Endlich: der Knall!
Die Higgs-Felder und den Higgs-Mechanismus hat Greene ja schon im letzten Kapitel erklärt. Dort hat er das nichtverschwindende Higgsfeld ja mit einem Frosch erklärt, der in einer Napfkuchenform herumspringt. In einer normalen Schüssel würde der Frosch irgendwann genau in der Mitte zur Ruhe kommen – das würde einem Feld entsprechen, dass einen Wert von Null hat. Aber in der Napfkuchenform ist in der Mitte eine Aufwölbung und der Frosch landet mit hoher Wahrscheinlichkeit abseits davon – genauso nimmt das Higgs-Feld einen nichtverschwindenden Wert an, wenn es sich abkühlt. Was wäre aber nun, überlegte Guth, wenn der Frosch doch genau in der Mitte landet? Was wäre, wenn das Higgs-Feld genau auf dem Mittelplateau der Potenzialschüssel landet und dort bleibt, während sich das Universum abkühlt?
Guth fand heraus, dass so ein “unterkühltes Higgs-Feld” zu einem einheitlichen negativen Druck beiträgt. Es verhält sich genauso wie eine kosmologische Konstante und übt eine abstoßende Kraft aus! Aber so ein unterkühltes Higgs-Feld bleibt nicht ewig unterkühlt. Genauso wie sich unterkühltes Wasser (hochreines Wasser, dass flüssig bleibt, obwohl es unter Null Grad gekühlt wird, weil es keine Kristallisationskeime gibt die die Eisbildung auslösen können) durch äußere Störungen sofort zum frieren bewegen lässt, kann auch ein unterkühltes Higgs-Feld spontan vom Mittelplateau “abrutschen” – und das sehr schnell. In der Hinsicht verhält sich das Higgs-Feld also nicht wie eine kosmologische Konstante, die ja tatsächlich immer konstant bleibt. Außerdem zeigt sich, dass der nach außen gerichtete Druck der abstoßenden Gravitation des Higgs-Feldes ungeheuer viel größer ist als der Wert, den Einstein gewählt hat.
Greene schreibt:
“Wenn wir jetzt diese beiden Ideen miteinander verbinden – dass das Higgs-Feld nur einen winzig kleinen Augenblick in dem Zustand hoher Energie und negativen Druck auf dem Plateau verharrt und dass es, während es sich dort befindet, eine enorme nach außen gerichtete Abstoßungskraft erzeugt – was haben wir dann? Wie Guth erkannte, haben wir dann einen ungeheuren, kurzlebigen, nach außen gerichteten Ausbruch. Mit anderen Worten, wir haben, was der Urknalltheorie bislang fehlte: einen Knall, und einen großen dazu.”
Mit Guths Entdeckung kann man nun die Entwicklung des Universums so verstehen: Vor langer Zeit war das Universum extrem klein und extrem dicht. Die Energie des Higgs-Felds lag bei einem Wert, der nicht dem niedrigsten Punkt in der Potentialschüssel entsprochen hat (dieses besondere Higgs-Feld nennt man übrigens “Inflaton-Feld”). Dieses Inflaton-Feld hat eine enorme gravitative Abstoßung verursacht und das Universum began sich auszudehnen. Diese Ausdehnungsphase dauerte nicht lange. Nach nur 10-35 Sekunden hatte das Higgs-Feld seinen Punkt niedrigster Energie erreicht und die Ausdehnung war vorbei. Aber in dieser kurzen Zeit hatte sich das Universum dramatisch ausgedehnt! Je nach spezieller Theorie kommt man auf Expansionsfaktoren von 1030 bis 10100! Nach dieser Expansion hat das Inflaton-Feld seine aufgestaute Energie in die Erzeugung von Materie und Strahlung umgesetzt und von da an folgt die Entwicklung des Universums im Wesentlichen dem Standardmodell, dass Greene im letzten Kapitel vorgestellt hat.
Wir wissen zwar immer noch nicht, wo das Inflaton-Feld herkommt – aber die inflationäre Kosmologie löste ein paar der großen Probleme, die die Standardkosmologie bis dahin hatte. Eines davon ist das “Horizontproblem”. Ich habe früher schon vom der enormen Gleichförmigkeit der kosmischen Hintergrundstrahlung geschrieben.
Diese Messungen des Satelliten WMAP zeigen, dass Temperaturunterschiede minimal sind, Egal wohin man im Universum blickt, die Temperatur der Hintergrundstrahlung unterscheidet sich höchstens um 0.0002 Grad. Das ist erstaundlich – und es schafft Probleme. Denn wenn die Hintergrundstrahlung so gleichförmig ist, dann heisst das, dass auch das frühe Universum (von dem die Strahlung ja stammt) extrem gleichförmig ist. Aber das kann nur dann der Fall sein, wenn genügend Zeit war, damit sich das Universum entsprechend “vermischen” konnte. Nimmt man aber das Standardmodell der Expansion des Universums, dann zeigt sich, dass diese Zeit nicht da war. Die entfernten Regionen des Alls waren immer zu weit außeinander um den Licht genügend Zeit zu geben, von einem Ende zum anderen zu gelangen. Wenn aber diese Regionen so voneinander getrennt waren, dann gibt es auch keine Möglichkeit, wie sich so ein exaktes Temperaturgleichgewicht eingestellt haben könnte. Die Inflation löst dieses Problem. Denn früher war das Universum sehr klein und alles konnte sich vermischen. Dann kam die inflationäre Phase und hat das All extrem schnell aufgeblasen (die Expansion des Raumes kann durchaus auch überlichtschnell erfolgen). Heute also können die entferntesten Regionen des Raums nicht miteinander kommunizieren – vor der Inflation war das aber der Fall!
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