In der Serie Fragen zur Astronomie geht es heute wieder Mal um schwarze Löcher. Und diesmal um die interessante aber auch überraschend knifflige Frage: Wo befindet sich das der Erde am nächsten gelegene schwarze Loch?. Sie ist deswegen knifflig, weil hier gleich zwei Probleme aufeinander treffen. Zum Einen das in der Astronomie immer vorhandene Problem der Entfernungsbestimmung. Wie ich in der Antwort auf diese Frage schon erklärt habe, kann man nicht einfach sehen, wie weit ein Objekt am Himmel entfernt ist. Man muss sich viel Mühe gehen und viele spezielle Messungen durchführen, wenn man es genau wissen will. Das braucht Zeit und entsprechende Teleskope. Es ist zwar vergleichsweise einfach, den Himmel zu fotografieren und dort jede Menge Sterne, Galaxien oder eben auch schwarze Löcher zu entdecken. Herauszufinden, wie weit die ganzen Dinger entfernt sind, braucht dann aber noch mal extra Aufwand. Und dann haben schwarze Löcher ja auch noch das Problem, dass sie ja per Definition nicht zu sehen sind…
Ein schwarzes Loch formt eine Region im Raum, die so stark gekrümmt ist, dass kein Licht von dort entkommen kann. Man kann es also nicht sehen. Aber dafür finden in seiner Umgebung ganz besondere astronomische Phänomene statt, die man sehr wohl beobachten kann und anhand derer man es identifizieren kann. Ein schwarzes Loch, das einfach nur so und völlig alleine irgendwo im All sitzen würde, könnte man tatsächlich nicht sehen (es würde sich aber immer noch über seine Gravitationswirkung bemerkbar machen, die aber nicht ganz so einfach zu beobachten ist). Aber meistens ist so ein Loch nicht alleine; meistens ist da noch irgendeine andere Materie in der Nähe. Und wenn sie dem schwarzen Loch zu nahe kommt, fällt sie hinein. Dabei bildet die Materie zuerst eine sogenannte Akkretionsscheibe, also eine flache Scheibe, in der das ganze Zeug zuerst um das Loch herum spiralt, bevor es hinein fällt. Bei dieser Bewegung heizt es sich sehr stark auf und gibt sehr viel Strahlung ab. Die kann man beobachten und hat das auch getan.
Große schwarze Löcher, deren Akkretionsscheiben stark leuchten, nennt man Quasare (siehe dazu auch hier). Zumindest dann, wenn es sich um supermassereiche schwarze Löcher handelt. Das sind die die gigantischen Objekte mit bis zur milliardenfachen Masse der Sonne die man im Zentrum aller Galaxien findet. Es gibt aber auch noch die stellaren schwarzen Löcher, also die “normalen” Löcher, die beim Kollaps eines großen Sterns entstehen. Diese kleineren Löcher kann man im Prinzip überall finden, nicht nur in den Zentren von Galaxien. Sie können Mikroquasare bilden und zwar immer dann, wenn sie sich in einem Doppel- oder Mehrfachsternsystem befinden. In einem Doppelsternsystem beenden die beiden Sterne ihr Leben selten zum gleichen Zeitpunkt. Der massereichere Stern des Paars wird zuerst seinen Brennstoff aufbrauchen und dann – sofern er massereich genug ist – zu einem schwarzen Loch werden. Befindet sich der zweite, noch normale Stern, nahe genug am Loch, kann es Material von ihm in einer Akkretionsscheibe sammeln, die dann ebenfalls hell leuchtet.
Solche Mikroquasare hat man ebenfalls schon entdeckt (nicht jeder muss allerdings auch ein schwarzes Loch enthalten, es gibt sie auch mit Neutronensternen anstatt des Lochs). Aber welcher davon liegt uns denn jetzt am nächsten? Vermutlich V4641 Sagittarii: Wie der Name schon sagt handelt es sich um einen veränderlichen Stern (“V”) im Sternbild Schütze (“Sagittarii”). Mit freiem Auge ist er nicht zu sehen, aber im Teleskop ändert er seine Helligkeit immer wieder. Und das passiert deswegen, weil es sich nicht um einen einzelnen Stern handelt, sondern ein Paar, das aus einem normalen Stern und einem schwarzen Loch mit etwa 10facher Sonnenmasse besteht. Als dieser Mikroquasar entdeckt wurde, bestimmte man seine Entfernung zu 1600 Lichtjahren. Damit befände es sich vergleichsweise nahe; zumindest aber noch in der gleichen Ecke unserer großen Milchstraßengalaxie. Aber wie ich oben schon gesagt habe: Die Entfernungsbestimmung ist knifflig und spätere Beobachtungen legen eine wesentlich größere Distanz nahe. V4641 Sagittari ist demnach weit über 20.000 Lichtjahre von uns entfernt.
Damit wäre es uns immer noch näher als das supermassereiche schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße, dessen Existenz definitiv nachgewiesen und dessen Abstand mit 26.000 Lichtjahren recht gut bestimmt ist. Aber ist V4641 Sagittari immer noch das nächstgelegene schwarze Loch? Schwer zu sagen. Da wäre beispielsweise noch GRO J1655-40. Das ist ein Doppelsternsystem, das im Jahr 2003 entdeckt worden ist und in dem sich ein schwarzes Loch mit etwa 7facher Sonnenmasse befindet. Es ist vielleicht nur 5500 Lichtjahre von der Erde entfernt. Vielleicht sind es aber auch viel mehr.
Dann wäre da noch V616 Monocerotis (auch bekannt als A0620−00). Dieses Doppelsternsystem befindet sich im Sternbild Einhorn, besteht aus einem Stern der etwas kleiner als unsere Sonne ist und einem schwarzen Loch mit etwa der 11fachen Sonnenmasse. 1917 und 1975 gab es dort starke Helligkeitsausbrüche, die seine Identifizierung erlaubt haben. Es ist circa 3500 Lichtjahre entfernt (und bitte achtet auf das “circa” – wie man schon bei V4641 Sagitarri gesehen hat, kann sich sowas durchaus ändern).
Wenn wir also von allen bisher bekannten schwarzen Löchern ausgehen und die bisher veröffentlichten Distanzen verwenden, dann ist wohl V616 Monocerotis dasjenige, das der Erde am nächsten liegt. Aber wir haben mit Sicherheit noch nicht alle schwarzen Löcher entdeckt und mit Sicherheit gibt es bei der Entfernungsbestimmung noch Raum für Verbesserungen (Übrigens: Das heißt nicht, dass irgendwann plötzlich ein schwarzes Loch aus dem “Nichts” neben der Erde auftauchen und uns alle vernichten kann. Selbst wenn es komplett unsichtbar wäre, wäre es immer noch durch seine Gravitation bemerkbar und würde sich Jahrhunderte oder Jahrtausende vorher ankündigen. Und abgesehen davon ist so ein Szenario so enorm unwahrscheinlich, das man es durchaus auch als “unmöglich” bezeichnen kann).
Und wer weiß, welche Entdeckungen die Zukunft bringen. Das Trapez könnte ein guter Kandidat für ein noch näher gelegenes schwarze Loch sein. Dieser Sternhaufen im Orionnebel ist 1600 Lichtjahre weit entfernt und einige der Sterne dort bewegen sich so schnell, dass Wissenschaftler dort die Anwesenheit eines schwarzen Lochs mit der etwa 100fachen Sonnenmasse vermuten, das für diese seltsame Bewegung verantwortlich ist. Konkret nachgewiesen hat man dieses potentiell nächstgelegene schwarze Loch allerdings noch nicht…
Mehr Antworten findet ihr auf der Übersichtsseite zu den Fragen, wo ihr selbst auch Fragen stellen könnt.
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