Es hat sich vermutlich schon herum gesprochen: Die NASA hat gestern die bisher größte Sammlung an neu entdecken Planeten veröffentlicht. Zu den bisher bekannten 2125 extrasolaren Planeten sind nun auf einen Schlag 1248 neue Planeten anderer Sterne hinzu gekommen. Das ist ein schönes Resultat und wichtiges Resultat. Aber eine “Entdeckung” im eigentlichen Sinn ist es nicht. Denn “entdeckt” wurde nichts, auch wenn das der Fokus der meisten Berichte über das Thema ist, die ich bisher gelesen habe. Was an dieser Arbeit meiner Meinung nach eigentlich interessant ist, möchte ich in diesem Artikel kurz erklären.
Die wissenschaftliche Facharbeit von Timothy Morton von der Uni Princeton und seinen Kollegen, die gestern präsentiert wurde trägt den Titel “False Positive Probabilities for all Kepler Objects of Interest: 1284 Newly Validated Planets and 428 Likely False Positives” (hier als pdf verfügbar). Der etwas lange Titel fasst gut zusammen, um was geht: Um “Kepler Objects of Interest”, die “validiert” wurden, in dem man “Falsch-Positiv-Wahrscheinlichkeiten” berechnet hat.
Keplers interessante Objekte
Fangen wir mit dem Anfang an: Was sind “Kepler Objects of Interest” bzw. kurz “KOIs”? Das Weltraumteleskop Kepler befindet sich seit 2009 im Weltall und sucht dort nach extrasolaren Planeten. Das hat es in den vergangenen Jahren höchst erfolgreich gemacht; Keplers Daten haben unser Wissen über die fremden Welten revolutioniert. Die Entdeckung eines neuen Planeten, die noch vor kaum 20 Jahren eine große Sensation war, ist dank Kepler (und der anderen tollen Teleskope) mittlerweile Routine. Schwierig bleibt es trotzdem. Denn ein Planet entdeckt sich nicht einfach so. Man kann sie in den allermeisten Fällen nicht direkt sehen; dafür sind sie zu weit weg und reflektieren zu wenig Licht. Wenn aber so ein Planet von uns aus gesehen direkt vor seinem Stern vorüber zieht, verdeckt er dabei kurzfristig ein klein wenig des Sternenlichts und das kann man messen. Besonders gut wenn man, wie Kepler, vom Weltall aus sehr, sehr viele Sterne regelmäßig beobachtet.
Das Problem an der Sache ist nun, dass es viele Gründe geben kann, warum ein Stern ab und zu ein wenig dunkler wird. Die Helligkeit eines Sterns kann sich zum Beispiel auch ändern, wenn es sich um ein enges Doppelsternsystem handelt. Für uns sieht das dann aus wie ein einziger Stern, aber je nachdem wie die beiden sich gerade bedecken kommt mal mehr und mal weniger Licht zu uns. Genau so könnte das verdunkelnde Objekt kein Planet sein, sondern ein brauner Zwerg (ein Mittelding zwischen Planet und Stern). Kurz gesagt: Um wirklich sicher sein zu können, dass man einen Planeten entdeckt hat und nicht irgendwas anderes, muss man die Beobachtungen von Kepler überprüfen. Idealerweise passiert das mit Teleskopen von der Erde aus. Dort kann man Methoden nutzen, die die Existenz des Planeten nicht nur verifizieren, sondern auch seine Masse genau bestimmen können. Erst wenn das passiert ist, kann man eigentlich von der “Entdeckung” eines Planeten sprechen.
Solange das nicht geschehen ist, handelt es sich nur um einen “Planetenkandidaten”. Oder eben ein “Kepler Object of Interest”. Von denen hat Kepler im Laufe der Zeit jede Menge angesammelt. Da all die Sterne die das Weltraumteleskop beobachtet aber sehr lichtschwach sind, ist es normalerweise schwer bis unmöglich, sie mit den Teleskopen von der Erde aus zu beobachten. Die wenigstens KOIs lassen sich also auf diesem Weg verifizieren und man hat sich andere Methoden ausdenken müssen.
Wahrscheinlichkeitsvalidierung
Ganz vereinfacht gesagt läuft diese Methode so ab: Man sieht sich die Verdunkelung des Sterns an und überlegt sich, wie sie zustande kommen könnten. Dann berechnet man, wie wahrscheinlich es ist, dass das durch einen Planeten geschehen ist. Und wenn diese Wahrscheinlichkeit groß genug ist, ist der KOI validiert und zu einem echten Planeten geworden. Die NASA hat das in ihrer Pressmitteilung in einer wunderbar absurden Grafik dargestellt:
Folgt man dieser Grafik, sieht es fast so aus, als würden die Wissenschaftler am Ende einfach auswürfeln, was sich “Planet” nennen darf und was nicht… Aber ok, es ist auch ein wenig schwer, alle Details zu erklären. Das werde auch ich nicht tun – aber die Grundidee ist nicht so kompliziert zu verstehen. Morton und seine Kollegen haben zuerst ein paar Annahmen über mögliche Phänomene getroffen, die eine Verdunkelung des Sterns verursachen können. Zum Beispiel, dass es sich um ein Doppelsternsystem handelt. Oder ein Dreifachsternsystem. Oder das einfach zufällig zwei eigentlich komplett unterschiedlich weit entfernte Sterne beide in unserer Sichtlinie liegen und sich so aneinander vorbei bewegen, dass es aussieht wie eine Verdunkelung. Für jeden dieser Fälle haben sie eine Lichtkurve erstellt; also ein Diagramm (wie das in der Grafik oben links), das den Abfall des Sternenlichts beschreibt. Dann haben sie aus bekannten Daten über die Verteilung und Häufigkeiten von Mehrfachsternsystemen, usw, berechnet, wie wahrscheinlich es ist, dass Kepler zufällig auf so ein System blickt, das aussieht als wäre da ein Planet obwohl da keiner ist. Außerdem wurden diese simulierten Lichtkurven mit den konkreten Messungen verglichen und man hat berechnet, wie gut sie zusammenpassen.
Es geht also um zwei Wahrscheinlichkeiten:
- Wie wahrscheinlich ist es, dass die simulierte Lichtkurve die Realität beschreibt. Das heißt: Wie wahrscheinlich ist es, dass Kepler zum Beispiel zufällig gerade auf ein Doppelsternsystem blickt.
- Wie wahrscheinlich ist es, dass die gemessenen Datenpunkte genau zu dieser simulierte Lichtkurve passen.
Das wird dann mathematisch kombiniert und am Ende bekommt man eine weiter Zahl die angibt, wie wahrscheinlich ist es, dass die Daten tatsächlich von einem der vielen Phänomene verursacht worden sind, die nichts mit einem Planeten zu tun haben.
Diese Methode ist nicht neu und wurde – zumindest was das Grundprinzip angeht – auch schon früher verwendet. Morton und seine Kollegen haben sie aber nun verbessert und sie vor allem das erste Mal auf den kompletten Katalog von KOIs angewandt. Mit interessanten Resultaten!
Falsch und Positiv (und keine zweite Erde!)
Der komplette Katalog an KOIs der in der Arbeit verwendet wurde, enthält 7470 Einträge. Die wurden aber nicht alle für die Analyse verwendet. Ein paar davon eignen sich aus verschiedenen Gründen nicht für diese Art der Untersuchung. Und bei vielen waren die Daten nicht gut genug. Morton und seine Kollegen haben sich auf die beschränkt, die schon mit anderen Methoden zumindest vorläufig untersucht wurden und bei denen man sich halbwegs sicher war, dass es sich um Planeten handelt. Aber eben nicht wirklich sicher… Das waren immerhin noch 2857 Objekte und die Wahrscheinlichkeitsvalidierung zeigte, dass 1935 davon mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 99 Prozent auch tatsächlich Planeten sind. Von diesen 1935 wurden 651 schon vorher durch andere Methoden verifiziert. Es bleiben also 1284 neue Validierungen und das sind genau die “1248 neu entdeckten Planeten” von denen in der Pressemitteilung und den Medien die Rede ist.
Diese Grafiken fassen die Ergebnisse und bekannten Eigenschaften der neu verifizierten Planeten zusammen:
Das erste Bild zeigt in blau die bisher von Kepler entdeckten Planeten und in orange die neu dazugekommen. Man sieht ihre Anzahl in Bezug auf ihre Größe und erkennt, dass in Relation im Wesentlichen überall gleich viel dazu gekommen sind. Das ist ein gutes Zeichen, denn es heißt, dass wir mittlerweile wirklich einen halbwegs vollständigen Blick auf die Lage haben. Je länger wir beobachten, desto mehr Planeten entdecken wir. Aber die Natur der Planeten bleibt gleich; es tauchen nicht plötzlich Unmengen an Gasriesen oder Supererden auf. Eine Ausnahme dürfte das linke Ende des Diagramms sein. Um die wirklich kleinen Planeten zu finden, sind die Teleskope noch nicht gut genug; hier werden die Balken in Zukunft vermutlich (hoffentlich!) überproportional anwachsen.
Das zweite Bild zeigt die ungefähr erdgroßen (bis zur doppelten Größe der Erde) Planeten die sich in der habitablen Zone ihres Sterns befinden. Wieder sind blau die alten und orange die neuen Daten und wieder sehen wir keine fundamentalen Änderungen; nur einen Zuwachs in der Menge. Und vor allem sehen wir keine “Zweite Erde”! Das muss man immer wieder extra betonen: Nur weil ein Planet so groß wie die Erde ist und sich im richtigen Abstand von seinem Stern befindet, folgt daraus nicht, dass dort auch die gleichen Bedingungen herrschen wie bei uns! Das hängt von so enorm vielen anderen Eigenschaften ab (der Atmosphäre, der Masse, dem Magnetfeld, etwaigen Monden, der Entstehungsgeschichte, der planetaren Aktivität, usw) von denen wir überhaupt keine Ahnung haben und auch so gut wie nicht können. Um herauszufinden, wie die Bedingungen auf einem anderen Planeten sind, müssen wir auf die nächste Generation der Teleskope warten.
Ich finde vor allem dieses Bild interessant:
Besser kann man den Fortschritt bei der Erforschung der Exoplaneten kaum illustrieren. Die ganzen spektakulären Entdeckungen neuer Planeten die zwischen 1995 und 2005 gemacht worden sind, sind in dem Diagramm kaum mehr zu sehen. Es wird ganz von den Beobachtungen der Weltraumteleskopen im letzten Jahrzehnt dominiert und dort von den Kepler-Daten. Planeten sind überall. Planeten sind extrem häufig. Das Universum ist voll davon und nachdem wir so lange (wirklich lange; im Prinzip Jahrtausende lang) danach gesucht haben, füllen sich unsere Kataloge nun schneller, als wir die Daten verstehen oder auswerten können. Und es gibt keinen Grund davon auszugehen, dass das in Zukunft anders (oder gar langsamer) werden sollte.
Wahrscheinlichkeit ist gut. Daten sind besser
Aber bei aller Euphorie: Wir müssen die Daten trotzdem immer noch genau ansehen. Denn Morton und seine Kollegen haben in der Liste der 2857 vermuteten Planeten nicht nur 1935 (und 1248 neue) tatsächliche Planeten identifiziert. Sondern auch gezeigt, dass immerhin 428 davon mit 90% Wahrscheinlichkeit keine Planeten sind. Das sind nicht wenige – und demonstriert einmal mehr, dass wir uns nicht auf ein einziges Instrument verlassen dürfen. Selbst wenn es so eindrucksvoll und großartig ist wie Kepler. Wir brauchen weiterhin Teleskope auf der Erde die in der Lage sind, unabhängige Verifikation oder Falsifikation zu liefern. Wir brauchen neue und bessere (Weltraum)Teleskop um all die schwachen Sterne zu beobachten, die wir jetzt nicht beobachten können. Eine Technik wie die Wahrscheinlichkeitsvalidierung ist ein tolles Instrument. Aber wenn wir die tausenden Planeten irgendwann auch verstehen wollen, brauchen wir echte Daten und keine Wahrscheinlichkeiten…
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