Wie die dunkle Materie nicht entdeckt wurde, habe ich im ersten Teil der Serie erklärt. Aber wie ist man überhaupt auf Idee gekommen, es könnte da draußen im Universum mehr geben, als das, was wir sehen können? Was hat man beobachtet, um zu so einer seltsamen Schlussfolgerung zu gelangen? Die Geschichte der dunklen Materie ist mittlerweile schon 80 Jahre alt – und im Laufe der Jahrzehnte sind die Beobachtungsdaten immer eindeutiger geworden!
Der erste, der gemerkt hat, dass da irgendwas ist, das man bisher nicht kannte, war der amerikanisch-schweizerische Astronom Fritz Zwicky. Im Jahr 1933 veröffentlichte er eine Arbeit mit dem Titel “Die Rotverschiebung von extragalaktischen Nebeln”. Zwicky hatte Galaxien in einem Galaxienhaufen beobachtet. So wie Planeten in einem Sonnensystem oder Sterne in einer Galaxie sind auch die Galaxien in einem Galaxienhaufen gravitativ aneinander gebunden. Wäre es nicht so, dann gäbe es keinen Haufen. Oder eine Galaxie oder ein Sonnensystem. Wenn die Gravitationskraft der Sonne die Planeten nicht festhalten würde, dann würden sie ins All entkommen. Würde man zum Beispiel von einem Moment auf den anderen die Masse der Sonne halbieren, dann wäre auch die Kraft, die sie auf die Planeten ausübt, nur noch halb so stark. Auch die sogenannte Fluchtgeschwindigkeit wäre dann geringer (die hängt aber von der Wurzel der Masse ab). Um den gravitativen Einflussbereich der Sonne zu verlassen, muss ein Himmelskörper eine gewisse Geschwindigkeit erreichen. Sinkt die Masse, sinkt auch die Fluchtgeschwindigkeit. Misst man also die Geschwindigkeit, mit der sich die Planeten um die Sonne bewegen, dann kann man daraus berechnen, wie schwer sie mindestens sein muss: Mindestens so schwer, um die Planeten am Verlassen des Sonnensystems zu hindern.
Zwicky hatte die Geschwindigkeiten von Galaxien in einem Galaxienhaufen gemessen. Auch hier gilt: Die gesamte Gravitationskraft aller Galaxien im Haufen hält ihn zusammen. Je mehr Galaxien es gibt, desto stärker die Gravitationskraft und desto schneller können sich die Galaxien bewegen, ohne dabei aus dem Haufen zu fliegen. Der Haufen, den Zwicky beobachtet hat (der Coma-Haufen), besteht aus knapp 1000 Galaxien. Alle haben ihre eigene Geschwindigkeit und die ist zu groß! Das war das Ergebnis von Zwickys Beobachtungen. Der Haufen war unzweifelhaft vorhanden. Also konnte die Geschwindigkeit der Galaxien nicht die Fluchtgeschwindigkeit des Haufens übersteigen, ansonsten hätte er sich schon längst aufgelöst. Die Messungen zeigten aber, dass die Geschwindigkeiten höher waren, als die Fluchtgeschwindigkeit. Bestimmt man die Masse aller sichtbaren Galaxien im Coma-Haufen, dann ist diese Masse zu gering, um all die Galaxien festzuhalten. Zwicky schreibt:
“Um, wie beobachtet, einen mittleren Dopplereffekt von 1000 km/sek oder mehr zu erhalten, müsste also die mittlere Dichte im Comasystem mindestens 400 mal grösser sein als die auf Grund von Beobachtungen an leuchtender Materie abgeleitete. Falls sich dies bewahrheiten sollte, würde sich also das überraschende Resultat ergeben, dass dunkle Materie in sehr viel grösserer Dichte vorhanden ist als leuchtende Materie.”
Die sichtbare Materie im Coma-Haufen konnte nicht alles sein, was dort war. Denn sie reichte nicht aus, um die Galaxien zu halten. Es musste dort noch mehr Materie geben und zwar Materie, die man nicht sehen kann. Materie, die Zwicky “Dunkle Materie” nannte.
Diese Behauptung ist nicht ganz so dramatisch, wie sie klingen mag. Seit die Astronomie im 17. Jahrhundert zur echten Wissenschaft wurde, entdeckten die Astronomen andauernd, dass da draußen viel mehr ist, als sie bisher sehen konnten. Das fing schon bei Galileo Galilei an. Er war der Erste, der ein Teleskop dazu nutze, den Nachthimmel zu beobachten und sah jede Menge Zeug, das vorher niemand gesehen hatte. Er sah, dass Jupiter von kleinen Himmelskörpern umkreist wird. Er sah, dass die Milchstraße in Wahrheit aus Unmengen einzelner Sterne besteht. Er sah Sterne dort, wo man mit freiem Auge keine Sterne sehen konnte. Heute kommt uns das nicht weiter bemerkenswert vor. Mit einem Teleskop sieht man eben mehr!
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