Unsere Sonne kriegt Besuch: 16 Sterne kommen uns in Zukunft nahe. Natürlich nicht alle auf einmal. Und “nahe” auch nur aus galaktischer Sicht: Selbst bei der nächsten Begegnung wird immer noch ein ausreichend großer Abstand von 2,3 Billionen Kilometer eingehalten. Außerdem wird man auch ein wenig warten müssen bis man die entsprechenden Begegnungen beobachten kann; ein paar Millionen Jahre muss man schon einplanen. Aber trotzdem sind die kürzlich veröffentlichten Daten zu den Sternbegegnungen der Sonne äußerst interessant.
Zwischen den Sternen unserer Milchstraße ist im Allgemeinen viel Platz. Nach menschlichen Maßstäben ist unser Sonnensystem natürlich ziemlich groß. Sonne und Erde trennen 150 Millionen Kilometer oder eine Astronomische Einheite (AE). Der fernste Planet Neptun ist knapp 30 AE weit entfernt. Die fernsten bekannten Asteroiden bewegen sich ein paar 100 bis 1000 AE entfernt. Und man schätzt dass Asteroiden noch in circa 100.000 AE Entfernung ihre langen Runden um die Sonne ziehen (wo sie die Oortsche Wolke bilden). Erst dort endet der gravitative Einfluss unseres Sterns – und selbst von dieser Grenze sind es immer noch circa 150.000 AE bis man den sonnennächsten Stern Proxima Centauri erreicht.
250.000 Astronomische Einheiten bzw. wenig mehr als 4 Lichtjahre trennen unsere Sonne als von ihrem nächsten Nachbarstern. Derzeit! Denn die Sterne der Milchstraße sind natürlich in Bewegung. In Zukunft werden Sterne die derzeit sehr weit weg sind uns näher kommen und zu erforschen wie das genau ablaufen wird ist unter anderem die Aufgabe des Weltraumteleskops GAIA. Das ist seit 2014 damit beschäftigt mehr als eine Milliarde Sterne der Milchstraße genau zu vermessen und nicht nur ihre Positionen sondern auch deren Geschwindigkeiten und Bewegungsrichtungen so genau zu bestimmen wie nie zuvor.
Mit diesen Daten kann man nun ein dreidimensionales Bild unserer Galaxis und ihrer Bewegung erstellen und genau das hat Coryn Bailer-Jones vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg kürzlich getan (“The completeness-corrected rate of stellar encounters with the Sun from the first Gaia data release”). Er hat die Daten von mehr als 300.000 Sternen (322.462, falls es jemand genau wissen will) aus dem ersten veröffentlichten GAIA-Datensatz untersucht und nachgesehen, welche davon uns in den nächsten paar Millionen Jahren nahe kommen.
16 Stück sind es, die Bailer-Jones gefunden hat und die uns näher als 2 Parsec (das sind 6,5 Lichtjahre oder 413.000 Astronomische Einheiten) kommen. Natürlich sind in dieser Studie noch nicht alle Daten inkludiert und die selbst wenn der GAIA-Katalog vollständig ist, enthält er nur einen Bruchteil der Sterne unserer Milchstraße. Bailer-Jones hat daher aus den vorhandenen Daten und den bekannten Einschränkungen der Beobachtungsleistung des Teleskops hochgerechnet und fand eine durchschnittliche Begegnungsrate von 22 Sternen pro Million Jahre die der Sonne näher als 1 Parsec (bzw. 3,2 Lichtjahre oder 206.000 Astronomische Einheiten) kommen.
Ist das dramatisch oder irgendwie gefährlich? Nein – beziehungsweise auf jeden Fall nicht direkt. Ein paar Lichtjahre Abstand zwischen den Sternen sind normal; daran ist nichts außergewöhnlich. Die Wahrscheinlichkeit das ein anderer Stern in das innere Sonnensystem – also dort wo sich die Planeten befinden – eindringt oder gar mit der Sonne kollidiert ist so enorm winzig, dass man getrost davon ausgehen kann, das es niemals passieren wird. Damit ein anderer Stern überhaupt einen Einfluss auf das innere Sonnensystem haben kann, muss er sich auf etwa 400.000 AE bzw 2 Parsec näher. Dann könnte er mit seiner Gravitationskraft die Asteroiden und Kometen beeinflussen die sich in der Oortschen Wolke befinden und die könnten ins innere Sonnensystem abgelenkt werden wo sie mit den dortigen Planeten zusammenstoßen könnten.
Es gab früher schon Hypothesen die Massensterben auf der Erde infolge von Asteroideneinschlägen auf die Begegnung der Sonne mit anderen Sternen zurück geführt haben. Damals ging man sogar davon aus das es sich um noch unbekannten Begleitstern der Sonne handeln könnte der ihr periodisch nahe kommt – eine Hypothese die mittlerweile als widerlegt gilt. Aber rein prinzipiell ist es natürlich durchaus möglich das der gravitative Einfluss eines Sterns während einer nahen Begegnung indirekt zu Asteroideneinschlägen auf der Erde führt.
Aber es ist auf jeden Fall nichts was eine akute Gefahr für die Erde bedeutet. Abgesehen davon dass solche nahen Sternbegegnungen nur alle paar zehn- bis hunderttausend Jahre vorkommt kann so ein Stern auch an der Sonne vorbeifliegen ohne Objekte aus der Oortschen Wolke ins innere Sonnensystem abzulenken. Und abgelenkte Objekte müssen nicht zwangsläufig auf die Erde fallen (eher im Gegenteil: Wir müssen schon ziemliches Pech haben um genau in der Flugbahn so eines Himmelskörpers zu landen). Kein Grund zur Panik also.
Auf jeden Fall werden wir uns aber in der Zukunft einen anderen Namen für den nächsten Nachbar der Sonne merken müssen. Die Sternbegegnung mit dem geringsten Abstand in Bailer-Jones Analyse wird in circa 1,3 Millionen Jahren stattfinden. Dann wird Gliese 710 sich uns bis auf 16.000 Astronomische Einheiten nähern. Das ist dann allerdings wirklich nahe genug um die Oortsche Wolke durcheinander zu bringen. Und dann wird man im inneren Sonnensystem tatsächlich mit vermehrten Asteroideneinschlägen rechnen müssen. Diese Sternbegegnung ist übrigens kein neues Ergebnis; darüber weiß man schon seit Jahrzehnten Bescheid (und ich habe schon vor Jahren hier darüber berichtet). Dank der neuen GAIA-Daten weiß man nun aber wesentlich genauer Bescheid wie die Begegnung ablaufen wird. Und kann das ganze auch wunderbar visualisieren. Dieses schöne Video zeigt wie die Begegnung aus der Sicht von Gliese 710 aussehen wird:
Und apropos Video: Schaut euch bitte auch dieses Video an. Vor allem: Schaut es euch auf einem möglichst großen Bildschirm im Vollbildmodus an! Auf den ersten Blick scheint da nicht viel los zu sein; nur jede Menge Sterne. Aber wenn man genau schaut, dann erkennt man wie es dort wimmelt und sich alle Sterne beständig bewegen. Das Video zeigt nichts anderes als die aus den GAIA-Daten berechnete Bewegung von zwei Millionen Sternen (!) Gliese 710 ist im Video durch den Kreis markiert; die Linie zeigt wie er sich durch die Galaxie bewegt:
Wir sind Teil eines höchst dynamischen Systems und dank GAIA wissen wir nun ein wenig besser als zuvor wie dynamisch unsere Milchstraße ist. Alles ist in ständiger Bewegung und es ist ein klein wenig schade, das wir die Wanderung der Sterne in unseren kurzen menschlichen Leben nicht wahrnehmen können. Aber dafür haben wir ja die Wissenschaft! Und geniale Instrumente wie GAIA die uns zeigen das der Nachthimmel über unseren Köpfen gar nicht so ruhig und unveränderlich ist wie er uns vorkommt…https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/?p=25381
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