Über Nemesis habe ich vor 3 Jahren schon mal kurz was geschrieben. Es lohnt sich aber, die Geschichte nochmal genauer anzusehen. Denn Nemesis gehört meiner Meinung nach zu den spannendsten wissenschaftlichen Hypothesen.
“Nemesis” ist der Name eines hypothetischen Begleitsterns der Sonne. Denn die soll nicht alleine ihre Bahn durch die Milchstraße ziehen sondern – so wie die Mehrheit der anderen Sterne – Teil eines Doppelsternsystems sein. Klingt etwas fantastisch… Die Erde, in einem Doppelsternsystem? Geht das überhaupt? Können Planeten bei Doppelsternen stabile Bahnen haben? Ja, können sie. Aber müssten wir dann nicht auch zwei Sonnen am Himmel sehen? Wie kann man so einen Zweitstern einfach übersehen? Und vor allem: wie kommt man überhaupt auf so eine komische Hypothese?
Katastrophen gibt es nicht
Der Ursprung der Nemesis-Theorie liegt nicht in der Astronomie sondern der Biologie bzw. der Geologie. Die Geologen haben sich lange dagegen gewehrt, extraterrestrische Ursachen für geologische Prozesse anzuerkennen. Das ist ja so eine Episode der Wissenschaftsgeschichte die ich nie wirklich verstanden habe. Im 19 Jahrhundert gab es in der Geologie zwei einander gegenüberstehende Denkschulen; repräsentiert durch Charles Lyell und Georges Cuvier. Cuvier vertrat den “Katastrophismus”, war also der Auffassung, dass die geologischen Strukturen das Resultat relativ kurzer und spontaner Katastrophen war – das zum Beispiel eine große Flut viele der Lebewesen getötet hat von denen man heute nur noch Fossilien findet und dabei auch die beobachteten Sedimentschichtungen verursachte. Lyell dagegen vertrat eine völlig andere Ansicht: die ganz normalen Prozesse die wir heute überall auf der Erde beobachten können sind für die Geologie verantwortlich. Der Wind der weht, das Wasser das über die Felsen strömt; die Erosion usw mögen zwar nach menschlichen Maßstäben die Erde nicht verändern. Wartet man aber lange genug, dann kann ein Fluss in Millionen von Jahren einen Canyon in den Fels schneiden und die Erosion ganze Gebirge abschleifen. Lyell setzte sich durch und durchaus auch zu recht. Ein Großteil der geologischen Prozesse erklärt sich tatsächlich durch diesen Gradualismus. Aber die Geologen nach Lyell waren so sehr von dieser Weltsicht überzeugt, dass sie jegliche Erklärungen für geologische Fragen komplett ablehnten, sofern diese auf irgendeiner Art von Katastrophen basierte. Dazu gehörten auch Asteroideneinschläge. Noch Mitte des 20. Jahrhunderts war die Vorstellung, dass Asteroiden immer wieder mit der Erde kollidieren, dabei Krater erzeugen und großen Einfluss auf die Lebewesen haben eine absolute Außenseitertheorie mit der man sich in der Geologie ins Abseits stellte. Die großen Massensterben in der Geschichte wurden durch ebenso langsame und graduierliche Prozesse erzeugt wie die Geologie selbst: Klimawandel zum Beispiel. Das ein Asteroid einfach so kommt, auf der Erde einschlägt und in kurzer Zeit einen Großteil der Lebewesen ausrottete erinnerte zu sehr an den Cuvierschen Katastrophen als das man es ernst nehmen wollte.
Eines meiner Spezialgebiete als Astronom sind ja die Asteroiden und ihre Kollisionen mit Planeten. Und als ich mit dem Studium begann, waren Asteroideneinschläge auch schon größtenteils akzeptierte Phänomene, auch in der Geologie. Mittlerweile wissen wir auch jede Menge darüber; wir kennen die Dynamik der Asteroiden; wissen wie oft sie mit anderen Himmelskörpern zusammenstoßen; wir kennen jede Menge Einschlagkrater auf der Erde und anderen Planeten. Deswegen fällt es mir auch so schwer, nachzuvollziehen wie es früher war und wieso die Geologen und Paläontologen die Impakte so stark ablehnten. Denn es dauerte wirklich lange, bis erstmals zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, dass ein Asteroideneinschlag für ein Massensterben verantwortlich war.
Wer hat die Dinos gekillt?
Die prominentesten Opfer eines der vielen Massensterben sind die Dinosaurier. Sie starben vor etwa 65 Millionen Jahren aus als das Erdzeitalter der Kreide endete und das Tertiär begann (man nennt das auch die K/T-Grenze). Auch hier gab es viele Theorien für die Ursache dieses Sterbens: ein Klimawandel der langsam den Tod der Dinos verursachte. Oder vielleicht waren die Saurier einfach nicht angepasst genug und wurden langsam von den evolutionär fitteren Säugetieren abgelöst? Bei genauerer Betrachtung sind alle diese Theorien nicht wirklich haltbar aber man wusste auch nicht, was sonst für eine Ursache in Frage käme. Die Sache änderte sich, als der Geologe Walter Alvarez in den 1970ern eigentlich etwas ganz anderes untersuchen wollte. In Italien, in Gubbio, liegen die Schichten der K/T-Grenze frei an der Oberfläche und Alvarez untersuchte sie. Er interessierte sich vor allem für eine dünne Schicht, genau in der Mitte der Grenze und fragte sich, welchen Zeitraum sie wohl repräsentierte. Wie lange hat es gedauert, bis sich die Sedimente abgelagert hatten? Er bat seinen Vater um Hilfe. Das war der Physiker Luis Alvarez der 1968 den Nobelpreis für seine Arbeit in der Teilchenphysik bekam. Dieses Wissen nutzte er auch, um das Problem seines Sohns zu lösen. Er wollte messen, wie viel Iridium in der Schicht vorhanden war. Denn Iridium kommt in der Erdkruste so gut wie gar nicht vor, nur aus dem Weltall wird es nachgeliefert denn es ist in Meteoriten enthalten. Geht man also davon aus, dass ein stetiger Strom von Mikrometeoriten auf die Erde regnet kann man über eine Messung des Iridiumanteils einer Schicht herausfinden, wie lange es dauerte bis sie sich gebildet hat. Gemeinsam mit den Chemikern Frank Asaro und Helen Michels fanden die beiden Alvareze aber etwas überraschendes: die Schicht enthielt VIEL mehr Iridium als irgendjemand angenommen hatte. Und auch an anderen Stellen der Erde wo die K/T-Grenze untersucht wurde, fand man diese Irdium-Anomlie. Überall. Irgendetwas hatte also genau zu diesem Zeitpunkt global jede Menge Iridium auf die Erde geliefert. Und das konnte eigentlich nur ein großer Meteorit sein. Sehr groß – ein paar Kilometer groß! Alvarez und seine Kollegen überlegten nun, was es für Folgen hätte, wenn so ein großes Objekt auf der Erde einschlagen würde. Es wäre durchaus möglich, dass dadurch ein Massensterben verursacht wird. Der Staub der beim Impakt aufgewirbelt wird und der Dreck, bei den weltweiten Bränden verursacht wird würden die Atmosphäre für Monate komplett verdunkeln. Das trifft zuerst die Pflanzen, dann die Pflanzenfresser und schließlich die Pflanzenfresserfresser.
Periodisches Sterben
Trotz aller Belege stieß die These des Impakts als Ursache für das Dino-Sterben auf enormen Widerstand in der wissenschaftlichen Community. Es dauerte über ein Jahrzehnt, bis sich die Theorie durchgesetzt hatte und die Kontroverse endete erst, als dann Anfang der 1990er tatsächlich der Krater entdeckt wurde, denn das Objekt vor 65 Millionen Jahren verursacht hat (eine enorm spannende Suche!). Aber vorher gingen einige Wissenschaftler noch einen Schritt weiter. Anfang der 1980er, als die K/T-Impakt-Kontroverse gerade im Gange waren, veröffentlichten die beiden Paläontologen David Raup und John Sepkoski eine Arbeit, in der sie etwas Außerordentliches behaupteten. Unter dem Titel “Periodicity of Extinctions in the Geologic Past” erklärten sie, dass die Massensterben periodisch auftraten. Etwa alle 26 Millionen Jahre sterben die Lebewesen auf der Erde. Das war natürlich für die meisten Wissenschaftler völlig absurd. Wie sollte so etwas passieren? Welcher Prozess kann für eine so lange Periode verantwortlich sein? Auch Luis Alvarez fand Raup & Sepkoskis Arbeit völlig unsinnig. Er wollte ihnen eine Brief schicken in der er seine Kritik genau erläuterte, bat aber vorher noch seinen Kollegen und ehemaligen Doktoranden, den (Astro)Physiker Richard Muller, den Brief durchzusehen. Muller kam zu dem Schluss, dass Alvarez sich hier irrte. Solange Alvarez nicht eindeutig nachweisen konnte, dass es keinen Prozess gibt, der periodisch zu Massensterben führt, konnte er die Arbeit nicht einfach ablehnen. Alvarez und Muller stritten sich und Alvarez bestand darauf, das so ein Prozess nicht existieren würde und Muller solle ihn doch widerlegen. Darauf antwortete Muller mit einem spontanen Einfall: vielleicht gibt es einen Stern der die Sonne einmal alle 26 Millionen Jahre umkreist. Und vielleicht stellt der irgendwas mit den Asteroiden im Sonnensystem an so dass diese verstärkt mit der Erde kollidieren. Alvarez – ein hervorragender Wissenschaftler der eine spannende These erkennen konnte wenn er ein sah – lenkte sofort ein und unterstützte Muller bei der Ausarbeitung der Nemesis-These.
In der Folge waren auch noch die Astronomen Marc Davis und Piet Hut an der Verfeinerung der Theorie beteiligt. Erste Kritik wurde laut – die Bahn von Nemesis (wie der hypothetische Stern mittlerweile genannt wurde) müsse instabil sein. Das stimmte zwar, aber nur wenn man davon ausging, dass Nemesis die Asteroiden im Asteroidengürtel zwischen der Mars- und Jupiterbahn beeinflussen müsse. Wenn Nemesis stattdessen die Kometen in der viel weiter entfernten Oortschen Wolke (die bis zu 1,5 Lichtjahren von der Sonne entfernt ist) destabilisiert, kann die Bahn wunderbar stabil sein. Muller und seine Kollegen arbeiteten die Theorie immer weiter aus und fanden, dass sie immer plausibler wurde. Die geologischen Befunde zeigten beispielsweise, dass viele Massensterben in Stufen abliefen; es schien als immer(geologisch) kurz hintereinander mehrere Massensterben zu geben – was genau zu der These von Nemesis passte die ja nicht nur einigen einzigen Komet auf die Erde schleuderte sondern immer einen ganzen Schwarm von denen dann durchaus mehrere hintereinander einschlagen konnten. Muller und Walter Alvarez fanden auch in der Altersverteilung der Erdkrater eine entsprechende Periode und sie meinten sogar erklären zu können, wie die periodischen Einschläge die ebenfalls periodische auftretenden Umpolungen des Erdmagnetfelds verursachen könnten. Aber natürlich nutzt das alles nichts, wenn man den Stern nicht findet. Nur eine Beobachtung von Nemesis könnte die Theorie eindeutig bestätigen.
Muller machte sich auf die Suche – denn es kann durchaus sein, dass wir den Stern übersehen haben. Nemesis muss weit weg von der Sonne sein (etwa 2 Lichtjahre)sein, damit die Periode von 26 Millionen Jahren stimmt. Es muss auch ein kleiner Stern sein und so einen kleinen Stern kann man schonmal übersehen. Bzw. nicht übersehen – wenn es Nemesis gibt, dann ist er vermutlich schon auf einigen Aufnahmen zu finden. Aber in der Astronomie hat man das Problem, dass es nicht so einfach ist zu entscheiden, ob ein Objekt nah oder fern ist. Nemesis würde auf einer Aufnahme genauso aussehen wie tausende andere schwach leuchtende Sterne die deswegen schwach leuchten, weil sie weit weg sind. Die Entfernung jedes Sterns zu bestimmen der auf einem Bild auftaucht ist nicht wirklich machbar (und auch meist nicht sinnvoll weil einen meist die ganzen Hinter- und Vordergrundsterne nicht interessieren sondern nur einige wenige spezielle Objekte). Muller war in seiner Suche nicht erfolgreich und die Nemesis-Theorie ist seit den 1990ern ein wenig eingeschlafen. Aber noch lebt sie – sie ist zwar nicht bestätigt aber auch nicht widerlegt; genauso wie die Periodizität der Massensterben.
Bücher!
Die Impakte, die Massensterben und Nemesis sind ein wunderbar spannendes Stück Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte. Es gibt darüber noch viel mehr zu erzählen als ich es hier in diesem (eh schon zu langen) Blogartikel tun kann. Glücklicherweise haben die beteiligten Wissenschaftler alle Bücher geschrieben die alle auch noch äußerst hervorragend sind. Ich kann sie nur dringend empfehlen. Auch wenn sie schon etwas alt sind, sind sie doch immer noch höchst spannend zu lesen – und sie demonstrieren wunderbar, wie Wissenschaft funktioniert; wie Thesen aufgestellt werden, wieder verworfen, abgeändert, bestätigt, kritisiert und verteidigt.
Von David Raup gibt es das Buch “The Nemesis Affair: A Story of the Death of Dinosaurs and the Ways of Science” (auch in deutsch unter dem Titel “Der schwarze Stern. Wie die Saurier starben. Der Streit um die Nemesis-Hypothese” erhältlich). Hier wird eher die biologische Seite der Theorie erklärt und man erfährt, wie Raup und Sepkoski die 26-Millionen-Jahre Periode entdeckt haben. Mehr über die astronomische Seite schreibt Richard Muller in seinem Buch “Nemesis: The Death Star – Story of a Scientific Revolution”. Es ist vor allem deswegen so spannend, weil Muller detailliert erzählt, wie er die These entwickelt und modifiziert hat. Jeder der wissen will, wie Wissenschaft funktioniert muss dieses Buch lesen! Und schließlich gibt es noch das Buch von Walter Alvarez. In “T. Rex and the Crater of Doom” erzählt er von der Entdeckung der Iridium-Anomalie und der Suche nach dem Einschlagskrater. Alle drei Bücher sind absolut lesenswert!
Kommentare (123)