Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird heute, am 11. Februar 2016 um 16:30 MEZ der erste direkte Nachweis von Gravitationswellen bekannt gegeben (Hier läuft dann live die Übertragung der Pressekonferenz). Die entsprechende Gerüchte machen schon seit einigen Wochen die Runde und sind mittlerweile so konkret, dass kaum noch jemand daran zweifelt, dass der Nachweis nun gelungen ist (Nachtrag: Wie erwartet wurde die Entdeckung von Gravitationswellen bestätigt). Wenn wir nun also demnächst mit Sicherheit wissen werden, dass Gravitationswellen tatsächlich existieren, dann lohnt es sich auch ein wenig darüber zu informieren, warum man den ganzen Aufwand eigentlich treibt. Was können und wozu braucht man Gravitationswellen?
Was Gravitationswellen sind und wie man versucht, sie nachzuweisen, habe ich ja kürzlich schon ausführlich erklärt (und wer noch tiefergehende Informationen sucht, den möchte ich auf diesen Artikel von Markus Pössel hinweisen). Ich fasse es noch einmal kurz zusammen: Gravitationswellen sind Störungen des Raums selbst, die sich durch den Raum ausbreiten. Eine Gravitationswelle verformt den gesamten Raum und alles was sich darin befindet und sie entstehen immer dann, wenn sich Massen beschleunigt bewegen. Ganz besonders starke Gravitationswellen gibt es, wenn besonders massereiche und dichte Objekte beteiligt sind, wie zum Beispiel große Sterne oder schwarze Löcher die einander umkreisen. Mit speziellen Detektoren, die in der Lage sind, solche Verformungen wahr zu nehmen (neben meinem Artikel von Montag gibt es hier noch eine ausführliche Erklärung der Funktionsweise dieser Detektoren) versucht man seit einiger Zeit, Gravitationswellen nachzuweisen.
So gut wie alle Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieser Nachweis gelingen muss. Jede sinnvolle theoretische Beschreibung der Gravitation beinhaltet die Existenz von Gravitationswellen und astronomische Beobachtungen haben schon vor Jahrzehnten indirekt nachgewiesen, dass es sie geben muss. Das Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) in den USA ist sensibel genug, um zumindest bestimmte Arten von Gravitationswellen nachzuweisen von denen man weiß, dass sie im Universum oft produziert werden. Als letztes Jahr im Herbst die Genauigkeit der dortigen Detektoren noch einmal erhöht wurde, haben eigentlich alle mit einem schnellen Erfolg gerechnet – der ja nun auch eingetreten zu sein scheint.
Wenn man jetzt also die Existenz von Gravitationswellen auch durch einen direkten Nachweis bestätigt hat: Was bringt uns das?
Enorm viel! Nicht weniger, als einen völlig neuen Blick auf das Universum! Ohne allzu viel zu übertreiben kann man die erste direkte Detektion von Gravitationswellen mit dem ersten Blick durch das erste astronomische Teleskop vergleichen. Damals, als Galileo Galilei zu Beginn des 17. Jahrhunderts das neu erfundene Teleskop nutzte um den Himmel zu beobachten, begann eine wissenschaftliche Revolution, die immer noch anhält. Mit dem Teleskop erkannten wir, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist, haben die wahre Natur der Sterne und Galaxien enträtselt, unzählige neue Himmelskörper entdeckt und endgültig den Schritt vom religiös-mittelalterlichen zum modernen-aufgeklärten Weltbild geschafft. Seit damals haben die Astronomen immer größere und bessere Teleskope gebaut und gelernt, nicht nur das für unsere Augen sichtbare Licht zu beobachten sondern auch alle anderen Arten der elektromagnetischen Strahlung.
Mittlerweile ist es Standard, den Himmel im Infrarotlicht zu beobachten oder die UV-Strahlung der Himmelskörper zu analysieren. Wir haben Instrumente um Radio- und Mikrowellenstrahlung zu detektieren, können Gamma- und Röntgenstrahlung aus dem Universum messen und all diese unterschiedlichen Beobachtungen und Daten zu einem umfassenden Bild des Kosmos zusammensetzen. Gravitationswellen stellen einen Weg dar, unseren Blick ein weiteres Mal fundamental zu verändern: Mit ihnen bekommt die Astronomie eine Möglichkeit, den Himmel nicht mehr nur im Licht der elektromagnetische Strahlung zu sehen!
Gravitationswellen bewegen sich – im Gegensatz zu Licht und anderen elektromagnetischen Wellen – nicht durch den Raum. Es handelt sich um Wellen im Raum. Das ist wichtig! Denn genau darin liegt der große Wert für die Astronomie. Mit normaler elektromagnetischer Strahlung haben wir zum Beispiel kaum eine Chance, etwas über das Innere von Himmelskörpern zu erfahren bzw. müssen wir extrem viele Umwege in Kauf nehmen um wenigstens ein bisschen was zu lernen. Elektromagnetische Strahlung kann von normaler Materie sowohl ausgesendet als auch absorbiert werden. Gravitationswellen dagegen werden von Materie kaum beeinflusst. Das, was uns den Blick auf die Details vieler Himmelskörper verstellt, stört die Ausbreitung der Gravitationswellen gar nicht. Sie breiten sich ungehindert aus und tragen in sich die Informationen über die Objekte und Ereignisse bei denen sie ausgelöst worden sind.
Beispielsweise schwarze Löcher: Diese Himmelskörper sind notorisch schwer zu beobachten; per Definition sind sie ja nicht in der Lage, Licht abzustrahlen. Über ihr Innenleben und ihre Eigenschaften wissen wir immer noch enorm wenig. Aber sie sind eine gute Quelle für Gravitationswellen! Ein Beispiel: Im Zentrum jeder Galaxie befindet sich ein riesiges schwarzes Loch. Wenn nun Galaxien miteinander wechselwirken und kollidieren, verschmelzen irgendwann auch die beiden schwarzen Löcher. Das Schicksal einer Galaxie hängt stark vom Verhalten ihres zentrales schwarzen Lochs ab (siehe dazu Beispiel hier, hier, hier oder hier). Zu wissen, wie sich diese schwarzen Löcher verhalten, welche Eigenschaften sie haben und wie so eine Kollision im Detail abläuft, wäre enorm wertvoll und würde unser Verständnis der großräumigen Vorgänge bei der Entstehung und Entwicklung von Galaxien und der in ihnen enthaltenen Sternen enorm verbessern.
Aber andere Galaxien sind weit entfernt und mit den Methoden der normalen Astronomie schwer zu beobachten. Die Gravitationswellen die bei der Kollision zweier galaktischer schwarzer Löcher entstehen, sollten dagegen mit Detektoren wie LIGO gut nachweisbar sein. Aus ihrem Verhalten können wir dann die Eigenschaften der Löcher selbst ableiten. Wenn wir die Gravitationswellen so eines Ereignisses erst mal detektiert haben, können wir dann natürlich auch mit den normalen Teleskopen nachsehen und die so erhaltenen Informationen kombinieren.
Schwarze Löcher und Galaxien sind aber nur eines von vielen Phänomen, die wir mit Gravitationswellen besser verstehen können. Es gibt noch genug andere: Neutronensterne zum Beispiel. Dabei handelt es sich um die extrem dichten Überreste ehemaliger großer Sterne. Wenn sie nach dem Ende ihrer Kernfusion kollabieren, dann wird die restliche Materie enorm stark verdichtet. Sie sind nur ein paar Dutzend Kilometer groß, dabei aber so schwer wie die gesamte Sonne. Wir wissen, dass es diese Objekte gibt und haben schon viele von ihnen entdeckt und beobachtet (siehe zum Beispiel hier oder hier). Aber was sich in ihrem Inneren abspielt, ist weitestgehend unverstanden. Wie verhält sich Materie unter solch extremen Bedingungen? Das wissen wir nicht, aber mit Gravitationswellen könnten wir es herausfinden. Normalweise sollte sich das Material eines Neutronensterns unter der starken Eigengravitation zu einem fast perfekten runden Objekt formen. Aber wenn die Materie sich doch ein wenig anders verhält als wir denken, könnte es Abweichungen geben. Sie wären nicht mehr exakt symmetrisch, würden sich also ein wenig “unrund” bewegen und dadurch auch die Art und Weise verändern, in der sie Gravitationswellen verursachen.
Gleiches gilt für Supernovae, die großen Explosionen mit denen massereichen Sterne ihr Leben verändern. Diese Ereignisse sind von fundamentaler Bedeutung; sie formen ihre Umgebung, führen zur Entstehung von neuen Sternen und verteilen all die wichtigen schweren Elemente im Kosmos, die zuvor in ihrem Inneren durch Kernfusion erzeugt wurden. Auch Supernovae erzeugen Gravitationswellen und auch hier können wir aus dem Verhalten der Wellen Informationen zum Beispiel über die Massenverteilung im Inneren der Supernovae während der Explosion ableiten.
Gravitationswellen gab es auch, als das Universum entstand und sich – vermutlich – kurz nach dem Urknall extrem schnell ausdehnte. Diese Phase der kosmischen Inflation gehört zum Standardinventar fast jeder kosmologischen Theorie; wurde aber ebenfalls nur indirekt belegt und noch nicht direkt nachgewiesen (eine entsprechende Detektion vor einigen Jahren hat sich als fehlerhafte Messung heraus gestellt). Was die Frühphase des Universums angeht, sind wir mit der elektromagnetischen Strahlung besonders stark eingeschränkt. Damals gab es keine Galaxien und keine Sterne; nichts, was sich so einfach mit den Teleskopen beobachten lässt, die wir besitzen. Aber mit Gravitationswellen können wir die Eigenschaften des gerade geborenen Universums untersuchen und – im wahrsten Sinne des Wortes – Licht auf diese wichtige Phase des Kosmos werfen.
Mit Gravitationswellen können wir diverse physikalische Hypothese prüfen; zum Beispiel die Frage nach der Existenz Kosmischer Strings und der fundamentalen Natur der Raumzeit. Wir können die Grundlagen der bestehenden Physik testen und nachsehen, ob sich die Gravitation wirklich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet wie es Albert Einsteins Relativitätstheorie voraus sagt oder ob doch irgendwann mal Abweichungen und damit wichtige Hinweise auf eine neue, umfassende physikalische Beschreibung der Gravitation zu entdecken sind. Und so weiter…
Und das waren bis jetzt alles nur Anwendungen von denen wir wissen, dass sie möglich sind! Natürlich wird man dank der Beobachtung von Gravitationswellen auch noch Dinge machen können, an die wir jetzt noch gar nicht denken. Wir werden vielleicht völlig neue Phänomene im Universum entdecken, die wir bis jetzt noch nicht entdecken konnten, weil uns der richtige Blick gefehlt hat.
Natürlich ist es ein weiter Weg vom ersten direkten Nachweis einer Gravitationswelle bis hin zu einer kompletten Gravitationswellenastronomie. Aber es war auch ein weiter Weg von Galileo Galileis erstem Blick durch sein kleines und simples Teleskop bis hin zur modernen Astronomie mit ihren Weltraumobservatorien und Riesensternwarten. Ein Weg allerdings, der sich gelohnt hat! Mit der ersten Beobachtung von Gravitationswellen machen wir auch den ersten Schritt auf einem neuen Weg. Und ich bin zutiefst gespannt, wohin er uns führen wird!
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