Wie im Bericht zur GWUP-Tagung angekündigt, erscheint hier nun zeitgleich mit der neuen Ausgabe des Skeptiker der Artikel zum gleichnamigen Vortrag von Claudia Graneis.
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Homöopathie ist auf dem Vormarsch. Obwohl ein sinnvoller Wirkungsnachweis bislang unterblieben ist, hält sich die Irrlehre Samuel Hahnemanns nicht nur seit über 200 Jahren – Ihre Vertreter werden in zunehmendem Maße auch von Politik und Gesundheitswesen hofiert. Die Auswirkungen sind vor allem in den Apotheken zu spüren: hier werden Kunden oft Globuli empfohlen, ohne dass sie danach gefragt hätten; mitunter für Konditionen, die einen Arztbesuch dringend erfordern. Wieso scheinen Pharmazeuten für die Lehre von den Zuckerkügelchen so anfällig zu sein? Inwiefern ist die pharmazeutische Ausbildung betroffen? Welche Rolle spielen Lobbyarbeit und politische Einflussnahm und welche Gefahren birgt der gegenwärtige Zustand?
Bei einer Internet-Recherche stieß ich kürzlich auf „Lichtglobuli“, ein Präparat, das verdünntes und potenziertes Licht enthalten und so die „Lebensenergie“ sowie die „Zellspannung“ erhalten soll. Zudem beheben diese Lichtkügelchen Dysregulationen im Ätherleib, wie auf der Seite des Vertreibers zu lesen ist. Vielleicht weiß der geneigte Leser nicht, was genau dieser Ätherleib sein soll, doch hier kann schnell Abhilfe geschaffen werden: Ihr Apotheker sollte Ihnen diese Frage beantworten können – weil er es an der Universität lernen musste. Ich selbst hatte, als Pharmaziestudentin im ersten Semester, die Aufgabe, die vier Entwicklungsstadien des Menschen in der Anthroposophie (Geistleib, Physischer Leib, Astralleib, Ätherleib) auswendig zu lernen für die Klausur am Semesterende. Leider ist das kein Einzelfall: jede deutsche Universität muss ihre Pharmaziestudenten in Sachen Homöopathie unterrichten – so legt es der Gegenstandskatalog in der Approbationsordnung für Apotheker fest. [1]
Junge Pharmazeuten schon im Grundstudium über Homöopathie zu unterrichten ist ein effektives Mittel und nur das erste Glied einer Kette, die am Ende dazu führt, dass Apotheker anfällig sind für „Zauberzucker“ und Co. Es gibt praktisch keine Stelle, an der die Homöopathie-Lobby nicht interveniert: vom Grundstudium über Seminare für Pharmazeuten und Referentenbesuche bis hin zur Ausbildung zum Fachapotheker für Homöopathie reicht ihr Einfluss. Und das bleibt nicht ohne Folgen – in den Apotheken ist die Nachfrage nach Globuli äußerst hoch und die Apotheker verkaufen sie gern. Woran das liegen kann, möchte ich im Folgenden erörtern.
Esoterik an den Universitäten
Der erste und bereits genannte Schritt ist es, Studenten der Pharmazie dazu zu zwingen, sich mit der Irrlehre Hahnemanns zu beschäftigen. Hierbei ist der oder die Studierende auf die Wissenschaftlichkeit des Dozenten angewiesen: letzterem steht es frei, ob er das Thema auf eine kritische Art präsentiert oder nicht. In meinem Fall wurde zwar leise und subtil Kritik geübt, doch auf die Frage, wieso das denn nun zu lernen sei, reagierte man nur mit einem Achselzucken. Kurze Zeit später musste sich dann mit den Inhalten der Anthroposophie und Spagyrik auseinandergesetzt werden, allerdings ohne ein kritisches Wort.
Weiterhin angesprochen wurde das Homöopathische Arzneibuch, eine Loseblattsammlung mit Regelungen, welche Qualität, Prüfung, Lagerung und Benennung von homöopathischen Arzneien betreffen. Dieses muss jede Apotheke in Deutschland führen.
In meiner Verwunderung schrieb ich damals dem Bundesgesundheitsministerium, um mich zu erkundigen, was es damit auf sich habe. Ich erhielt folgende Antwort:
Sehr geehrte Frau Graneis,
Vielen Dank für Ihre Email vom 2. Oktober 2012.
Grundsätzlich ist dazu zu sagen, dass es sich bei der Homöopathie um eine in Deutschland seit 1978 anerkannte Besondere Therapieform im Sinne des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) handelt.
Der dem Apotheker vom Gesetzgeber erteilte Auftrag ist die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln (§1 Bundes-Apothekerordnung). Dieser Auftrag bedeutet u. a. die verantwortungsvolle Information und Beratung des Patienten/der Patientin über jedes von ihm abgegebene Arzneimittel und gehört zum Berufsbild des Apothekers.
Der Begriff Arzneimittel umfasst auch die im Register für homöopathische Arzneimittel des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte [BfArM, Anm. d. Autorin] verzeichneten zugelassenen/registrierten homöopathischen Arzneimittel. Homöopathika sind ferner –worauf Sie ja auch hinweisen- im Homöopathischen Arzneibuch verzeichnet, das Teil des Arzneibuchs nach §55 Arzneimittelgesetz ist.
Das Homöopathische Arzneibuch als Sammlung von Regeln über die Qualität, Prüfung, Lagerung und Bezeichnung von homöopathischen Mitteln und die bei ihrer Herstellung und Prüfung verwendeten Stoffe, Materialien und Methoden ist Basis für das erforderliche Grundlagenwissen, um Patientinnen und Patienten sachgerecht beraten zu können. Auch die im allgemeinen Teil des HAB niedergelegten verschiedenen Verfahrenstechniken, die neben klassischen Herstellungsmethoden nach Hahnemann auch auf die Verfahren der Anthroposophie und Spagyrik eingehen, ergänzen pharmazeutische Kenntnisse und Fertigkeiten.
Über die Approbationsordnung für Apotheker ist sichergestellt, dass Apothekerinnen und Apotheker nach Beendigung der pharmazeutischen Ausbildung generell über die erforderliche Sachkenntnis bei Arzneimitteln, also u. a. auch bei Homöopathika, verfügen. Dies ist zur Sicherheit der Patientinnen und Patienten unerlässlich.
Selbstverständlich ist es der Inhaberin/dem Inhaber einer Apotheke unbenommen, homöopathische Arzneimittel nicht in ihr/sein Sortiment aufzunehmen. Das entbindet sie/ihn jedoch nicht von der Beratungspflicht und spielt daher bei der Berufsausbildung keine Rolle. Mit freundlichen Grüßen,
[…] [2]
Solche Zustände sowie die intensive Einbindung der Homöopathie in den Lehrplan eines wissenschaftlichen Studiums kommen durch eifrige Lobbyarbeit zustande, und die Methoden der Hahnemann-Jünger gleichen denen der konventionellen Pharmaindustrie aufs Haar: in Ausschüssen des Bundestags werden Aufwartungen gemacht, Bundestagsabgeordnete werden aufs Produktionsgelände und in die Kräutergärten der Hersteller eingeladen, große Stiftungen kaufen sich mit Hilfe von Stiftungsprofessuren für Homöopathie in Universitäten ein.
Doch auch die Ausbildung junger Ärzte ist betroffen: so gibt es im Medizinstudium ein Pflichtfach namens „Naturheilverfahren“, in welchem Akupunktur, Traditionelle Chinesische Medizin und Homöopathie gelehrt werden. Oft sind die Dozenten selbst alternativmedizinbegeistert, sodass nicht auf kritische Aufarbeitung gehofft werden darf. [3]
Damit endet die Einflussnahme auf die Mediziner nicht: Pharmareferenten homöopathischer Konzerne machen auch vor Arztpraxen nicht Halt, bepunktete Fortbildungen für Ärzte und sogar ganze Ausbildungen zum homöopathischen Arzt [7] sind längst die Regel.
Die Infiltration der Apotheken
Ähnlich sieht es in Apotheken aus. Hier gehen ebenfalls Vertreter von DHU und Konsorten ein und aus, haben Flyer, Aufsteller und kleine Informationshefte für die Apotheken und deren Kunden dabei. Natürlich sind sie freundlich und gewinnend; dabei gelingt es ihnen oft mühelos, das Apothekenpersonal von der Wirksamkeit ihrer Präparate zu überzeugen. Die Studienlage wird (und das kann man im Übrigen auch auf die Vertreter der „normalen“ Pharmaindustrie anwenden) allenfalls verzerrt wiedergegeben und stark zusammengefasst, ist jedoch auch oft nicht von Interesse – sonst sähe es für die Übernahme ins Sortiment auch schlecht aus. Die DHU veranstaltet manchmal auch Informationsabende für Kunden in Kooperation mit einzelnen Apotheken, in welchen jene dann stattfinden. Dafür wird natürlich massenhaft Informations- und Werbematerial bereitgestellt.
Zudem fördern die Apothekerkammern die Ausbildung in Bezug auf Homöopathie nach Kräften. Betrachtet man sich das Fortbildungsprogramm der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, so findet man dort „15 Mittel, die Sie kennen sollten – Eine homöopathische Hausapotheke aus der Offizin“ sowie „Umgang mit Bachblütentherapie – Praxisnahe Tipps für den HV“ (= Handverkauf). [4]
Und schließlich muss man nur noch einen Blick in die bekannte Apothekenumschau werfen, um Tipps für homöopathische Hausapotheken und seitenlange Loblieder auf die Zuckerkugeln zu finden. [5] Anders als durch intensive Lobbyarbeit sind solche Zustände nicht zu erklären.
(Ganz besonders sind auch Hebammen mittlerweile zu Opfern dieser Lobby geworden, wie bereits in der letzten Ausgabe des Skeptiker zu lesen war.)
Wieso sind nun ausgerechnet ApothekerInnen so empfänglich für die Lehre der und bereit zum unkritischen Verkauf von Homöopathie? Man stelle sich vor, eine junge Pharmazeutin, die in ihrer Ausbildung sowohl an der Universität als auch durch empirische Beobachtungen im praktischen Jahr vom Nutzen der Homöopathie überzeugt wurde, möchte sich nach ein paar Jahren selbstständig machen und eine Apotheke übernehmen. Schon bald wird sie feststellen, dass viele Kunden dazu übergegangen sind, sich ihre Medikamente im Internet zu bestellen – weiterhin wird es ihr finanzielle Schwierigkeiten bereiten, dass sie für jedes verschriebene Medikament, egal, ob es 20 oder 2000 Euro kostet, gerade mal 8,10 € bekommt. Anders sieht das natürlich bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten aus: hier kann sie ihren Aufschlag auf den Einkaufspreis selbst festlegen und es kommt hinzu, dass Kunden gern bereit sind, für die ohnehin schon nicht eben günstigen Zuckerkügelchen tief in die Tasche zu greifen.
Geschickt platzierte Werbung der Firmen, die besonders auf junge Frauen abzielt, führt dazu, dass die Nachfrage sehr hoch ist und ständig steigt: Mütter wollen gern sanfte Medikamente für ihre Kinder, und generell soll es lieber „etwas Natürliches“ anstatt der „chemischen Keule“ sein. Oft wird man von Apothekerseite den Spruch hören, dass man mit Homöopathika nichts falsch machen könne – doch weit gefehlt.
Die Gefährdung durch Homöopathie
Ein häufig gehörtes Argument von Seiten der Globulibefürworter ist Folgendes: selbst wenn man sich sicher sei, dass auf wissenschaftlicher Ebene kein Wirknachweis für die Zuckerkügelchen existiere (oder existieren könne), so könne man ja den Placeboeffekt ausnutzen und dem Patienten durch Aktivierung der „Selbstheilungskräfte“ helfen. Abgesehen davon, dass man den Placeboeffekt auch als Bonus bei wirklich wirksamen Therapeutika nutzen kann, verwirft man damit eine bedeutende Errungenschaft der modernen Medizin: die informierte Einwilligung, also die informierte und aufgeklärte Zustimmung des Patienten zum Behandlungskonzept. Ist sich der Behandelnde, ob Arzt oder Apotheker, dessen bewusst, dass ein Präparat aus wissenschaftlicher Sicht nicht nur nicht wirken kann und laut aktueller klinischer Studienlage nicht wirkt, und verschreibt er es trotzdem, so täuscht und hintergeht er den Patienten – auch, wenn der Placeboeffekt dann eintritt. Die informierte Einwilligung war in vergangenen Jahrhunderten nicht die Regel. Ein Relikt aus dieser Zeit und, wenn man so möchte, ein Beleg für die Vorliebe für die Bevormundung von Patienten in Arzt- und Apothekerkreisen ist die Rezeptursprache. Rezepturen wurden von je her auf Latein verfasst, damit Arzt und Apotheker kommunizieren konnten, ohne dass der Patient verstand, welches Präparat für ihn zubereitet werden sollte. Da die Abkürzungen praktisch und gebräuchlich sind, wurden sie in gewissem Umfang beibehalten, doch als PatientIn hat man es noch immer schwer, zu erkennen, welche Art von Medikament eine(n) erwartet (bezeichnend ist übrigens, dass klassische Rezeptursprache vollumfänglich fast nur noch von älteren Ärzten und Homöopathen verwendet wird) [6]. Wer würde auch erraten, dass hinter „M. f. Ungt. D. ad Ollam albam“ die Anweisung zum Anrühren einer Salbe und deren Abfüllen in eine weiße Kruke steckt?
Heute schüttelt man als Student mit einem ungläubigen Lächeln den Kopf, wenn der Terminologiedozent erzählt, dass die Rezeptursprache zur elitären Kommunikation zwischen Arzt und Apotheker diente – doch ist es nicht ebenso bevormundend und autoritativ, dem Patienten vorzuenthalten, was er wirklich (oder eben nicht) zu sich nimmt, wenn er drei Mal am Tag fünf Globuli unter seiner Zunge zergehen lässt? Das Verordnen und Empfehlen von Homöopathika an Patienten, obwohl man sich deren esoterischen Charakters bewusst ist, gleicht einer medizinethischen Reise ins Mittelalter, auch wenn es noch so gut gemeint ist.
Doch die Liaison zwischen Globuli und Apotheke birgt weitere Unannehmlichkeiten. Obwohl es üblich ist, Homöopathika als Fertigarzneimittel der großen Firmen wie DHU, Wala, Weleda oder ähnlichen zu kaufen, gibt es auch Kunden, die „ihre“ Präparate nach Rezeptur in der Apotheke anfertigen lassen möchten. Dies ist jedoch nicht immer ganz harmlos: viele homöopathische Präparate enthalten Giftstoffe wie Quecksilber oder Antimon. Ein Apotheker, der solche Präparate herstellen möchte, muss zunächst die Grundstoffe aus dem Großhandel beziehen oder vorrätig haben, also unnötigerweise starke Gifte lagern, die im normalen Apothekenalltag nie gebraucht werden. Zudem setzt er damit seine MitarbeiterInnen, die Pharmazeutisch-Technischen AssistentInnen (PTA), welche die Medikamente meist herstellen, völlig überflüssigen Risiken aus – abgesehen davon, dass diese ihre Arbeits- und Lebenszeit damit verschwenden, stundenlang zu verdünnen oder zu verreiben. Einige der PTAs, mit denen ich sprach, erzählten mir, dass sie diese Prozedur während ihrer Ausbildung durchleiden mussten. Beim zehnmaligen Schütteln nunmehr reinen Wassers gegen den Erdmittelpunkt wurden sie zudem angehalten, möglichst positiv zu denken, damit ihre „Schwingungen“ auf das Medikament übergehen könnten.
Für die Kunden und damit Patienten am gefährlichsten ist jedoch die Handhabung des Themenkomplexes Homöopathie durch das Apothekenpersonal. Meist sind Apothekenmitarbeiter aus Gründen der Wirtschaftlichkeit dazu angehalten, die Kunden nicht darauf hinzuweisen, dass die von ihnen erstandenen Globuli völlig wirkungslos sind. Doch Skeptizismus ist unter Pharmazeuten ohnehin nicht besonders weit verbreitet; viele glauben aufgrund ihrer Erfahrungen mit Kunden, dass Homöopathika tatsächlich irgendeine Art von Wirkung entfalten können. Ich selbst habe in einer Apotheke, in der ich arbeitete, miterlebt, wie Werbeinformationen der entsprechenden Firmen ihren Weg vom Pharmareferenten zum Kunden gingen.
Nachdem die freundliche Referentin einer großen Homöopathiefirma der Apothekerin einen Besuch abgestattet und viele kleine Werbegeschenke sowie ein Poster über ihre Produkte dagelassen hatte, wurde das Personal zu einer „Kurzfortbildung“ zusammengetrommelt. Im Rahmen dieser zehnminütigen Veranstaltung las die Chefapothekerin das Plakat vor und erklärte ein bestimmtes homöopathisches Präparat zum Mittel der Wahl bei Durchfall, dies möge man bitte so auch an die Kunden weitergeben. Kein kritisches Wort, kein gemeinsames Überprüfen und Diskutieren der Evidenz: nur ein kleiner Werbevortrag und alle waren glücklich. Und das ist sicher nicht unüblich in deutschen Apotheken, wie im folgenden Teil des Artikels deutlich wird.
Die Gefahr für den Patienten entsteht in dem Moment, in welchem er mit einer Beschwerde in der Apotheke erscheint und die Fehlinformationen des Pharmareferenten durch das Apothekenpersonal an ihn herangetragen werden. Dies kann im besten Fall zur natürlichen Besserung, wie sie auch ohne Medikamente eingetreten wäre, im schlechtesten zur Therapieverschleppung und zu gefährlichen Komplikationen führen.
Gefährliche Falschberatung in Apotheken – ein Experiment
Ein Fall, bei welchem das Ausbleiben der richtigen Therapie besonders schlimme Folgen mit sich bringen kann, ist die Mittelohrentzündung. Gerade bei kleinen Kindern führt die falsche Behandlung zu einem Persistieren der schlimmen Ohrenschmerzen, doch das ist noch nicht alles: Komplikationen von Hörverlust über operationspflichtige Knochenentzündungen bis hin zu Hirnhautentzündung und lebensgefährlicher Sepsis sind möglich, wenn eine Mittelohrentzündung nicht nach spätestens einigen Tagen antibiotisch behandelt wird. Hier kann es also katastrophal enden, wenn ein Kunde dem gut gemeinten Rat seines esoteriknahen Apothekers Glauben schenkt und diesen Infekt nur homöopathisch, also nicht behandelt.
Um die Beratungsqualität der Apotheken meines Umfeldes zu prüfen, habe ich daher ein kleines Experiment im Kölner Norden durchgeführt, mit folgenden Versuchsbedingungen: ich gab vor, eine medizinisch unbedarfte Mutter zu sein, deren zweijährige Tochter an wiederkehrenden Mittelohrentzündungen leide. Nachdem der Arzt schon wieder Antibiotika aufgeschrieben habe und ich das Gefühl habe, dass das nicht gut sei für das Kind, wollte ich wissen, welche Alternativen es gibt. Alle Apothekenbesuche wurden nur von mir und am selben Tag durchgeführt und auch mein (auswendig gelernter) Text war in jeder Apotheke derselbe, um für alle Apotheken möglichst gleiche Bedingungen zu schaffen. Um die Reaktion der ApothekerInnen und PTAs einordnen zu können, habe ich meine Fragen nach zunehmender Suggestivität folgendermaßen angeordnet.
- Frage 1: „Gibt es eine Alternative zur Behandlung mit Antibiotika?“
- Frage 2: „Gibt es nicht etwas Natürliches?“
- Frage 3: „Gibt es da etwas Homöopathisches?“
Abhängig von der Reaktion der ApothekerInnen und PTAs habe ich die Apotheken in vier Eskalationsstufen eingeteilt:
- Stufe 4: der/die ApothekerIn empfiehlt sofort ein homöopathisches Mittel
- Stufe 3: Homöopathika werden erst auf Frage nach einer „natürlichen Alternative“ empfohlen
- Stufe 2: erst die gezielte Nachfrage nach einem Homöopathikum führt zu dessen Empfehlung
- Stufe 1: es wird kein Homöopathikum empfohlen.
Wünschenswert wäre natürlich, dass jede Apotheke in die erste Kategorie fallen und der jungen Mutter nahe legen würde, schnellstmöglich einen Kinderarzt aufzusuchen (und dessen Verschreibung ernst zu nehmen). Leider unterschied sich die Realität in den sieben von mir getesteten Apotheken deutlich vom Ideal.
In Apotheke 1 erzählte ich einer freundlichen Apothekerin meine Geschichte, woraufhin sie ohne zu zögern ein homöopathisches Präparat zur Behandlung meiner fiktiven Tochter vorschlug (10 ml, 13,95 €). Sie suchte ein paar Informationen zur Dosierung bei Kleinkindern heraus und empfahl auch keine weiteren Maßnahmen. Nach ungefähr zwei Minuten war das Gespräch beendet. Etwas erschüttert begab ich mich in die zweite Apotheke. Hier sah die Sache schon anders aus: auf meine Frage nach Alternativen entgegnete man mir, die gebe es nicht. Nach weiterem Nachbohren schlug die Dame mir die „natürlichen“ Mittel Sinupret und ein Vitaminpräparat vor; beide nicht mit ausreichend Evidenz durch wissenschaftliche Studien belegt und in ihrer Wirkung höchst zweifelhaft. Als ich schließlich gezielt nach Homöopathika fragte, wurde mir das gleiche Mittel empfohlen wie in Apotheke Nr. 1 – eingeleitet von dem guten Ratschlag, dass man „der Homöopathie schon positiv gegenüberstehen“ müsse.
In der dritten Apotheke wurde ich von einem ausgesucht freundlichen Apotheker empfangen, der mir als erster (und leider auch einziger) sagte, was ich hören wollte: an einem Arztbesuch führe kein Weg vorbei. Was er mir allerdings zur unterstützenden Behandlung empfehle, sei das mir schon von den beiden vorherigen Apotheken angeratene Homöopathikum. Es sei ja viel über Homöopathie in den Medien zu vernehmen, erzählte er dann noch, und gerade bei den Hochpotenzen sei es Glaubenssache. Dieses Mittel jedoch enthalte nur Niedrigpotenzen und wirke daher „auf jeden Fall“. Anhand eines Inhaltsstoffes, dem Blausäuresalz des Quecksilbers, erklärte er mir, dass die Mittel so stark verdünnt seien, dass sie nicht mehr toxisch wirken, eine antibakterielle Wirkung sei aber dennoch gegeben (was freilich „schulmedizinisch“ argumentiert – und falsch – ist; Hahnemann-Freunde wären damit nicht einverstanden, entspricht es doch nicht dem Simile-Prinzip). Insgesamt stimuliere das Mittel jedenfalls das Immunsystem. Zum Schluss empfahl mir der Herr, das einmal mit meinem Arzt abzusprechen.
Weiter ging es in die vierte Apotheke, wo ich einer jungen Berufsanfängerin gegenüberstand. Aus dem Stegreif wisse sie keine Alternative zur Antibiose. Ein Blick in die Datenbank schaffte Abhilfe: sie empfehle mir – man ahnt es – ein homöopathisches Mittel. Das wirke auch, wenn man plötzlich Halsschmerzen oder Schnupfen bekomme, dafür könne ich es meiner Tochter auch geben. Ich fragte nach: „Und das hilft?“ Die Apothekerin bejahte und räumte kurze Zeit später ein, dass es natürlich eine Frage des Glaubens sei: wer nicht daran glaube, dem könne es auch nicht helfen.
Ähnliches erwartete mich in Apotheke 5: der erste Gang führte die Pharmazeutin zum Regal, in welchem das mir schon mehrfach empfohlene Homöopathikum stand, auch hier ohne zu fragen, ob ich denn überhaupt Interesse an geschütteltem Lösemittel habe. Lediglich in der vorletzten Apotheke erwartete mich eine Überraschung: die dort arbeitende Frau, die noch sehr jung und daher vermutlich eher PTA als Apothekerin war, beantwortete mir alle Fragen nach Alternativen mit einem klaren Nein – allerdings hatte ich den Eindruck, dass sie nicht um das oben so oft erwähnte „Therapeutikum“ wusste, da sie mir auch nicht klar von Naturheilmitteln und Globuli abriet. Dennoch: aus dieser Apotheke wäre ich nicht mit unwirksamen und überteuerten Mittelchen nach Hause geschickt worden.
Nach diesen entmutigenden Ergebnissen begab ich mich in die letzte Apotheke, um die dort arbeitende Angestellte um Rat für meine kranke Tochter zu bitten. Wie zu erwarten war, nahm auch sie zuerst das Homöopathikum aus dem Regal und erklärte mir ein paar Dinge, die von haarsträubender medizinischer Fehlbildung kündeten. Dieses Mittel werde meiner Tochter sicher helfen, denn sie sei ja noch ein Kind. Bei Kindern wirke Homöopathie erfahrungsgemäß besser, denn sie hätten ihre Körper ja noch nicht mit Fast Food und dergleichen belastet; die Körper der Kleinen seien „rein“. Zudem machten sich Kinder keine Gedanken darum, ob etwas wirke oder nicht, das erleichtere die Verabreichung.
Angesichts dieser Ergebnisse muss man sich um jedes Kind mit Mittelohrentzündung (oder jeder anderen Erkrankung, für die auch ein homöopathisches „Heilmittel“ existiert) offenbar große Sorgen machen: von sieben Apotheken entsprachen fünf der Stufe 4, empfahlen also als erstes Mittel ein Homöopathikum – doch immerhin schickte einer der fünf die fiktive Mutter zum Arzt. Eine Apotheke entsprach der Stufe 2 und nur eine von sieben Apotheken empfahl überhaupt keine homöopathische Behandlung.
Wenn also eine medizinisch unbedarfte Mutter in einer solchen Situation eine Pharmazeutin oder einen Pharmazeuten konsultiert und wenn man annimmt, dass die Daten annähernd repräsentativ oder sogar zu optimistisch sind (wofür die oben angesprochene Lobbysituation spricht), so wird ihr in fast 60% der Fälle als erstes zu einem nutzlosen und teuren homöopathischen Mittel geraten werden; in ca. 85% der Fälle wird sie auf Umwegen zu einem Homöopathikum kommen. Da mir die Mittel in fast jeder Apotheke völlig kritiklos präsentiert und oft noch mit dem bekannten „Damit kann man nichts falsch machen!“ garniert wurden, wundere ich mich seitdem nicht mehr darüber, wie die Lehre von den Zuckerkügelchen in Deutschland und der Welt einen solch traurigen Siegeszug antreten konnte.
Zum Schluss bleibt mir nur noch, einige Vorschläge zu machen, wie man den Einfluss dieser Irrlehre und ihrer Anhänger begrenzen könnte. Zunächst plädiere ich dafür, die Apothekenpflicht der Homöopathika aufzuheben, die nur besteht, weil kein erkennbarer deutscher Name auf die Präparate aufgedruckt wird. Im Supermarkt werden Globuli und Ethanol sicher schnell entzaubert. Zudem wäre ich dafür, Homöopathika nur zur Therapie volljähriger und mündiger Personen zuzulassen, und das auch nur nach einem ärztlichen Aufklärungsgespräch über deren Bestandteile und nachgewiesene Wirksamkeit (denn meine Erfahrung hat gezeigt, dass die meisten Patienten Homöopathika schlichtweg für Pflanzentinkturen halten). Zudem wäre es meiner Ansicht nach ratsam, die alternativen Heilmethoden auch weiterhin an den Universitäten zu lehren – allerdings keinesfalls im „Man muss beide Positionen kennen“-, sondern im „Kenne Deinen Feind!“-Modus. Aufklärung über Gefahren und fehlende wissenschaftliche Plausibilität tun im medizinischen und pharmazeutischen Studium bitter Not, wie man sieht. Die beste Möglichkeit, Hahnemanns Lehre das Wasser abzugraben ist allerdings, einen entscheidenden Vorteil der Homöopathie, nämlich die intensive persönliche Zuwendung, auch für die „Schulmedizin“ zu gewinnen. Denn die homöopathische Behandlung, so formulierte es Cornelius Courts bei blooD’N’Acid, verfügt „[…] tatsächlich über einen einzigen wirksamen und sogar unverdünnten Wirk”stoff” […], auf den sie aber weder Patent noch Alleinanspruch hat und haben sollte: Zeit.“ [2]
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Quellenangaben:
1) https://www.impp.de/IMPP2010/pdf/gkp.pdf
3) https://www.thieme.de/viamedici/medizinstudium/klinik/faecher_kl_studienabschnitt.html#anker2
4) https://www.akwl.de/fortbildung_pharmazie.php?id=649
5) https://www.apotheken-umschau.de/Homoeopathie
6) https://www.phil-hum-ren.uni-muenchen.de/GermLat/Acta/Dilg.htm
7) https://www.dzvhae.de/
weitere Gastbeiträge von Claudia Graneis:
Gastbeitrag: Homöopathie in der Pharmazie – eine Bestandsaufnahme; Teil 1
Wer darüberhinaus Fragen hat und/oder mit der Autorin abseits des Kommentarthreads Kontakt aufnehmen möchte, kann eine E-Mail an mich schreiben, die ich dann weiterleiten werde.
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