Die Physik ist ja voll von Gleichungen, aber auch von in Worten formulierten Gesetzen. Meist ist es ja so, dass die Gleichungen für schwieriger gehalten werden als Formulierungen in Worten, aber auch die haben so ihre Tücken. Heute betrachten wir als Beispiel zum Thema das Äquivalenzprinzips (kurz ÄP) aus der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART).
Anmerkung für Expertinnen: Ich mache heute keinen Unterschied zwischen starkem und schwachen ÄP, weil es darum heute nicht geht.
Träge und schwere Masse
Dass alle Dinge gleich schnell fallen (oder fallen würden, wenn es so Dinge wie den Luftwiderstand nicht gäbe), wusste schon Galilei. Da man eine doppelt so große Kraft braucht, um ein doppelt so schweres Objekt zu beschleunigen, folgt, dass die Gravitationskraft proportional mit der Masse eines Objekts zunimmt: Auf das doppelt so schwere Objekt wirkt eben auch eine doppelt so große Kraft. (Sehr detailliert habe ich das in diesem Artikel erklärt.) In der klassischen Physik war das aber eine Beobachtung, die man nicht näher begründen konnte. In einem elektrischen Feld beispielsweise werden doppelt so schwere Objekte nicht unbedingt genauso stark beschleunigt, weil die Kraft proportional zur elektrischen Ladung ist, nicht proportional zur Masse. Man kann deshalb zwei Massebegriffe einführen: Die träge Masse ist die Größe, die angibt, wie groß die Kraft zum Beschleunigen eines Objekts sein muss (Newtons berühmte Gleichung F=m a). Die schwere Masse dagegen gibt an, wie groß die Kraft ist, die auf ein Objekt im Gravitationsfeld wirkt. (Für Details verweise ich nochmal auf den oben verlinkten Artikel.)
Da alle Objekte gleich schnell fallen, sind träge und schwere Masse also gleich. Das ist schlicht eine Beobachtung, die in der klassischen Physik nicht erklärt werden kann. Einstein erklärte diese Gleichheit zum Prinzip, eben dem Äquivalenzprinzip, das besagt: “Träge und schwere Masse sind äquivalent.” “Äquivalent” ist hier zunächst mal in der ursprünglichen Wortbedeutung zu verstehen: es sind zwei Größen, die den gleichen Wert haben, wenn die träge Masse 1,57 Kilogramm ist, dann ist die schwere Masse auch 1,57 Kilogramm.
Versteht man die ART als eine Theorie von Schwerefeldern, dann ist damit alles gesagt. Gern wird die ART aber ja auch als eine Theorie der gekrümmten Raumzeit formuliert (klickt bei den Artikelserien oder in der tag-Wolke für zahlreiche Artikel dazu, oder kauft gleich mein Buch, das heißt ja nicht umsonst “Die Entdeckung der Raumzeit”). In dieser Formulierung der ART fallen Dinge nach unten, weil sie tatsächlich den geradest-möglichen Wegen in der Raumzeit folgen, genauso wie es ein Objekt tut, das fernab jeder Masse (und damit jedes “Schwerefelds”) ruht und in Ruhe bleibt. Wenn wir diese Anschauung der ART verwenden, dann gibt es gar keine schwere Masse mehr, die regelt, wie Objekte angezogen werden, denn es gibt ja in dieser Formulierung keine Schwerkraft. (Man könnte natürlich noch argumentieren, dass es insofern eine “schwere Masse” gibt, als diese dann regelt, wie stark ein Objekt die Raumzeit krümmt, aber auch da zeigt sich, dass die in der ART notwendig gleich der trägen Masse sein muss.)
Wenn ich auf ein Objekt im Weltall und in ungekrümmter Raumzeit eine Kraft ausübe, ändert sich seine Geschwindigkeit, weil ich es beschleunige. Wenn ich dagegen auf ein Objekt auf der Erdoberfläche eine Kraft ausübe, die es daran hindert, nach unten zu fallen, ändert sich seine Geschwindigkeit relativ zur Erde zwar nicht, aber es wird auch beschleunigt, weil es sich von der Bahn in der Raumzeit entfernt, der es ohne diese Kraft folgen würde. Auf sehr einfache Weise habe ich das in diesem Artikel hier zu erklären versucht.
Betrachtet man diese Formulierung der ART über Raumzeitkrümmungen, dann bedeutet “träge und schwere Masse sind äquivalent” also eigentlich “sind dasselbe”, denn es gibt überhaupt keinen Unterschied zwischen den beiden. Um ein Objekt am Fallen in einem Schwerefeld zu hindern, muss ich gegen seien Trägheit anarbeiten, genauso wie wenn ich es im Weltall beschleunige. Deshalb wird das ÄP auch manchmal so formuliert, dass Trägheitskräfte und Gravitationskräfte äquivalent sind.
Die beschleunigte Rakete
Eine Formulierung des (starken) ÄP sieht (leicht modifiziert) so aus:
Ein homogenes Gravitationsfeld ist äquivalent zu einer gleichmäßigen Beschleunigung in einer flachen Raumzeit.
Diese Aussage (oder äquivalente 😉 Formulierungen) führt allerdings häufig zu Missverständnissen, insbesondere im Zusammenhang mit der Speziellen Relativitätstheorie (SRT). Die Prinzipien der SRT (die Lichtgeschwindigkeit ist für alle Beobachterinnen gleich, die physikalischen Prinzipien haben für alle gleichförmig bewegten Bezugssysteme dieselbe Form) beziehen sich ja nur auf gleichförmig bewegte, also unbeschleunigte Systeme. Daraus wird dann oft der Schluss gezogen, dass die SRT auch nur solche Systeme beschreiben kann und dann wird die Formulierung des ÄP so gedeutet, dass man Beschleunigungen nur mit Hilfe der ART beschreiben kann und dass in beschleunigten Bezugssystemen ein Schwerefeld herrscht.
Leider ist das gleich in mehrfacher Hinsicht falsch. Zunächst mal kann man sich schon ganz ohne ernsthaft über Physik nachzudenken überlegen, dass das so nicht sein kann: Das ÄP soll ja erklären, wie die Gravitation wirkt. Es wäre wenig hilfreich, das dadurch zu tun, dass wir das Wirken eines Gravitationsfeldes mit einem anderen physikalischen Phänomen beschreiben, für das wir auch keine Theorie haben. Dann müsste die ART ja ein weiteres Prinzip beinhalten, das uns sagt, wie denn nun Beschleunigungen wirken.
In der ursprünglichen Formulierung steht übrigens statt “ist äquivalent zu” das Wort “entspricht”. In meinen Workshops und Kursen zum wissenschaftlichen Schreiben sage ich den Studis immer, dass sie dieses Wort möglichst vermeiden sollen, weil es oft sehr unklar ist. Was bedeutet es, wenn eine Sache einer anderen “entspricht”? Sind die beiden gleich? Analog? Wenn analog, in welcher Hinsicht?
Schauen wir ein wenig auf die physikalische Situation. Dazu hier ein schönes Bild (basierend auf Bildern von Markus Pössel, der das alles bei Einstein Online natürlich auch sehr gut erklärt)
Von derivative work: Pbroks13 (talk) Elevator_gravity2.png: Markus Poessel (Mapos) – Elevator_gravity2.png, CC BY-SA 3.0, Link
Links sehen wir die beschleunigte Rakete, rechts den Aufenthalt im Schwerefeld. Wenn die Person in der Rakete einen Ball loslässt, dann fällt dieser nach unten und wird dabei von der Person aus gesehen immer schneller. In Wahrheit ist es natürlich so, dass der Ball die Geschwindigkeit beibehält, die er hatte, als er losgelassen wurde, während sich die Geschwindigkeit der Rakete immer weiter erhöht. Wenn unsere Person einen Laserpointer anknipst, dann wird das Licht des Laserpointers ebenfalls (von der Person aus gesehen) nach unten abgelenkt, weil das Licht einfach geradeaus läuft, die Rakete aber nach oben beschleunigt wird. Nach dem ÄP können wir also folgern, dass auch in einem Schwerefeld Dinge nach unten fallen und auch Licht nach unten abgelenkt wird.
Merkt ihr was? Wir konnten uns das, was in der beschleunigten Rakete passiert, problemlos überlegen, ohne dass wir irgendwo auf die ART zurückgreifen mussten. (Wenn man sehr genau sein will, muss man die SRT einbeziehen, um so Dinge wie Zeitdilatation zu erfassen. Eine gute Erklärung, wie man in der SRT mit Beschleunigungen umgeht, findet ihr im – allerdings anspruchsvollen – berühmten Buch von Misner, Thorne, Wheeler.) Das ÄP in dieser Formulierung erlaubt uns also zu sehen, was in einem Schwerefeld passiert, gerade weil wir für die Beschreibung von Beschleunigungen auf bekannte Theorien zurückgreifen können.
In dieser Formulierung des ÄP bedeutet “äquivalent” also etwas anderes als vorhin bei der trägen und schweren Masse: Hier heißt es jetzt nicht mehr “gleicher Zahlenwert” sondern “physikalisch nicht unterscheidbar”. Es heißt aber nicht, dass die Situationen vollkommen identisch sind, denn das sind sie nicht. Die Person im Fahrstuhl kann auf keine Weise herausfinden, in welcher der beiden Situationen sie sich befindet. Es bedeutet aber ganz deutlich nicht, dass es prinzipiell unmöglich ist, die beiden Situationen zu unterscheiden – sie braucht in unserem Universum ja bloß ein Fenster zu öffnen und kann zum Beispiel sehen, ob sie relativ zum Fixsternhintergrund (oder zur kosmischen Hintergrundstrahlung) beschleunigt wird oder nicht.
Es gibt noch ein weiteres kleines Problem mit dieser Formulierung: Da ist von einem “homogenen Gravitationsfeld” die Rede. Ein solches Feld wäre eins, bei dem die Kraft auf ein Objekt überall gleich groß ist und in dieselbe Richtung zeigt (analog zum elektrischen Feld im Inneren eines Plattenkondensators). Egal wo ich bin, die Schwerebeschleunigung wäre überall gleich. Ein solches homogenes Gravitationsfeld ist eine oft gemachte Idealisierung und ließe sich in der Newtonschen Gravitationstheorie auch durch eine unendlich große, massive Platte realisieren. In der ART ist ein solches Feld aber unmöglich. (Der Grund liegt kurz gesagt darin, dass man in der ART berücksichtigen muss, dass die Masse der Platte sich selbst ja auch anzieht und damit die Platte unter mechanische Spannung setzt, was wiederum das Gravitationsfeld beeinflusst. Für Details verweise ich mal ganz diskret auf mein Buch zum Thema, da erkläre ich das ein wenig in den Anmerkungen…)
Wenn man etwas genauer sein will, sagt man deshalb besser, dass sich ein stationärer Aufenthalt in einem Gravitationsfeld vom Aufenthalt in einem beschleunigten Bezugssystem lokal nicht unterscheiden lässt. Lokal heißt hier “in kleinen Zeit- und Raumabständen”. Das schließt dann zum einen das Aus-dem-Fenster-gucken aus, zum anderen löst man damit das Problem, dass es kein perfekt homogenes Schwerefeld gibt – in guter Näherung ist das Schwerefeld auf der Erde homogen, auch wenn zwei Bälle, die ich nebeneinander loslasse, ein ganz winziges bisschen aufeinander zulaufen.
Man kann das ÄP übrigens – und auch das sorgt für Verwirrung – auch umdrehen und beispielsweise aus dem, was laut ART in einem Gravitationsfeld passiert, berechnen, was passiert, wenn ich beschleunige. Wir haben das mal sehr ausführlich in den Kommentaren zu meinem Artikel zum Zwillingsparadoxon diskutiert. Man kann dann die Effekte, die beispielsweise beim Zwillingsparadoxon auftreten, mit Hilfe der gravitativen Zeitdilatation (also der Tatsache, dass in einem Schwerefeld die Uhren langsamer gehen) berechnen (natürlich nur, wenn man die schon innerhalb der ART berechnet hat), und tatsächlich hat auch Einstein durchaus so etwas gemacht. Das heißt aber gerade nicht, dass bei einer Beschleunigung tatsächlich “Gravitationseffekte” auftreten, sondern nur, dass man die Äquivalenz der beiden Situationen natürlich auch in beide Richtungen nutzen kann.
Eine weitere Formulierung
Man kann das ÄP auch noch anders formulieren. Beispielsweise kann man sagen, dass lokal ein im Schwerefeld frei fallendes Bezugssystem zu einem unbeschleunigten Bezugssystem in der SRT äquivalent ist. (Wobei “äquivalent” dann wieder “kann eine Beobachterin lokal nicht unterscheiden” bedeutet.) Das ist dieselbe Logik wie oben bei der trägen und schweren Masse – wenn alles gleich schnell fällt, dann schwebt, wenn ich von einem Haus herunterfalle und ein Objekt loslasse, dieses Objekt scheinbar stationär neben mir. Anders als bei der trägen und schweren Masse gilt das Prinzip hier aber für alle physikalischen Phänomene, beispielsweise auch für Licht. (Es ist also das “starke ÄP”.) Diese Formulierung hat, insbesondere mit dem Wort “lokal”, weniger Probleme als die mit dem “homogenen Schwerefeld”, weil sie unmittelbar klar macht, dass es natürlich Abweichungen geben kann, die aber immer kleiner werden, je kleiner das Raumzeitgebiet ist, in dem wir unsere Messung machen. (Markus Pössel diskutiert das auf der oben verlinkten Einstein Online-Seite sehr ausführlich.) Sie hat auch den Vorteil, dass sie für beide Anschauungen gilt, die man sich zur ART machen kann – sowohl mit dem Bild der Gravitation als Schwerefeld als auch im Bild der Raumzeitkrümmung.
Fazit
Auch wenn schon Galilei gesagt hat, dass die Sprache der Natur die Mathematik ist – so ganz stimmt das nicht. Denn natürlich brauchen wir auch verbale Formulierungen – schon allein, damit die Gleichungen einen Inhalt haben und ich weiß, welche Formelgröße wofür steht. Und oft ist es eben auch nützlich, physikalische Prinzipien in Worten zu fassen. Man muss sich dabei aber immer darüber im Klaren sein, dass diese Worte (wie die Umgangssprache generell) unpräzise sind. In Worte gefasste Naturgesetze wie das ÄP funktionieren nicht wie juristische Gesetze, wo der Wortlaut eben der Wortlaut ist und man dann dieses Gesetz auf den konkreten Fall anwendet, ohne dass man an der Formulierung etwas ändern darf. (So jedenfalls das Verständnis, das ich von ein paar Besuchen in Jura-Seminaren vor langer Zeit mitgenommen habe, korrigiert mich, wenn das Blödsinn ist.) Dinge wie das ÄP in der Physik sind in Worten kondensierte Erkenntnisse, aber manchmal muss man bei der Interpretation sehr vorsichtig sein. (Genau das ist sicher auch ein Problem in der Physik-Didaktik, wie auch dieses Beispiel hier zeigt.) Wie so oft in der Physik ist es nützlich, unterschiedliche Beschreibungen derselben Gesetze zu haben; nicht umsonst hat Feynman die Physik mit der eher praktisch orientierten Mathematik der Babylonier verglichen, nicht mit der axiomatischen der Griechen. (Und das ist vermutlich ein weiteres Problem der Physik-Didaktik, wo dieser Aspekt zu kurz kommt…) Und bei der Formulierung von Gesetzen können gerade Worte wie “äquivalent” problematisch sein, weil sie unterschiedliche Dinge bedeuten können.
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