Unser Universum ist zum größten Teil leer. Das Nichts ist quasi der Hauptbestandteil des Kosmos. Wenn man sich per Zufall einen beliebigen Platz im Universum aussucht, dann steht die Chance mehr als gut, dass an diesem Ort nichts ist. Man hat schon großes Glück gehabt, wenn sich dieses Nichts zwischen den Sternen einer Galaxie befindet; dass man dabei einen Planeten (noch dazu einen bewohnbaren wie die Erde) trifft, ist so unwahrscheinlich, dass es fast unmöglich ist. Das meiste Nichts findet man in den Räumen zwischen den Galaxiengruppe. Anhäufungen von Galaxien, die durch gigantische Leerräume getrennt sind, machen die grundlegende Struktur des Universums aus. Aber die Leere ist vielleicht doch nicht ganz so leer, wie man bisher gedacht hat. Das legt zumindest eine neue Studie nahe, die sich mit großräumigen Materieverteilung im Kosmos beschäftigt hat (“Large-scale mass distribution in the Illustris simulation”).
Martin Haider von der Universität Innsbruck und seine Kollegen haben das “kosmische Netz” untersucht. Das sieht das tatsächlich aus wie eine Art Netz: Milliarden Lichtjahre lange “Fäden”, die aus unzähligen aneinander gereihten Galaxienhaufen bestehen, umschließen ebenso Milliarden Lichtjahre durchmessende Leerräume. Zusammen bestimmen diese “Filamente” und “Voids” (über die ich hier mehr geschrieben habe) die großräumige Verteilung der Materie im Universum.
Direkt zu messen, wo sich wie viel Materie befindet, ist allerdings nicht so einfach. Man kann natürlich Galaxien beobachten und ihre Masse abschätzen. Aber da sieht man im Wesentlichen nur die Materie, die in Form leuchtender Sterne vorhanden ist. Sehr viel Material existiert aber auch in Form eines dünnen Gases, das sich als interstellare bzw. intergalaktische Materie zwischen den Sternen und den Galaxien befindet. Das ist viel schwerer zu analysieren. Man kann zwar zum Beispiel das Licht ferner Galaxien beobachten. Das durchquert auf seinem Weg zu uns die leeren Räume und das Gas darin und die Art und Weise wie es dadurch beeinflusst wird, ist prinzipiell messbar. Die Beobachtungen sind aber bisher nicht völlig konsistent. Die auf diese Weise bestimmte Menge an Materie in großen Entfernungen stimmt nicht mit der Menge an Materie überein, die sich vergleichsweise nahe (d.h. in unserer lokalen Galaxiengruppe) befinden müsste.
Oder anders gesagt: Die Menge an Materie zwischen den Galaxien im frühen Universum (denn “weiter weg” heißt ja in der Astronomie immer auch “tiefer in der Vergangenheit”) ist größer als die Menge an Materie die wir heute beobachten. Dieses “Missing-Baryon-Problem” hat die Astronomen schon länger beschäftigt, aber die Arbeit von Markus Haider und seinen Kollegen hat nun ein wenig mehr Klarheit gebracht.
Sie haben die Illustris-Simulation betrachtet. Das ist ein extrem komplexes und umfassendes kosmologisches Modell, bei dem im Wesentlichen die Entwicklung des Universums vom Urknall bis hin zur Gegenwart am Computer simuliert wurde. Das klingt einfacher als es ist. Genaugenommen ist so eine Simulation alles andere als einfach. Mit einer reinen Berechnung der wechselseitig wirkenden Gravitationskräfte ist es da nicht getan (und selbst das wird enorm schwierig, wenn wirklich viele Objekte involviert sind); man muss die Dynamik des ganzen ursprünglichen Gases berücksichtigen; die Expansion des Kosmos; den Einfluss von dunkler Materie und dunkler Energie, und so weiter. Am Ende erhält man dann natürlich auch kein Abbild des realen Universums – aber ein Modelluniversum, dass in seiner Struktur und seinem Aufbau dem echten Kosmos doch so sehr ähnelt, dass sich daraus relevante Rückschlüsse ziehen lassen.
Zum Beispiel über die Art und Weise in der sich die Materie zwischen den Galaxienhaufen verteilt. Haider und seine Kollegen haben festgestellt, dass 94 Prozent der Materie (normale Materie und dunkle Materie) in den Filamenten des kosmischen Netzes zu finden sind. Der Rest steckt in den Voids. Betrachtet man allerdings nur die “baryonische”, also die normale Materie, dann finden sich ganze 20 Prozent davon in den gigantischen Leerräumen. Sie sind also nicht so leer, wie man bis jetzt angenommen. Was nicht heißt, dass es dort plötzlich eng wird… Die Voids machen 80 Prozent des universalen Volumens aus und die Materie hat genug Platz um sich weiträumig zu verteilen. Es ist ein sehr, sehr dünnes (und kaltes) Gas und deswegen mit normalen Mitteln vermutlich auch nicht beobachtbar.
Aber genau das ist eben der Vorteil von kosmologischen Simulationen: Im Gegensatz zum riesigen Weltall muss man nur riesige Computerdateien durchsuchen, in denen sich die (simulierte) Materie wesentlich einfacher finden lässt. Haider und seine Kollegen haben auch eine Vorstellung, wie das ganze Material dorthin gekommen ist. Dafür sind wieder einmal die supermassereichen schwarzen Löcher in den Zentren der Galaxien verantwortlich. Was einmal im Loch gelandet ist, kommt zwar nicht mehr raus. Aber in der Umgebung der Löcher laufen enorm hochenergetische Prozesse ab. Riesige “Jets”, also Ströme aus Strahlung und Teilchen können von aktiven schwarzen Löcher ausgehen und Materie aus interstellaren Gaswolken aus den Galaxien hinaus in die Voids pusten.
Die Leere im Universum ist also nicht ganz so leer wie man bisher dachte. Aber immer noch ziemlich leer…
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