Warnung: in dieser Reihe stelle ich schräge, drastische, extreme oder auf andere Weise merkwürdige Studien und Fallberichte vor, die die Forensischen Wissenschaften in ihrer ganzen Breite und Vielseitigkeit portraitieren sollen, die aber in ihrer Thematik und/oder den beigefügten Abbildungen nicht für alle LeserInnen geeignet sind und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte/bebilderte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
Diesmal: ein Fall wahrscheinlich bei autoerotischer Betätigung herbeigeführten Ablebens durch selbst beigebrachte Luftembolie
Über den autoerotischen Tod und die Gefahren entsprechender Experimente habe ich in dieser Rubrik ja schon geschrieben und erwähnt, daß diesem Phänomen trotz seiner Seltenheit (auf Grundlage von Einzelberichten geschätzte 500 – 1000 Todesfälle pro Jahr) ein überproportionales Interesse entgegengebracht wird. In den meisten Fällen autoerotischen Betreibens tritt der Tod durch außer Kontrolle geratene Asphyxie auf, doch auch andere „Techniken“ sind der forensischen Medizin bekannt, z.B. Thoraxkompression, über das Gesicht gezogene Plastiktüten, stromführende Konstruktionen, Inhalation benebelnder Substanzen etc. Wie schon andernorts erwähnt, ist es juristisch bedeutsam, Fälle von autoerotischem Tod von Suiziden und Tötungsdelikten (die ja auch nachträglich als Tarnung wie ein autoerotischer Tod inszeniert werden können) abzugrenzen.
Im hier besprochenen Fall aus Brasilien [1] war das nicht trivial, denn die Todesursache war höchstwahrscheinlich eine Luftembolie. Tödliche Luftembolien sind zwar nicht selten, treten aber in der Mehrzahl der Fälle bei Frauen auf, die zum Abbruch ungewollter Schwangerschaften Vaginalduschen anwenden und dabei versehentlich eine Embolie verursachen. Bei Männern werden sie hingegen nur sehr selten beobachtet und als Suizidtechnik ist die Selbstbeibringung einer Luftembolie praktisch unbekannt.
Zum Fall:
Ein 38-jähriger Mann wurde tot und bereits deutlich fäulnisverändert in seiner Wohnung aufgefunden, Zeichen von Gewalt wurden nicht festgestellt. Der Tote befand sich, nur mit Slippern bekleidet, in einer halbsitzenden Position auf einer Sperrholzplatte, angelehnt an eine an die Wand gestellte Matratze, den Kopf zur linken Seite gekippt und auf einem Motorradhelm ruhend. Neben seinem rechten Schenkel stand eine augenscheinlich selbstgebaute Apparatur: ein Kompressor (wahrscheinlich aus einem Kühlschrank), an dessen Auslass ein Spritzengehäuse angebracht war. Am anderen Ausgang des Spritzengehäuses war ein Gummischlauch (vmtl. ein Stauschlauch) befestigt, welcher wiederum in eine Kanüle mündete, wie sie normalerweise für die intravenöse Gabe von Medikamenten verwendet wird.
Bei Auffindung des Toten war der Kompressor noch in Betrieb und pumpte Luft durch die Kanüle, welche tief in die Eichel des Mannes eingeführt worden war. In der linken Hand hielt er einen Stofflappen und neben seiner linken Hüfte stand eine Flasche mit Ethanol. Hinter seiner rechten Schulter war ein Spiegel so angebracht, daß er aus seiner halb liegenden Position sein Genital betrachten konnte.
Auf der Sperrholzplatte lag geordnet sein persönlicher Besitz, darunter Kleidung, ein Rucksack, Geld und Autoschlüssel. Frauenkleidung oder sonstige auf Fetische oder Paraphilien hindeutende Gegenstände wurden nicht gefunden, Motorrad und Auto standen in der Garage vor dem Haus. Alle Möbel waren ordentlich positioniert, es ergaben sich keinerlei Hinweise auf gewaltsames Eindringen, Diebstahl, Kampfspuren oder dergleichen.
Die äußere Leichenschau erbrachte keine Anhaltspunkte für äußere Gewalt und auch bei der Obduktion konnten am stark fäulnisveränderten und bereits massiv mit Insekten besiedelten Leichnam keine Zeichen von Gewalteinwirkung festgestellt werden, es wurden weder Brüche, Abschürfungen noch innere Blutungen gefunden. Die Genitalien wiesen einerseits natürlich Fäulnisveränderungen auf, andererseits konnten noch Veränderungen festgestellt werden, die durch die Verteilung von Luft im Gewebe erklärbar waren.
Außer der Flasche mit Ethanol (die in Zusammenhang mit dem Lappen in der Hand des Toten als für Desinfektionszwecke gedeutet wurde) wurden keine toxikologisch relevanten Substanzen am Fundort sichergestellt, eine leichentoxikologische Untersuchung wurde aber offenbar nicht durchgeführt.
Die medizinische Vorgeschichte des Verstorbenen war unauffällig, es gab zudem keine Hinweise auf deviantes Sexualverhalten, Paraphilien oder Objektfixierungen und er hatte gegenüber Freunden niemals Suizidabsichten geäußert.
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