als 10000 Kilometer entfernt. Vielleicht ziehen ja die Objekte dicht am Apfal sehr stark an ihm, aber die, die weit weg vom Apfel sind, nur sehr schwach. Wenn ihr zum Beispiel zwei Magneten aneinanderhaltet, dann merkt ihr, dass die Kraft zwischen ihnen sich mit dem Abstand sehr stark ändert. Es ist zwar verlockend zu sagen: Aha, die Erde zieht mit ihrer Masse am Apfel, aber ist das wirklich zulässig?
Besser wäre es, wir würden die Schwerkraft zwischen zwei Objekten betrachten, die im Vergleich zu ihrem Abstand sehr klein sind. Das war im übrigen eine von Newtons Ausgangsfragen: Reicht die Schwerkraft bis zum Mond hinaus?
Die offensichtliche Antwort lautet: Wohl kaum, sonst würde der Mond ja runterfallen. Tut er aber nicht.
Doch Newton hatte seine drei Gesetze und konnte folgendes überlegen: Wenn die Erde den Mond anzieht, wird er auf die Erde hin beschleunigt. Aber wenn der Mond gleichzeitig von der Erde wegfliegt, dann fällt er auf die Erde hin, fliegt aber gleichzeitig ein Stück weiter, so dass sich sein Abstand insgesamt nicht ändert.
Rechts seht ihr den Mond, in schwarz die gerade Bahn, die er nehmen würde, wenn keine Kraft auf ihn wirken würde. Rot ist die tatsächliche Bahn des Mondes und in Blau seht ihr, dass er ein Stück auf die Erde zubeschleunigen muss, um auf einer Kreisbahn zu bleiben. (die zeichnugn wird um so genauer, je kleiner man die Wegstücke macht, aber dann erkennt man nichts mehr.)
Wenn der Mond während er weiterfliegt ein genau passendes Stück auf die Erde zufällt, dann kann er sich also auf einer Kreisbahn bewegen. Es ist also denkbar, dass es die Schwerkraft ist, die den Mond um die Erde kreisen lässt. Jetzt können wir unser Argument von eben wieder aufnehmen: Die Erde zieht den Mond an, mit einer Kraft, die proportional zur Masse des Mondes ist. Umgekehrt zieht aber auch der Mond die Erde an. Und da beide Objekte zumindest halbwegs gleich groß sind und da wir annehmen können, dass der Mond generell Objekte anzieht (sonst wäre schwer zu erklären, warum es auf dem Mond zum Beispiel Berge gibt ähnlich wie auf der Erde), muss die Situation symmetrisch sein. Alle Objekte auf dem Mond fallen dann auch gleich schnell, also ist die Kraft, die der Mond auf die Erde ausübt, proportional zur Masse der Erde.
Die Gravitationskraft zwischen zwei Objekten ist also proportional zur Masse beider Objekte. Es ist also FG= m1m2 Q. Dabei sind m1 und m2 die Massen der beiden Objekte, und Q ist irgendeine Zahl, über die wir noch nicht viel wissen.
So weit, so gut. Für unser Apfelproblem hilft das noch nicht so richtig weiter, wir wissen immer noch nicht, ob er nun von den Teilen der Erde, die dicht dran sind, besonders stark angezogen wird und ob wir für den Apfel auch annehmen dürfen, dass die Kraft, die auf ihn wirkt, proportional zur Masse der Erde ist.
Um jetzt weiterzukommen, müssen wir uns Gedanken machen, wie denn die Schwerkraft generell vom Abstand abhängt. Ziemlich klar ist, dass sie mit zunehmendem Abstand abnimmt – die Sonne ist viel größer und schwerer als die Erde, aber wenn ich einen Gegenstand loslasse, fällt er zur Erde, nicht zur Sonne. Hmm, wo wir gerade über die Sonne nachdenken – die Erde dreht sich ja bekanntlich um die Sonne, die anderen Planeten tun das auch. Wenn wir annehmen, dass der Mond um die Erde kreist, weil die Schwerkraft ihn auf der Bahn hält, dann ist es eine schöne Verallgemeinerung, anzunehmen, dass dasselbe auch für die Planeten gilt, die um die Sonne kreisen (und auch für die Monde des Jupiter, die um diesen Planeten kreisen und die Galilei ja entdeckt hatte).
Praktischerweise haben wir hier also unterschiedliche Körper (die Planeten) die in unterschiedlichen Abständen um die Sonne kreisen. Daraus sollte sich doch etwas darüber herausfinden lassen, wie die Kraft vom Abstand abhängt. Das funktioniert in der Tat. Newton musste dazu nicht selbst messen, sondern konnte die Kepler-Gesetze nutzen, die etwas über die Umlaufbahnen der Planeten und ihre Umlaufzeiten aussagen. Newton konnte zeigen, dass sich die Kepler-Gesetze ergeben, wenn man annimmt, dass die Kraft mit dem Abstand abnimmt, und zwar quadratisch.
Was das heißt? Das heißt nicht, dass die Planeten auf quadratischen Bahnen um die Sonne laufen, sondern, dass die Kraft auf ein Viertel abfällt, wenn man den Abstand verdoppelt, auf ein Neuntel, wenn man ihn verdreifacht, und dass sie umgekehrt auf das Vierfache anwächst, wenn man den Abstand halbiert. (Die Rechnung, wie man aus den Kepler-Gesetzen auf die quadratische Abnahme kommt, findet ihr bei Leifi-Physik.)
Falls ihr gerade den Faden unserer Überlegungen verloren habt: Eigentlich wollten wir wissen, ob die Kraft, die auf den Mond wirkt, dieselbe ist, die auch den Apfel zur Erde fallen lässt. Wir haben gemerkt, dass das nicht so einfach zu klären ist, weil der Apfel so dicht an der Erde dran ist, dass wir nicht wissen, wie die unterschiedlichen Bestandteile der Erde auf ihn wirken. Unter der Annahme, dass die Kraft auf den Mond und die auf die anderen Planeten (durch die Sonne) die Schwerkraft ist, konnte Newton zeigen, dass die Schwerkraft mit dem Abstand abnimmt, und zwar quadratisch.
Und diese Erkenntnis (die wir gleich auch als Formel hinschreiben) konnte Newton jetzt nutzen, um die Frage zu klären, wie die Bestandteile der Erde auf den Apfel wirken. Einige sind dicht dran, einige sind weit weg, wie setzt sich die Gesamtkraft zusammen? Dazu machte Newton die plausible Annahme, dass die Erde einigermaßen kugelsymmetrisch ist, dass also ihre Dichte im Inneren nur vom Abstand zum Zentrum abhängt. Um jetzt die Gesamtwirkung der einzelnen Massebestandteile auszurechnen, muss man leider Integrale berechnen. Das machte aber nix, Newton hatte ja eh gerade die Integralrechnung erfunden… (Wer die Rechnung sehen will, die gibt es bei Wikipedia.)
Es zeigt sich, dass man sich die ganze Masse der Erde in ihrem Zentrum konzentriert denken kann (aber nur, weil die Schwerkraft eben quadratisch mit dem Abstand abnimmt.) Rein von der Schwerkraft her ist es also egal, ob die Erde massiv ist, so wie wir sie kennen, oder ob sie eine hauchdünne (aber hinreichend feste) Schale ist, in deren Zentrum ein schwarzes Loch mit der Masse der Erde sitzt.
Das macht die Sache einfach: Der Apfel wird von der Masse der Erde angezogen, und wir können uns diese Masse im Zentrum der Erde konzentriert denken. Vom Zentrum der Erde ist der Apfel so etwa 6370 Kilometer entfernt (das ist der Erdradius). Der Mond dagegen ist vom Zentrum der Erde deutlich weiter entfernt, nämlich etwa 60 mal so weit. Die Schwerebeschleunigung beim Mond sollte also 60*60=3600 mal kleiner sein als die auf der Erdoberfläche.
Setzt man passende Zahlen für die Mondumlaufbahn ein, dann stellt man fest, dass dies genau die Beschleunigung ist, die man braucht, um den Mond auf seiner Bahn zu halten.
Jetzt passt alles zusammen: Die Schwerkraft ist proportional zur Masse der beteiligten Körper. Sie nimmt mit dem Quadrat des Abstands ab. Weil das so ist, können wir uns die Masse der Erde (oder jeder anderen symmetrischen Kugel) in ihrem Zentrum konzentriert denken. Dann können wir die bekannte Schwerebeschleunigun auf der Erdoberfläche nehmen und ausrechnen, wie stark sie beim Mond sein müsste, und die Sache passt gut zusammen. Und weil wir die Abnahme der Schwerkraft über die Kepler-Gesetze berechnet haben, rechtfertigt das im Nachhinein auch unsere Annahme, dass auch die Sonne alle Planeten anzieht und sie dadurch auf ihrer Bahn hält. Plötzlich sind ganz unterschiedliche Naturphänomene vereint – das Fallen eines Apfels, der Umlauf des Mondes, die Bahn der Sonne um die Erde, sie alle werden durch die Schwerkraft bestimmt.
Zum Abschluss jetzt noch einmal das Gravitationsgesetz in voller Schönheit. Oben hatten wir herausgefunden, dass es die Form FG= m1m2 Q hat. Wir wissen jetzt, dass der Ausdruck Q eine Funktion des Abstands ist, also immer kleiner wird, je weiter die Massen voneinander entfernt sind. Nennen wir diesen Abstand r, dann ist also Q=G/r². Dabei ist G schon wieder eine unbekannte Zahl, aber die darf jetzt nicht vom Abstand abhängen. Wir haben also insgesamt
Das G ist dabei die Gravitationskonstante – die sagt uns, wie stark die Schwerkraft wirkt. Sie darf nicht von den Massen oder dem Abstand abhängen, und da wir dasselbe Gesetz für Äpfel, Monde und Planeten haben, können wir annehmen, dass sie eine universell gültige Konstante ist, eine Naturkonstante. Egal wo ihr im Universum seid und egal welche Massen ihr anguckt, die Anziehung zwischen ihnen wird immer durch dieselbe Konstante G geregelt.
Manchmal findet ihr die Gleichung übrigens auch mit einem Minus-Zeichen vor dem G – das soll dann deutlich machen, dass die Kraft anziehend ist, nicht etwa abstoßend. Das ist aber letztlich eine reine Frage der mathematischen Bequemlichkeit und Konvention.
Fazit: Ihr seht, dass eine ganze Menge einzelner Überlegungen zusammenkommen müssen, damit man zum Gravitationsgesetz kommt. Und ihr seht auch noch mehr: Die ganze Herleitung benötigte diverse Annahmen (insbesondere die, dass die Schwerkraft für Äpfel, Monde und Planeten letztlich gleich wirkt und dass die Sonne Objekte genau so anzieht wie die Erde). Am Ende steht auch kein “Beweis” des Gravitationsgesetzes, sondern nur die Tatsache, dass es eine konsistente Beschreibung ganz unterschiedlicher Naturphänomene ermöglicht. Beweise gibt es in der Physik nicht – man stellt in sich geschlossene und logisch konsistente Gedankengebäude auf (die heißen “Theorien”, auch wenn man im Alltag was anderes damit meint) und überprüft diese dann durch Vorhersagen. Aber solche Theorien können auch Grenzen haben – so wie Newtons unglaublich gute Theorie der Gravitation schließlich durch Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie abgelöst wurde.
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