Die Zahl Φ ist völlig irrational! Damit ist nicht gemeint, dass man mit ihr kein vernünftiges Gespräch führen kann. Eine irrationale Zahl ist eine Zahl, die nicht als Verhältnis zweier ganzer Zahlen ausgedrückt werden kann. Die Zahl 1,5 zum Beispiel kann man als 3/2 schreiben. Die Zahl 4,985 lässt sich als 997/200 ausdrücken und die Zahl 5 als 5/1. Alle Zahlen, die sich auf diese Weise als Bruch schreiben lassen, nennt man rationale Zahlen. Es gibt aber auch welche, bei denen das nicht funktioniert. Die Wurzel aus 2 zum Beispiel. Egal wie sehr man sich anstrengt, man wird keine zwei ganzen Zahlen finden, deren Verhältnis exakt dem Wert der Wurzel aus 2 entspricht. Das sind die irrationalen Zahlen. Und Φ, die Zahl des goldenen Schnitts, ist von allen am irrationalsten!

Manche irrationalen Zahlen lassen sich sehr gut durch rationale Zahlen annähern. Pi zum Beispiel. Die Kreiszahl Pi selbst (3,14159265…) kann nicht durch einen Bruch dargestellt werden. Der Bruch 22/7 ist aber eine ganz gut Näherung (darum feiern die Freunde der Zahl Pi auch jedes Jahr am 22. 7 – also morgen – den “Pi-Approximationstag”). Wie gut eine irrationale Zahl approximierbar ist, erkennt man an ihrer Kettenbruchdarstellung

Ein Kettenbruch sieht so:

i-0836bf9b3d7497a17de20dbb100e70f0-kettenbruch2.png

(eigentlich ist das der Spezialfall eines “regulären” Kettenbruchs – aber wir müssen die Sache nicht zu kompliziert machen)

Keine Angst, das ist nicht so schlimm, wie es aussieht 😉 Ich erkläre es mal (und wer absolut keine Lust auf Mathe hat, kann gerne auch gleich zum coolen Video am Ende scrollen).

Tun wir mal so, als seien wir Christiaan Huygens, der berühmte Astronom aus dem 17. Jahrhundert. Wir wollen ein Modell des Sonnensystems bauen und friemeln an den verschiedenen Zahnrädern herum. Damit die Planeten sich im Verhältnis alle zueinander richtig bewegen, müssen die Zahnräder die richtige Anzahl an Zähnen haben. Und um die richtige Anzahl an Zähnen zu bestimmen, müssen wir das Verhältnis der Umlaufzeiten der Planeten irgendwie durch eine rationale Zahl approximieren, und zwar möglichst gut. Der Saturn zum Beispiel braucht für einen Umlauf um die Sonne 10759,16925 Tage. Bei der Erde sind es bekanntlich 365,25 Tage. Das Verhältnis beträgt also 29,457 (was nichts anderes bedeutet, als das Saturn 29,457 Jahre für einen Umlauf um die Sonne braucht). Das sind die heute bekannten Werte; damals fand Huygens heraus, dass sich
das Verhältnis der Umlaufzeiten durch den Bruch 77708431/2640858 gut darstellen lässt. Allerdings ist das eine ziemlich unhandliche Zahl und der Bruch lässt sich auch nicht mehr weiter vereinfachen. Aber Huygens war klug und benutzte die Kettenbrüche!

Zuerst rechnen wir den Bruch einfach mal aus. 77708431 dividiert durch 2640858 ergibt 29,425448… (Es ist wirklich eine sehr unangenehme Zahl. Die Nachkommstellen sind zwar periodisch, es ist ja eine rationale Zahl, aber das sieht man erst nach 20006 Stellen). Die erste, noch sehr ungenaue Approximation wäre also 29/1. Wir wollen es aber genauer haben. Der Fehler unserer Annäherung beträgt jetzt 0,425448… Das ist ungefähr 0,5 – also 1/2. Genauer gesagt ist es 1/2,3504609… Damit haben wir nun eine bessere Approximation gefunden: 29 + 1/2. Aber wir machen immer noch einen Fehler. Nun haben wir 2,3504609… durch 2 approximiert. Also widmen wir uns dem Teil, den wir gerade vernachlässigt haben: 0,3504609… können wir auch als 1/2,853385… schreiben. Eine bessere Approximation für 2,3504609… als 2 wäre also die Zahl 2 + 1/2. Bevor jetzt alles unübersichtlich wird, setzen wir mal alles zusammen.

Wir haben bei unserer Approximation 29 angefangen. Das haben wir mit 29+1/2 verbessert. Die 2 unterm Bruchstrich haben wir durch die Zahl 2+1/2 verbessert. Unsere Approximation lautet nun also

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Natürlich können wir weitermachen. Wir haben ja immer noch einen Fehler in unserer Approximation. Die letzte 2 im Bruch sollte eigentlich eine 2,853385… sein; wir aber haben die 0,853385… einfach unter den Tisch fallen lassen. 0,853385… ist fast 1. Wir können anstatt der 2 also auch einfach 2+1 schreiben. Unsere Approximation wird dann insgesamt zu:

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Kommentare (16)

  1. #1 MartinB
    21. Juli 2012

    Genial.
    Das ist die mit Abstand beste und verständlichste Erklärung von Kettenbrüchen, die ich je gelesen habe.

  2. #2 Sven
    21. Juli 2012

    Danke, jetzt hab’ ich zum ersten Mal verstanden, was irrationale Zahlen sind. 🙂

  3. #3 Gerald
    21. Juli 2012

    Cool! Ich hab das mit den Kettenbruechen schon lange vergessen gehabt. Die Naeherungsbrueche fuer den Goldenen Schnitt kann man (folglich) auch ganz einfach so finden: 1 + 2 = 3; 2/1 = 2. 2 + 3 = 5; 3/2 = 1.5. 3 + 5 = 8; 5/3 = 1.6666. 5 + 8 = 13; 8/5 = 1.6. Also immer einfach den zweiten Posten der Addition mit deren Summe weiter summieren.

  4. #4 Adent
    21. Juli 2012

    Merci, das war eine interessante und lehrreiche Herleitung der irrationalen Zahlen mit guter Musik dazu ;-).

  5. #5 mr_mad_man
    22. Juli 2012

    Vor einiger Zeit lief im Fernsehen (glaube es war Arte oder 3sat) ein Bericht über den “Mechanismus von Antikythera”. War sehr spannent, aber leider hatte ich nicht verstanden, warum die Anzahl von Zähnen bei den Zahnrädern so wichtig war. Dank dieses Artikels bin ich wieder ein bischen schlauer (auch wenn es nicht das eigentliche Thema war.).

    Das Beispiel mit dem goldenen Schnitt in der Natur, der Anordnung der Blätter, dass sie sich nicht gegenseitig das Licht wegnehmen hat mir besonders gut gefallen.

  6. #6 rolak
    22. Juli 2012

    ..Unsere erste Approximation war 29 + 1/2. Umgerechnet ergibt das 88/3…

    Jetzt weiß ich endlich, was mich gestern beim Überfliegen an dem Absatz gestört hat^^ ergibt bei mir 59/2. Dank der pen/paper-Lockerungsübung beim Nachrechnen der anderen bin ich auch richtig wach und geh erst mal frühstücken…

    Ansonsten schließe ich mich MartinB an, speziell die Konstruktion des gewünschten Kettenbruchs scheint so simpel, daß sich kaum etwas gemerkt werden muß. Angenehm 😉

  7. #7 Chris
    22. Juli 2012

    Morgen,

    Es gibt übrigens tatsächlich eine Musikrichtung, die Math Metal heißt.

    Jap, Meshuggah oder Gojira machen tolle Musik, nur das mit dem Foxtrot wird schwieriger, beim Mathematik lernen lenkts leider auch nur ab. 😉

  8. #8 Fretless
    22. Juli 2012

    Wie klänge es “fretless” mit den genauen Frequenzen?

  9. #9 hinrich7
    22. Juli 2012

    Hi Florian,

    eine kleine Ergänzung aber doch diesmal: Nur weil wir keine natürlichen Zahlen kennen, die z. B. PI ausdrücken können, können wir nicht sagen, dass es eben diese nicht gibt. Irrationale Zahlen sind für unseren Wissensstand irrational, aber eben auch nur für diesen.

    Ansonsten sind die Kettenbrüche schön plastisch aufgebrochen, so dass jeder sie verstehen sollte. Danke dafür.

    Hinrich

  10. #10 Alderamin
    22. Juli 2012

    @Hinrich7

    eine kleine Ergänzung aber doch diesmal: Nur weil wir keine natürlichen Zahlen kennen, die z. B. PI ausdrücken können, können wir nicht sagen, dass es eben diese nicht gibt. Irrationale Zahlen sind für unseren Wissensstand irrational, aber eben auch nur für diesen.

    Das stimmt so nicht, Mathematik ist nicht Physik, hier kann man eindeutig beweisen, dass z.B. Wurzel 2 keine rationale Zahl sein kann. Wäre Wurzel 2 rational, dann gäbe es zwei ganze Zahlen p und q, so dass der Bruch p/q den Wert Wurzel 2 hätte, und er sich nicht weiter kürzen ließe, d.h. p und q enthielten keine gemeinsamen Primfaktoren. Dann hätte p^2/q^2 den Wert 2, aber da sich p/q nicht kürzen lässt, kann p^2/q^2 sich auch nicht kürzen lassen, denn durch das Quadrieren ändern sich die Primfaktoren nicht, sondern jeder Primfaktor wird lediglich quadriert. Das ist ein Widerspruch dazu, dass p^2/q^2 die ganze Zahl 2 ergeben soll. Also kann man Wurzel 2 nicht als Bruch zweier ganzer Zahlen darstellen. Daran ändert unser Wissensstand nichts.

    Für Pi und andere irrationale Zahlen kann man entsprechende Beweise führen.

  11. #11 IO
    27. Juli 2012

    abo

  12. #12 Tobey
    Dillingen / Saar
    9. April 2013

    (Fachabitur Wirtschaft und Berufsausbildung zum Fachinformatiker Anwendungsentwicklung)

    Ich find Mathe toll 😀
    Ich war einer der wenigen in der Klasse, denen das Lösen von Matheaufgaben Spaß gemacht hat. Das aber erst seit der Fachoberschule. Da hatte ich nen coolen Lehrer der mir den Spaß an Mathe und Physik gezeigt hat. Vorher fand ich beides wie die meisten Schüler total ätzend ^^

    Der goldene Schnitt und Annäherung durch Brüche ist aber in meiner schulischen Laufbahn nicht behandelt worden.

  13. #13 Dampier
    19. November 2014

    Wow, das war spannend. Großartiger Artikel, danke dafür!

    Für mich approximiere ich den goldenen Schnitt immer mit 13 zu 21.
    Früher wusste ich nur “Das Kleine verhält sich zum Großen wie das Große zum Ganzen”. So konnte ich mir das (als Grafiker) zur Not auch ohne Zahlen konstruieren.

    Wenn ich allerdings ein Rechteck mit dem Stift harmonisch teilen soll, kommt das meist auch dem goldenen Schnitt sehr nahe. Das wird wahrscheinlich den meisten so gehen.

    Ich traf mal einen Bildhauer am Strand (ich war 13 oder so), der hatte ein Gerät dabei, ein hölzernes X, das auf Höhe des goldenen Schnitts mit einer Schraube versehen war. wenn man es aufspreizte, standen die beiden Öffnungen des X immer im goldenen Schnitt zueinander. Er zeigte mir, dass der Goldene Schnitt überall vorkommt, z. B. im Verhältnis von Augenabstand zu Nasenlochabstand bei einem Hai (Die Fischer waren gerade zurückgekommen). Bin nicht ganz sicher, was davon Zufall war, war aber ziemlich beeindruckt.

    @Florian

    Schlechter geht es in diesem Fall nicht mehr. Die Zahl des goldenen Schnitts ist von allen irrationalen Zahlen diejenige, die sich am schlechtesten durch einen Bruch nähern lässt!

    Ich wunder mich etwas über die negative Formulierung. Wird nicht Phi auch als die eleganteste Zahl bezeichnet?

  14. #14 Florian Freistetter
    22. November 2014

    @Dampier: “Ich wunder mich etwas über die negative Formulierung. Wird nicht Phi auch als die eleganteste Zahl bezeichnet?”

    War nicht negativ gemeint (ich hab ein ganzes Buchkapitel über diese Zahl geschrieben; mag sie also sehr gerne). “Elegant” kann ja auch heißen, dass sie sich jeder rationalen Annäherung entzieht.

  15. #15 Dampier
    22. November 2014

    Welches Buch war das? Ich les grad den Astronomie-Verführer und will mir demnächst mal die Neuentdeckung des Himmels von meinem Neffen zurückleihen (dafür kriegt er what if).

    In Mathe werde ich in diesem Leben nicht mehr weit kommen, aber ich freue mich immer, wenn es ein Autor schafft, mir die Schönheit der Mathematik trotzdem nahezubringen.

    Grüße
    Dampier

  16. #16 Florian Freistetter
    23. November 2014

    @Dampier: Das war ein wissenschaftliches Fachbuch über Himmelsmechanik; nix allgemeinverständliches – sorry.