Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) hat in einem Thesenpapier die aktuelle Impfpraxis umfassend kritisiert. Da wir auf den ScienceBlogs aufgrund vielfacher Impf-Diskussionen um dieses Papier nicht herumkommen werden, erkläre ich den offenen Thread zum DEGAM-Impfpapier hiermit für eröffnet.
Das Papier kann man hier herunterladen, einige Thesen habe ich herausgegriffen:
Die Impfwilligkeit hat offensichtlich etwas mit der „erlebten Bedrohung” zu tun und differiert spürbar: Z. B. wird die FSME- (sogenannte „Zecken”)-Impfung möglicherweise deshalb stärker nachgefragt, weil hier durch die Presse Angst geschürt wurde. Ähnliches gilt für Impfungen in Verbindung mit Fernreisen. Dabei stehen objektive Gefährdung und Impfwilligkeit teilweise in keinem vernünftigen Verhältnis.
[Es] besteht durch die Impfung im Kleinkindalter die Gefahr der Verlagerung einer Erkrankung ins höhere Lebensalter, die mit zusätzlichen Risiken behaftet ist. Hier ist die wissenschaftliche Diskussion noch nicht abgeschlossen. Auch für andere Impfungen scheint nur ein sehr geringer individualmedizinischer und epidemiologischer Nutzen zu bestehen (Meningokokken Typ C, Pneumokokken). Ob solche Impfungen dann auch ein vertretbares Kosten-/Nutzenverhältnis aufweisen, wird in Zeiten endlicher Ressourcen zunehmend zu einer ethisch legitimierten Frage.
Ohne sich auf die Seite genereller „Impfkritiker” begeben zu wollen, muss auch gesehen werden, dass manche der jüngst empfohlenen Impfungen bzgl. Effektivität, Sicherheit und Verträglichkeit noch nicht abschließend beurteilt werden können (HPV, Rota-Viren). Übereilte Einführungen von Impfungen dürften zudem auch zu Spekulationen beigetragen haben, die StIKo sei in ihren Empfehlungen nicht allein von sachlich-wissenschaftlichen Interessen geleitet. Einige nachgewiesenen Industrie-Verflechtungen von Mitgliedern der StIKo verstärkten diesen Eindruck.
Manche etablierte Impfung (z. B. FSME) würde mit einer deutlich geringeren Impfrate vermutlich ebenfalls ihren Zweck erfüllen. Hier erscheint zumindest vom Standpunkt nil nocere eine Einschränkung im Sinn einer engeren Indikationsstellung vernünftig. Gleiches gilt für die Tetanusimpfung nach ausreichender Grundimmunisierung. Hier sind die Abstände der Wiederauffrischimpfung zu prüfen.
Es sollte eine Empfehlung zum Umgang öffentlicher Einrichtungen (z. B. Kindertagesstätten) mit Personen geben, die sich bewusst gegen eine Impfempfehlung stellen. Dies betrifft insbesondere den ausdrücklichen Hinweis darauf, dass es keine Ausschlüsse von Kindern aus öffentlichen Einrichtungen wie Kindergärten aufgrund nicht durchgeführter Impfungen geben darf. Dies würde einer „Impfpflicht durch die Hintertür” vorbeugen.
Der SPIEGEL spricht von einer “einmaligen Kritik” der DEGAM am deutschen Impfwesen, während der Leiter der staatlichen Impfkomission, Friedrich Hofmann, die Richtigkeit der aktuellen Praxis durch das Thesenpapier bestätigt sieht.
Wie beurteilen die ScienceBlogger und -Leser das DEGAM-Papier? Mir zumindest ist die Frage nach dem vertretbaren Kosten-/Nutzenverhältnis einer Impfung “in Zeiten endlicher Ressourcen” beim ersten Lesen ziemlich sauer aufgestoßen, auch wenn der Gedanke aus ökonomischer Sicht durchaus vertretbar sein mag…
Von unsachlichen Diskussionsbeiträgen bitte ich abzusehen.
Kommentare (111)