Ich werde oft gefragt ob die mysteriöse dunkle Materie (über die ich hier sehr ausführlich geschrieben habe) nicht einfach aus schwarzen Löcher bestehen könnte. Immerhin sind schwarze Löcher ja per Definition “schwarz”, das heißt sie senden keine elektromagnetische Strahlung aus sondern treten nur per Gravitation mit dem Rest des Universums in Wechselwirkung. Und immerhin sind genau das ja auch die Eigenschaften die wir von der dunklen Materie kennen: Sie ist da, übt Gravitation aus, unterliegt aber nicht der elektromagnetischen Wechselwirkung.
Ich habe bis jetzt immer mit einem entschiedenen “Nein!” auf diese Frage geantwortet. Dafür gab (und gibt) es gute Gründe. Wir wissen aus unseren Beobachtungen dass die dunkle Materie über das gesamte Universum verteilt ist. Sie ist überall – also müssten auch die schwarzen Löcher überall sein. Die schwarzen Löcher die wir kennen entstehen aber nicht einfach so. Sie sind das was von großen Sternen übrig bleibt wenn die keinen Brennstoff mehr haben und kollabieren. Wir wissen außerdem das es sehr viel mehr dunkle als normale Materie gibt. Ungefähr fünfmal mehr sogar! Damit so viele Sterne entstehen und zu schwarzen Löchern werden können muss es also nach dem Urknall sehr viel normale Materie gegeben haben. Wir können aber aus kosmologischen Messungen bestimmen wie viel Materie damals vorhanden war und die Zahlen passen nicht. Außerdem müssten wir die schwarzen Löcher nicht nur über ihre Gravitationswirkung beobachtet haben sondern auch bei sogenannten Gravitationslinsenereignissen beobachten (die treten auf wenn ein schwarzes Loch von uns aus gesehen vor einem Stern vorüber zieht und dessen Licht ein wenig ablenkt). Aber auch das beobachten wir nicht in dem Ausmaß in dem es nötig wäre um die dunkle Materie erklären zu können.
Es gibt also gute Gründe davon auszugehen das schwarze Löcher nichts mit dunkler Materie zu tun haben. Sondern das dunkle Materie – so wie derzeit von der Mehrheit der Wissenschaftler favorisiert – aus einer noch unbekannten Art von Elementarteilchen besteht. Es gibt aber mittlerweile auch Ergebnisse die zeigen dass das mit den schwarzen Löchern unter Umständen doch funktionieren könnte.
Die Argumentation von vorhin ist dabei weiterhin gültig. Es kann niemals so viele Sterne gegeben haben um ausreichend schwarze Löcher erzeugt zu haben. Aber es gibt noch eine andere Art von schwarzen Löcher. Schwarze Löcher die keine Sterne als Vorläufer brauchen. Damit ein schwarzes Loch entsteht muss man eigentlich nur eine bestimmte Menge ausreichend stark komprimieren. Für eine vorgegebene Masse kann man den Ereignishorizont berechnen und das ist auch genau die Größe auf die man diese Masse komprimieren muss. Bei unserer Sonne wären das zum Beispiel 3 Kilometer. Jetzt gibt es natürlich keine Maschine die die Sonne von ihrem derzeitigen Durchmesser von 1,4 Millionen Kilometer Durchmesser auf 3 Kilometer verdichten kann. So etwas kann nur ein Stern selbst schaffen. Wenn die Kernfusion in seinem Inneren zum Erliegen kommt, dann kollabiert der Stern unter seinem eigenen Gewicht. Hat er genug Masse, dann ist diese Kraft stark genug um den Stern bis unter die kritische Größe des Ereignishorizonts zu verdichten und ein schwarzes Loch ist entstanden. Unsere Sonne hat diese Masse nicht aber Sterne die ein wenig größer sind können das.
Es gab aber in unserem Universum auch eine Phase in der die Materie ganz ohne Sterne dicht genug war. Sterne gab es damals noch nicht; dieser Zeitraum war kurz nach dem Urknall und er dauerte nur Sekundenbruchteile an. Aber wenn die Materie damals tatsächlich ausreichend dicht war und wenn sie nicht ganz gleichmäßig verteilt war, dann könnten bestimmte Bereiche mit erhöhter Materiedichte tatsächlich unter ihrer eigenen Gravitation zu sogenannten primordialen schwarzen Löchern kollabieren. Wir wissen nicht wie genau diese Phase im jungen Universum ausgesehen hat und daher auch nicht ob primordiale schwarze Löcher wirklich entstehen konnten und wenn ja, welche Masse sie haben könnten. Sie könnten winzig sein; nur so schwer wie Atome, Asteroiden oder Planeten. Dann hätten sie aufgrund der der Hawking-Strahlung aber sehr schnell Masse verloren und sich bis heute komplett aufgelöst. Sie könnten aber auch massereicher sein und bis heute überlebt haben. Sie wären dann auch tatsächlich überall im Universum verteilt und sie hätten sich auch zu Paaren zusammenfinden können. Solche einander umkreisenden schwarzen Löcher würden Gravitationswellen abgeben, sich dadurch irgendwann näher kommen und dann verschmelzen.
Verschmelzende schwarze Löcher sind aber genau das was Astronomen seit letztem Jahr schon dreimal beobachtet haben und in Zukunft noch viel öfter beobachten werden. Und da wird es jetzt langsam interessant.
Zuerst müssen wir aber noch einen anderen Punkt klären: Schwarze Löcher sind nicht wirklich komplett schwarz. Also die Löcher selbst schon, wenn man mal von der Hawking-Strahlung absieht. Aber die Umgebung schwarzer Löcher kann enorm hell sein. Wenn Material in der Nähe des Lochs ist und auf das Loch fällt, dann gibt es dabei jede Menge hochenergetische Strahlung ab. Die können wir zum Beispiel mit Röntgenteleskopen beobachten und haben das auch schon oft genug getan. Nehmen wir also mal an, es gibt primordiale schwarze Löcher. Nehmen wir außerdem an sie haben in etwa die Massen (ein paar Dutzend Sonnenmassen) die bisher vom Gravitationswellenobservatorium LIGO beobachtet worden sind. Schon im letzten Jahr der amerikanische Astronom Alexander Kashlinsky untersucht was daraus folgen würde (“LIGO gravitational wave detection, primordial black holes and the near-IR cosmic infrared background anisotropies”). Das junge Universum (wir sind jetzt schon ein paar 100 Millionen Jahre nach der Entstehung der primordialen schwarzen Löcher) war noch sehr heiß. So heiß dass das ganze Gas sich nicht zu Sternen formen konnte; dafür bewegte es sich noch zu schnell. Den primordialen schwarzen Löchern war die Temperatur aber egal, sie konnten zusammenklumpen und sogenannte “Minihalos” bilden die quasi die “Saatkörner” für spätere Sternentstehung bildeten. In ihrer Nähe konnte sich dann auch die normale Materie ansammeln aus denen dann die ersten Sterne entstanden. Bei diesem Prozess muss aber auch ein wenig Materie in die schwarzen Löcher gefallen sein und entsprechende Strahlung produziert haben die wir heute als Teil der Hintergrundstrahlung beobachten können müssten. Damit ist nicht die kosmologische Hintergrundstrahlung gemeint die nach der Entstehung der ersten Atome entstand sondern quasi das “Hintergrundrauschen” im Infrarot- beziehungsweise Röntgenlicht. Kashlinsky meinte nun in seiner Arbeit, dass man anhand der bisherigen Beobachtungen zumindest nicht ausschließen kann, dass das der Fall ist. Das was wir sehen widerspricht nicht der These dass die primordialen schwarzen Löcher die dunkle Materie ausmachen.
Jetzt bleibt aber noch die Sache mit den Gravitationslinsen. Wenn da so viele schwarze Löcher unterwegs sind, dann müssten wir das bemerken weil die Löcher mit ihrer Gravitation das Licht der sichtbaren Sterne ablenken. Aber wie viele solcher Ereignisse gibt und wie gut wir sie beobachten können hängt von der Verteilung der schwarzen Löcher und ihrer Massen ab und auch hier gibt es neue Erkenntnisse. Ryan Magee und Chad Hanna von der Pennsylvania State University haben sich das kürzlich in einer neuen Arbeit genauer angesehen (“Disentangling the potential dark matter origin of LIGO’s black holes”). Man kann tatsächlich eine Massenverteilung der primordialen schwarzen Löcher konstruieren die einerseits sicherstellt dass es keinen Widerspruch zu bisherigen Gravitationslinsenbeobachtungen gibt. Andererseits würde diese Massenverteilung es auch erlauben, die gesamte Menge an dunkler Materie durch primordiale schwarze Löcher zu erklären.
Die Arbeit von Magee und Hanna hat aber noch einen weiteren großen Vorteil. Sie macht konkrete Vorhersage für zukünftige LIGO-Beobachtungen. Unter den primordialen schwarzen Löchern müssten nämlich auch einige sein, deren Masse gering ist. Wenn die reale Verteilung schwarzer Löcher im Universum dem Modell von Magee und Hanna entspricht sollten ungefähr ein Prozent der von LIGO detektierten schwarzen Löcher eine Masse haben die geringer als eine Sonnenmasse ist. Gut, momentan haben wir nur drei Gravitationswellenereignisse entdeckt. Aber wie ich damals schon geschrieben habe: Das wir nach so kurzer Zeit schon drei Ereignisse entdeckt haben ist ein Zeichen dafür dass da noch viel mehr zu entdecken ist und auch entdeckt werden wird wenn der Betrieb von LIGO (und den kommenden Detektoren) demnächst Routine wird. Und wenn dann tatsächlich schwarze Löcher mit so geringer Masse dabei sind; schwarze Löcher die nicht aus dem Kollaps eines Sterns entstanden sein können – dann ist das schon ein ziemlich guter Hinweis darauf dass wir hier wirklich einer großen Sache auf der Spur sind.
Vor 1,5 Jahren habe ich noch erklärt dass ich noch nicht wirklich überzeugt bin das primordiale schwarze Löcher wirklich ein guter Kandidat für dunkle Materie sind. Ich habe aber auch gesagt: “Wir werden einfach abwarten müssen, wie sich die Sache entwickelt. Die Gravitationswellenastronomie hat gerade erst begonnen! “. Das hat sie! Und sie wird großartige Ergebnisse liefern. Vielleicht ist die Identifikation der dunklen Materie tatsächlich dabei. Vielleicht auch nicht. Wenn ich ehrlich bin, dann bin ich auch jetzt noch nicht wirklich überzeugt dass die primordialen schwarzen Löcher der richtige Weg sind. Für meinen Geschmack ist da momentan noch zu viel Spekulation dabei. Wir wissen, dass diese Hypothese nicht den Beobachtungen widerspricht. Das ist ein gutes Zeichen. Wir wissen, dass die neuen Beobachtungen durch LIGO (mit denen in der Art niemand so schnell gerechnet hat) diese Hypothese ebenfalls nicht widerlegen, was ein noch besseres Zeichen ist. Wir haben Vorhersagen die wir in absehbarer Zeit konkret prüfen können. Und dann sehen wir weiter. Und wenn ich in Zukunft gefragt werde ob die dunkle Materie aus schwarzen Löchern bestehen könnte, werde ich meine Antwort von “Nein!” zu “Vielleicht” abändern…
P.S. Und bevor jemand fragt: Nein, auch wenn die dunkle Materie aus primordialen schwarzen Löchern besteht ist das kein Grund zur Panik. Sie mögen zwar überall sein aber das Universum hat sehr viel “Überall” zu bieten. Da ist genug Platz. Und schwarze Löcher sind keine Staubsauger die uns “ansaugen”. Wir wissen das es in der Nähe unseres Sonnensystems keines gibt, denn sonst hätten wir das längst gemerkt. Und schwarze Löcher die weit weg sind, tun uns nichts (und falls sich eines in unsere Richtung bewegt, dann würden wir das durch seine Gravitationswirkung auf die Sterne in unserer Umgebung und die Planeten im äußeren Sonnensystem auch ein paar Jahrhunderte im voraus wissen).
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