Die Emotionen gehen hoch im Bezug auf den Entscheid einer grossen Mehrheit in der Abstimmung um ein Verbot vom Bau neuer Minarette. Ich bin da keine Ausnahme. Es wurde der Wunsch geäussert, dass eine politikwissenschaftliche Analyse viel passender wäre für dieses Blog als meine Klagen. Gerne würde ich dem Wunsch entsprechen, kann aber leider nicht und dies nicht etwa weil das Thema zu emotional ist.
In der NZZ findet man heute ein Interview mit einem Michael Hermann zur Minarett-Verbots-Initiative, der im Lead als ‘Politikwissenschaftler’ vorgestellt wird. Er scheint aber kein eigentlicher Politikwissenschaftler zu sein, sondern Geograph. Dies ist nicht wirklich relevant im Hinblick auf die Kritik die hier folgen wird und soll hier nur der vollständigkeitshalber erwähnt sein. Ich denke solche Ungenauigkeiten führen eben zu einer verzerrten Wahrnehmung in der Öffentlichkeit wo Politikwissenschaftler nicht wirklich von Polit-Kommentatoren unterschieden werden (auch Politikwissenschaftler könne als solche auftreten). Nun aber zum Interview.
Eigentlich sagt Herr Hermann im ersten Satz alles was aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive wirklich gesagt werden kann:
Es gibt noch keine empirischen Daten zum Entscheid. Folglich können erst Vermutungen angestellt werden.
Leider geht es dann los mit den Vermutungen. Hier ein paar Beispiele und warum ich denke, dass solche Aussagen dürftige Spekulationen und wenig hilfreich sind.
Beweisstück No. 1:
Eine Vermutung, die dabei sehr nahe liegt, ist, dass es neben dem klassischen rechten Ja, welches sich gegen das Fremde richtet, auch ein weibliches Ja gibt. Letzteres richtet sich vor allem gegen die teilweise als aggressiv männlich wahrgenommene Kultur des Islams.
Ich vermute die Idee entspringt der Tatsache, dass erste Umfragewerte einen relativ hohen Ja-Stimmenanteil bei den Frauen feststellten. Die Umfragen erwiesen sich nun aber im nachhinein als sehr ungenau heraus. Mir fallen drei mögliche Gründe dafür ein: Entweder weil eine Meinungsverschiebung stattgefunden hat (eine Umfrage ist immer nur eine Momentaufnahme), weil die Messmethode ungenügend war oder weil man ganz einfach Pech hatte und darum die Befragten nicht so repräsentativ waren wie sie statistisch hätten sein sollen (solche Umfragen sind nur innerhalb einer gewissen Fehlerquote mit einer spezifischen Wahrscheinlichkeit repräsentativ). Wie auch immer, die Umfrage ist bestimmt eine schlechte Grundlage für Vermutungen.
Noch störender finde ich, dass nicht nur angenommen wird, dass es ‘auch ein weibliches Ja’ war sondern auch noch gleich die Motive dazu geliefert werden. Man weist einer Gruppe (überdurschnittlich hoher Frauen-Ja-Stimmenanteil) also Motive zu, ohne zu wissen ob sie in dieser Form existiert. Ich weiss wirklich nicht auf was diese Vermutung basiert. Sie wirkt auf mich wie das politische Äquivalent zu ‘bei meiner Tante hat Homöopathie gegen Kopfschmerzen gewirkt’ Schlussfolgerung.
Beweisstück No. 2
Mir ist aufgefallen, dass in Basel die Ablehnungsrate tiefer ist als üblich. Das erkläre ich mir damit, dass hier die Migration sehr stark durch die türkische Minderheit geprägt ist. Hier ist der Islam realer und stärker präsent als anderswo.
Erstens werden hier zwei Variablen miteinander in Verbindung gebracht, die nicht zwangsläufig in Verbindung stehen. Der Nein-Stimmen-Anteil korreliert in dieser Logik mit so ziemlich allem was es in Basel gibt aber nicht in Genf, Zürich und Lausanne (darauf bezog sich die Frage).
Zweitens vermute ich, verwendet Hermann hier Vergleichsgrössen die kaum hilfreich sind. Was meint er mit ‘als üblich’? Ich gehe davon aus, dass er sich auf vorher erwähnte Integrationsabstimmungen bezieht. Abstimmungen zu unterschiedlichen anderen Themen können ohne Daten die das untermauern kaum herangezogen werden um eine Abweichung zu erklären. Sind die Themen nun vergleichbar oder nicht? Was ist an der Präsenz der türkischen Minderheit nun anders in diesem Zusammenhang? Diese Spekulation bedingt mehre Annahmen die nicht präzisiert oder belegt werden.
Drittens geht Herr Hermann hier davon aus, dass wegen der Präsenz der türkischen Minderheit, der Islam in Basel stärker präsent sei. Ich bin in der Region aufgewachsen und lebe nun in Genf und ich kann versichern, dass die Präsenz des Islams (gerade in seiner dogmatischeren Variationen) in Genf stärker ist, nicht zuletzt weil Genf ein beliebtes Reiseziel für Personen aus den Golfstaaten ist. Man müsste also zuerst einmal klarstellen was mit ‘starker Präsenz’ eigentlich gemeint ist. Dazu kommt, schaut man sich die Abstimmungskarte an, dass es eher wirkt als ob die Präsenz von Muslimen mit Nein Stimmen korreliert, wenn man den schon spekulieren will (und ich glaube das sagt Hermann später ja auch indirekt wenn er sagt: “Viele Städter suchen und bejahen ein mulitkulturelles Umfeld und den Kontakt mit Fremden”). Hier widerspricht sich Hermann in seinen Vermutungen.
Beweisstück No. 3
Frage: Darf man also daraus ableiten, dass das Abstimmungsresultat auf das Bildungs- und Lohnniveau zurückgeht?
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