Das Angebot an populärwissenschaftlichen Bücher über theoretische Physik und Kosmologie ist ja erstaunlich groß. Von den Grundlagen der Relativitätstheorie und Quantenmechanik über den Urknall bis hin zu ausgefallenen Themen wie Stringtheorie oder Paralleluniversen ist alles da. Ein solches Grundlagenbuch habe ich ja schonmal ausführlich vorgestellt: Brian Greens “Der Stoff aus dem der Kosmos ist”. Gerade habe ich ein anderes Buch zu Ende gelesen, dass sich mit den eher exotischeren Themen beschäftigt. In “Tunnel durch Raum und Zeit” von Rüdiger Vaas geht es um schwarze Löcher, um Wurmlöcher, um Warp-Antrieb und Überlichtgeschwindigkeit; um Zeitreisen und Zeitmaschinen.
Das Buch beginnt mit schwarzen Löchern und den Problemen, die sie verursachen. Denn diese Objekte sind immer noch ziemlich rätselhaft. Vor allem das sogenannte Informationsparadoxon, das besagt, dass physikalische Information in schwarzen Löchern einfach verschwinden kann. Denn so ein schwarzes Loch “hat keine Haare” wie die Physiker sagen. Das heisst, es hat außer seiner Masse, seiner elektrischen Ladung und seinem Drehimpuls keine weiteren Eigenschaften die man in Erfahrung bringen könnte. Was aber passiert nun mit der Information der Dinge, die hinter dem Ereignishorizont eines schwarzen Lochs verschwinden? Wenn man davon ausgeht, dass schwarze Löcher ewig sind und das etwas, das von ihm verschluckt wird, auch niemals wieder herauskommt, dann ist das Problem nur halb so wild. Denn dann kann man argumentieren, dass die Information ja noch da ist – nur halt hinter dem Ereignishorizont. Aber Stephen Hawking hat gezeigt, dass schwarze Löcher nicht ewig sind, sondern Hawking-Strahlung abgeben und sich auflösen. Wenn so ein schwarzes Loch nun also irgendwann weg ist – wo ist die Information der Dinge die in das Loch hineingefallen sind, verschwunden? Sie kann nicht einfach weg sein – das wäre problematisch für die Physik. Denn so wie unsere physikalischen Gesetze momentan aussehen, ist es nicht vorgesehen, dass sich Informationen so einfach in Nichts auflösen – das würde zu jeder Menge unangenehmen Paradoxien und Probleme (z.B. der Verletzung der Unitarität) führen.
Wie also löst man dieses Problem? Und kann man es überhaupt lösen? Vaas stellt im ersten Teil des Buches das Informationsparadoxon detailliert vor und geht dann, ebenfalls sehr ausführlich, auf alle bisher vorgeschlagenen Lösungsmöglichkeiten ein. Stephen Hawking ist beispielsweise mittlerweile der Meinung, dass die Information nicht verschwindet sondern über die Hawking-Strahlung wieder abgegeben wird, die laut ihm nicht völlig thermisch ist, wie man bisher vermutet hat sondern aufgrund quantenmechanischer Effekte doch Informationen enthalten kann. Es gibt aber auch noch viel exotischer Lösungsmöglichkeiten. Manche Forscher haben vorgeschlagen, dass es schwarze Löcher in der bisherigen Form nicht geben kann sondern das stattdessen zum Beispiel Gravasterne entstehen. Andere Wissenschaftler meinen, dass die Information durch das schwarze Loch in ein Paralleluniversum gelangt, in dem sie gespeichert wird. Und dann gibt es noch viel ausergewöhnlichere Lösungsmöglichkeiten… aber ich will ja nicht alles verraten 😉
Der zweite Teil des Buches handelt von Überlichtgeschwindigkeit. Ist es tatsächlich unmöglich, sich schneller als das Licht fortzubewegen? Wie sieht es mit dem Warp-Antrieb aus, den der Physiker Miguel Alcubierre sich ausgedacht hat? Wie ist das mit den Wurmlöchern – kann man sie benutzen, um sich scheinbar schneller als das Licht zu bewegen? Auch wenn das hier sehr nach Science-Fiction klingt sind das doch seriöse Themen echter physikalischer Forschung und Vaas stellt die relevanten Arbeiten ausführlich vor. Und er erklärt auch, warum es doch eher unwahrscheinlich ist, dass wir uns demnächst mit Warp-Antrieb von Stern zu Stern bewegen… Nicht ganz so pessimistisch ist die Sache, wenn es um “natürliche Überlichtgeschwindigkeit” geht. Vaas geht der Frage nach, ob es “Tachyonen” geben kann – also Teilchen, die sich immer schneller als das Licht bewegen. Schaut man sich die Arten der Teilchen an, die unser Universum enthält, dann haben wir Tardyonen, also Teilchen, die sich immer langsamer als das Licht bewegen und Luxonen, also Teilchen die sich immer genau mit Lichtgeschwindigkeit bewegen (z.B. Photonen). Aber Tachyonen scheinen nicht zu existieren. Aber rein prinzipiell könnte es sie geben und Vaas erklärt, wie man sie eventuell doch noch nachweisen könnte.
Am Ende des zweiten Teils spricht Vaas noch ein wichtiges Thema an. Wenn man sich ansieht, was für fantastische Möglichkeiten die theoretischen Physiker heutzutage erforschen und wie wild sie spekulieren, dann könnte man auf die Idee kommen, dass das alles nicht mehr viel mit Wissenschaft zu tun hat. Besonders der Stringtheorie, die vielen dieser Spekulationen zu grunde liegt, wird oft vorgeworfen, nicht mehr wissenschaftlich zu sein weil es ja momentan keine Möglichkeit gibt, ihre Gültigkeit zu überprüfen. Abgesehen davon, dass das nicht ganz richtig ist, erklärt Vaas sehr gut was eigentlich der Unterschied zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft ist und weißt nach, dass die Stringtheorie auf jeden Fall Wissenschaft ist.
Werden wir jemals mit einer echten Zeitmaschine “zurück in die Zukunft” reisen können?
Der dritte Teil des Buches handelt von Zeitreisen. Das Zeitreisen in die Zukunft möglich sind, wissen wir ja seit der speziellen Relativitätstheorie. Dank der Zeitdilatation müssen wir uns “nur” in Bezug auf die Erde sehr schnell bewegen um beliebig weit in die Zukunft reisen zu können. Aber wie sieht es mit Zeitreisen in die Vergangenheit aus? Ich habe schon bei meiner Rezension von “Der Stoff aus dem der Kosmos ist” über dieses Thema geschrieben – Vaas erläutert all das noch viel detaillierter. Von der Frage der natürlichen Zeitmaschinen – ist vielleicht unser Universum selbst eine Zeitmaschine wie Kurt Gödel es berechnet hat? – bis hin zu möglichen Techniken, aus Wurmlöchern eine Zeitmaschine zu bauen wird jede Möglichkeit ausführlich erklärt. Besonders schön finde ich, das Vaas hier nicht nur alle wissenschaftlichen Arbeiten anführt und darstellt, die sich mit dem Thema beschäftigt sondern auch immer wieder auf Science-Fiction-Werke verweist, die die angesprochenen Effekte und Theorien verwendet oder oft sogar vorweg genommen haben. Und wenn Rüdiger Vaas all diese Bücher über Zeitreisen wirklich selbst besitzt, dann bin ich auf diese Sammlung äußerst neidisch! 😉
Natürlich wird auch ausführlich über die diversen Paradoxien spekuliert, die bei den Zeitreisen auftreten – und wie man sie lösen kann. Oder wird eine zukünftige Theorie der Quantengravitation vielleicht doch zeigen, dass “geschlossene zeitartige Kurven” in der Raumzeit nicht erlaubt sind? Dann müssten wir uns von der Idee der Zeitreise in die Vergangenheit verabschieden – und viele Physiker wären damit wohl nicht wirklich unglücklich. Schade wäre es aber um ein orginelles kosmologisches Modell das John Richard Gott und Li-Xin Li 1997 entwickelt haben. In ihrer Arbeit Can the universe create itself? zeigen sie, wie aus einer geschlossenen zeitartigen Kurve plötzlich ein Universum entstehen kann. In diesem Modell hat das Universum zwar einen Anfang – aber keinen ersten Moment. Das Universum hat sich quasi selbst geschaffen. Das klingt wild und verwirrend (aber das ist in der modernen Kosmologie erstmal immer so 😉 ) – aber könnte vielleicht wirklich stimmen. Übrigens – solche Thesen aufzustellen ist nicht wirklich Spielerei. Bei all den Spekulationen über Wurmlöcher, Zeitreisen und Warp-Antrieben ist heftige und komplizierte Mathematik involviert; das ist nichts, was man sich so eben mal ausdenkt. Hier ist zum Beispiel ein Auschnitt aus der Arbeit von Gott und Li:
Aber wie auch bei allen anderen Themen gilt: solange wir keine vernünftige Theorie der Quantengravitation haben, ist es fast unmöglich herauszufinden, was davon nun in der Realität tatsächlich passieren kann und was nicht. Es bleibt also spannend.
Ich kann “Tunnel durch Raum und Zeit” prinzipiell empfehlen. Wer sich für die exotischeren Themen der modernen Physik interessiert, der findet hier einen umfassenden und aktuellen (die 3. Auflage des Buches erschien 2010 und wurde stark erweitert und aktualisiert) Überblick über alle relevanten wissenchaftlichen Arbeiten. Das Buch ist aber vielleicht nicht wirklich etwas für “Anfänger”. Wer noch nie vorher ein Buch über schwarze Löcher, Kosmologie, usw gelesen hat, der wird manche Stelle wohl etwas verwirrend finden. Und auch die erfahrenen Leser werden das Buch in seiner Dichte und mit der Fülle von Informationen vielleicht ab und zu ein wenig schwierig finden. Trotzdem ist eine enorm spannende und vor allem anregende Lektüre. Ich hatte sehr viel Spaß beim Lesen!
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