Nach einem kleinen Aperitif zum Thema erscheint heute der erste Gastbeitrag bei blooD’N’Acid, genau genommen sein erster Teil. Daß sie nicht wirkt, u.a. weil sie, sofern grundlegende Erkenntnisse der Physik, Chemie, Biologie und Medizin richtig sind, nicht wirken kann, ist tausendfach erwiesen und die Prinzipien der Homöopathie sind längst zur von Skeptikern hingebungsvoll wundgedroschenen Piñata verkommen. Dies als gegeben voraussetzend unternimmt der folgende Artikel den Versuch, zu ergründen, wie es möglich ist, daß dieser unwissenschaftliche Humbug, der seit mehr als 200 Jahren künstlich und gegen alle Widerstände am Leben erhalten wird, im Jahr 2012 an deutschen Universitäten Nachwuchsmedizinern und -pharmazeuten als ernstzunehmendes Fach präsentiert wird und warum sich geschütteltes Wasser in Apotheken so überaus gut verkauft. An dieser Stelle bereits meinen herzlichen Dank an die Autorin Claudia Graneis.
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„Die hohe Würde eines guten Apothekers, aus dessen unbestechlich gewissenhaften Händen Leben und Gesundheit in lauterer Quelle fließt, und unter dessen wachsamer Kenntniß die ächtigen Werkzeuge erschaffen werden, womit wir die zerrüttete Maschine des menschlichen Körpers zu bessern und in ihren ursprünglichen harmonischen Gang zu bringen suchen, wird sich nie mit der Niederträchtigkeit einer vernunftlosen Quacksalberei besudeln.“
Mit diesen Worten, die, im historischen Kontext betrachtet, nicht mehr Ironie in sich tragen könnten, möchte ich einen kleinen Zweiteiler eröffnen, der sich um die Frage dreht, wie das Nebeneinander von „echter“ Pharmazie und ihren esoterischen Geschwistern, insbesondere der Homöopathie, aussieht und wie es dazu kommen konnte.
Das oben genannte Zitat stammt von Christian Friedrich Samuel Hahnemann und ist der Einleitung zu seinem 1799 erschienenem Apothekenlexikon entnommen. Herr Hahnemann wird vielen bekannt sein als Gründer einer offenbar unausrottbaren Irrlehre: der Homöopathie. Was genau Homöopathie ist und nach welchen Prinzipien sie (nicht) funktioniert, möchte ich hier nicht ausführen, denn es dürfte allgemein bekannt sein – wenn nicht, kann bei Psiram eine sehr schöne und ausführliche Definition nachgelesen werden.
Nun zur Position, aus der ich diesen Artikel schreibe: ich bin eine Studentin der Pharmazie und kenne den Apothekenalltag nun auch aus eigener Erfahrung. Im letzten halben Jahr habe ich erschreckende Beobachtungen gemacht und bin Zeugin besorgniserregender Strömungen geworden, die zu dokumentieren ich nun hier versuche.
Es ist bekannt, daß es im Medizinstudium nicht besonders wissenschaftlich zur Sache geht. Dementsprechend viele Ärzte sind mittlerweile Homöopathie-affin und bieten Maßnahmen wie Akupressur oder Bio-Resonanz-Therapie in ihren Praxen an. In meiner kurzen, nicht besonders ruhmreichen Zeit als Medizinstudentin fiel mir genau das auf (besonders, als ich in meinem Chemie-Buch den Hinweis auf Schüßler-Salze fand). In der stillen Hoffnung, daß dies im Studium der Pharmazie anders sein würde, nahm ich selbiges auf… und wurde schwer enttäuscht.
Dieser Studiengang ist durchaus geprägt von einer naturwissenschaftlichen Herangehensweise und ebensolchen Fächern: ein buntes Gemisch aus Chemie, Physik, Physiologie, Biologie, Pharmakologie und Technologie und am Ende steht das Ziel, mit großer Präzision spezifische Wirkstoffe zu finden, Rezeptorfunktionen und –wechselwirkungen zu kennen und reine, qualitativ hochwertige Arzneimittel herzustellen. Man lernt im Idealfall, Studien als Grundlage seiner Beurteilung eines bestimmten Präparats zu verwenden und die „Macht“ wissenschaftlicher Daten als Bewertungsgrundlage zu verstehen. So sollte es zumindest sein – und dennoch hat Homöopathie Hochkonjunktur. Es verging keine Stunde in der Apotheke, in der nicht nach homöopathischen Darreichungsformen verlangt wurde. Und die Pharmazeuten verkaufen die Zuckerkügelchen guten Gewissens.
Wieso ist das so?
Schon bald nach Studienbeginn wurde ich, im Chemie-Seminar, mit den drei in Deutschland gültigen Arzneibüchern vertraut gemacht und traute meinen Ohren kaum: das Europäische Arzneibuch, das Deutsche Arzneibuch und… das Homöopathische Arzneibuch, das, neben allgemeinen Herstellungs- und Prüfverfahren sowie Stoffbeschreibungen aus der Homöopathie, auch Anweisungen zur Anthroposophischen Medizin und der Spagyrik (ja, Alchemie) enthält.
Beispielsweise steht in einer solchen Monographie, daß man für ein bestimmtes „Arzneimittel“ auf keinen Fall die Deutsche Küchenschabe bis zur Unkenntlichkeit in Ethanol und Wasser verdünnen darf, sondern ausschließlich die Orientalische Küchenschabe. Des weiteren finden sich darin Potenzierungsvorschriften und mathematische Gleichungen um die Zusammensetzung von Urtinkturen zu berechnen.
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