Ein aktuelle Arbeit [1] aus Science zeigt erstmalig empirisch, daß analytisches Denken den religiösen Unglauben fördert.
Auch wenn dieses Ergebnis nicht überraschend ist, fand ich es doch sehr spannend, zu lesen, wie es den kanadischen Kollegen gelungen ist, das nachzuweisen.
Um die Ergebnisse jedoch zu verstehen, müssen erst die Prämissen, auf denen die Studie aufbaut, geklärt sein:
In der modernen Kognitionsforschung wird für die Analyse menschlichen Denkens häufig ein sogenanntes “dual process”-Modell verwendet. Dieses Modell geht davon aus, daß im menschlichen Denken zwei “Systeme” für die Informationsverarbeitung nebeneinander existieren. System 1 beruht auf einer recht sparsamen Heuristik, wo mit begrenztem Wissen über eine Situation/ einen Sachverhalt mit Mutmaßungen Aussagen über die Situation / den Sachverhalt getroffen werden, so daß das System schnell zu intuitiven Antworten kommt. Das andere, System 2, beruht hingegen auf bedächtigem analytischem Prozessieren.
Beide Systeme können durchaus parallel laufen, doch kann System 1 von System 2 untergeordnet und unterdrückt werden, wenn eine analytische Tendenz des Denkens aktiviert worden ist und gerade kognitive Ressourcen zur Verfügung stehen (man also Zeit und Ruhe hat, nachzudenken).
Die Theorie des “dual process”-Models hat sich bereits bei zahlreichen Experimenten und Erklärungsversuchen in unterschiedlichen Bereichen bewährt und ist die Voraussetzung für das Verständnis der vorliegenden Studie.
Zu Beginn ihrer Arbeit stellen die Autoren fest, daß es bereits solide Evidenz dafür gibt, daß das Zusammenlaufen intuitiver (also nicht analytischer) kognitiver Prozesse den Glauben an übernatürliche Instanzen (z.B. einen Gott / Götter), der ja ein zentraler Aspekt der meisten Religionen ist, unterstützten und erleichtern.
Diese Prozesse umfassen diverse esoterische Konzepte wie Intuitionen über Teleologie, den Dualismus von Körper und Seele/Geist und Unsterblichkeit der Seele.
Der Glaube an religiöse Konzepte ist also charakterisiert durch die Arbeitsweise des Systems 1. Wenn aber religiöser Glaube durch eine Konvergenz von intuitiven Prozessen entsteht und analytisches Prozessieren (wie System 2 es macht) intuitives Prozessieren einschränken oder unterdrücken kann, dann könnte analytisches Denken den intuitiven Unterbau für religiösen Glauben unterminieren.
Das „dual process”-Modell sagt also voraus, daß analytisches Denken ein Ursprung für religiösen Unglauben sein kann und in der Tat ist bereits Evidenz vorgelegt worden, die diese Hypothese unterstützt [2].
In der vorliegenden Arbeit wurden drei Ansätze verfolgt, um die Robustheit und Allgemeingültigkeit der Befunde zu belegen: 1.) in einer ersten Untersuchung wurde geprüft, ob individuelle Unterschiede bei der Tendenz, analytisch zu denken, mit geringerem religiösen Glauben zusammenhängen. 2.) in vier weiteren Untersuchungen wurde der ursächliche Zusammenhang belegt, indem geprüft wurde, ob bestimmte experimentelle Manipulationen des analytischen Denkprozesses religiösen Unglauben fördern. Diese Manipulationen waren visuelles und implizites (also gewissermaßen indirektes) Priming sowie kognitive Disfluenz (also die Beeinträchtigung der kognitiven Verarbeitung von Signalen). 3.) über alle fünf Untersuchungen wurde der religiöse Glaube „gemessen”, wobei man auf den Glauben an religiös indossierte übernatürliche Wesen fokussierte.
Die Probanden waren Freiwillige mit verschiedenen kulturellen und religiösen Hintergründen.
Im folgenden erkläre ich kurz die einzelnen oben erwähnten Untersuchungen:
Untersuchung 1 (179 Teilnehmer): Hier wurde die Leistung bei einer analytischen Denkaufgabe (Anhang A) mit drei verwandten aber unterschiedlichen Maßzahlen für religiösen Glauben korreliert. Die analytischen Denkaufgaben sind dabei so gestellt, daß die Teilnehmer eine anfängliche Intuition analytisch unterdrücken müssen, um zur richtigen Lösung zu gelangen, denn ein schnelles, intuitives Lesen der Aufgabe verleitet zu einer raschen, leichten aber falschen Antwort. Nach der Denkaufgabe mußten die Teilnehmer drei Fragebögen ausfüllen (Anhang B, C und D). Die drei jeweils aus den Fragebögen abgeleiteten Skalen für die Bewertung des religiösen Glaubens sind dabei stark miteinander korreliert (alle Korrelationskoeffizienten lagen > 0,77, alle P-Werte < 0,001).
Das Ergebnis bestätigte die Hypothese, daß auf der Ebene individueller Unterschiede die Tendenz, intuitives Denken analytisch zu unterdrücken, mit religiösem Unglauben assoziiert war: analytisches Denken erwies sich als negativ korreliert mit allen drei Maßzahlen (aus den drei Fragebögen) für religiösen Glauben (alle Korrelationskoeffizienten lagen < -0,15, alle P-Werte < 0,05).
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