Der Artikel ist Teil einer Serie zum Buch ”Die Himmelsscheibe von Nebra – Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas”* von Harald Meller und Kai Michel. Die restlichen Artikel der Serie findet man hier.
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Wer hat die Himmelsscheibe von Nebra erschaffen? Wie faszinierend und astronomisch bedeutsam dieser Fund aus der Bronzezeit ist, hab ich ja schon in den ersten 11 Teilen meiner Serie erklärt (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7, Teil 8, Teil 9, Teil 10, Teil 11). Danach gab es einen kurzen Überblick über die europäische Vorgeschichte und die Entstehung der Metallverarbeitung. Aber jetzt muss die wichtige Frage langsam beantwortet werden: Welche Kultur hat so etwas wie die Himmelsscheibe von Nebra hervor gebracht.
Die Antwort geben Harald Meller und Kai Michel in Kapitel 16 ihres Buchs: Das Reich von Aunjetitz! Das klingt nicht nur wie ein böhmisches Dorf, das IST sogar ein böhmisches Dorf. Nämlich Únětice, in der Nähe von Prag. Dort fand man Ende des 19. Jahrhunderts jede Menge Gräber aus der Bronzezeit und der Ort diente als Namensgeber für eine ganze Gruppe ähnlicher Funde in Tschechien und Ostdeutschland. Die “Aunjetitzer-Kultur” war der Archäologie also schon lange bekannt. Dass es sich dabei aber nicht nur um ein “normale” bronzezeitliche Kulturgruppe handelt, sondern um eine Hochkultur, die in der Lage war ein Objekt wie die Himmelsscheibe von Nebra zu erschaffen, zeigte sich erst, als man dank eben diese Himmelsscheibe das bronzezeitliche Mitteldeutschland genauer untersuchte.
Zwischen 2200 und 2000 vor Christus sind die beiden schon früher erwähnten, aus den asiatischen Steppen nach Europa eingewanderten Völker der Schnurkeramiker und Glockenbecherleute zur Aunjetitzer Kultur verschmolzen. Das zeigen nicht nur archäologische Funde, sondern auch genetische Analysen. Dieses Reich hat die Gegend 400 Jahre lang beherrscht und erst 1600 vor Christus verschwand es wieder; zur gleichen Zeit in der auch die Himmelsscheibe von Nebra im Boden vergraben wird.
Meller und Michel machen sich nun in den folgenden Kapiteln daran, die überraschende Behauptung zu belegen, die sie da gerade aufgestellt haben. Wenn Aunjetitz nicht einfach nur eine weitere bronzeitliche “Barbarenhorde” war, sondern eine Hochkultur, quasi der erste europäische “Staat”: Dann muss es Spuren geben mit denen man das belegen kann. Und die suchen sie in den Hügelgräbern.
Dieser Teil des Buches hat mich ein wenig deprimiert. Früher war die Landschaft voll mit Hügelgräbern, Burgen, Wallanlagen, usw. Aber spätestens seit der landwirtschaftlichen Revolution im 19. Jahrhundert war es damit vorbei. Die Menschen brauchten Ackerboden und alles was im Weg stand, wurde abgetragen und umgepflügt. Man will sich gar nicht ausmalen, was da für Wissen verschwunden und zerstört worden ist. Ein kleines bisschen wurde aber zum Glück zum Teil bewahrt. Zum Beispiel das, was sich in den Hügelgräbern von Leubingen und Helmsdorf verborgen hat.
Beide befinden sich in der Nähe des Fundorts der Himmelsscheibe. Beide wurden (und werden) als “Fürstengräber” bezeichnet. Und beide wurden – wenn auch eher suboptimal – von Archäologen ausgegraben. In Leubingen hat das 1877 der Jenaer Prähistoriker Friedrich Klopfleisch getan; in Helsmdorf der Lehrer Hermann Größler. Beide mussten enorme Erdmassen bewegen. Der Hügel in Leubingen war 8,5 Meter hoch und hatte einen Durchmesser von 34 Metern; in Helmsdorf war es ebenso. Es brauchte jede Menge Hilfskräfte (in Leubingen bekam man für 11 Stunden Schaufelei 2,25 Mark bzw. 2,50 Mark wenn man auf das zur Arbeit gereichte Bier verzichtet – was aber vermutlich kaum jemand getan hat). Unter der Erde fand man da wie dort einen enormen Kegel aus Steinen, darunter eine Art Gebäude aus dicken Holzbohlen. Und darin ein Grab mit Grabbeigaben. Aus den Holzstücken und den Baumringen konnte man das Alter bestimmen. Das Hügelgrab in Leubingen wurde 1942 v. Chr. angelegt, das in Helmsdorf mehr als ein Jahrhundert später im Jahr 1828 v. Chr. Die noch intakten und auffindbaren Grabbeigaben waren in beiden Gräbern erstaunlich ähnlich. Ein schwerer Steinhammer. Ein großer, schwerer Armreif aus Gold. Goldene Nadeln die man sich an die Kleidung stecken konnte. Goldene Ringe und Spiralen. Und Waffen und Werkzeuge aus Bronze.
Die Aufzeichnungen von damals sind aus heutiger Sicht nicht sonderlich exakt; die Stücke und Knochen wurden nicht so aufbewahrt und dokumentiert wie man das heute gerne hätte (und wer weiß, ob man überhaupt noch alles hat – in Helmsdorf war die Graböffnung ein großes Volksfest mit jeder Menge Publikum). Aber es ist auf jeden Fall klar, dass man hier zwei Gräber hat die auf die gleiche Weise konstruiert waren und in denen jeweils eine – offensichtlich sehr mächtige Person – mit wertvollen Beigaben bestattet worden ist. Auf eine Art und Weise, die sehr viel Arbeit erfordert. So ein Grabhügel baut sich nicht mal eben an einem Nachmittag; die Menge an Erde und Steinen die hier bewegt werden müssen sind enorm und brauchen die Arbeit von vielen Leute über viele Jahre hinweg. Und vor allem: Zumindest was den noch erhaltenen Goldschmuck angeht ähneln sich die Beigaben enorm. Die Fürsten von Leubingen und Helmsdorf sind in der gleichen Gegend auf die gleiche Weise bestattet worden. Aber der eine mehr als hundert Jahre später als der andere.
Eine Analyse des Goldes zeigte außerdem: Es war nicht nur in beiden Gräber Gold aus der gleichen Quelle in Cornwall, es war auch das gleiche Gold, das bei der Dekoration der Himmelsscheibe verwendet worden ist. Und die Grabbeigaben der Fürsten waren fast die gleichen, die auch der Scheibe mit in die Erde gegeben worden sind. Die Scheibe wurde also offensichtlich als nicht weniger wichtig erachtet als die Fürsten in den Gräbern. Und über Jahrhunderte weg ähneln sich die Gräber…
Das sieht genau so aus, wie man sich das für die Elite einer Hochkultur erwartet. Da rechnet man mit so einer Konstanz, auch über lange Zeiträume hinweg. Die “Fürsten” von Leubingen und Helmsdorf waren keine Herrscher irgendwelcher Stammesgemeinschaften. Sondern die Elite in einem Staat, die Herrscher von Aunjetitz, einem Reich das für Jahrhunderte existiert hat. Denn es wäre überraschend, wenn die Fürsten von Leubingen und Helmsdorf die einzigen Bestattungen dieser Art gewesen wäre. Es muss davor, danach und dazwischen weitere ähnlich bestattete Herrscher gegeben haben. Und einer davon war vielleicht derjenige, der die Himmelsscheibe von Nebra in Auftrag gegeben hat.
Oder ist das, wie Meller und Michel gegen Ende dieses Kapitels in ihrem Buch schreiben, vielleicht doch nur Wunschdenken? Diese Frage beantworten sie in den nächsten Teilen des Buchs. Und ich in den nächsten Teile meiner Serie darüber. *Affiliate-Links
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