Auf der Venus hat man außerirdisches Leben entdeckt! So lautet zuerst ein Gerücht das sich seit ein paar Tagen durchs Internet verbreitet. Heute wurde dann eine wissenschaftliche Facharbeit dazu veröffentlicht: “Phosphine Gas in the Cloud Decks of Venus”(pdf). Also “Phosphin Gas in den Wolken der Venus”. Klingt nicht mehr ganz so spektakulär. Ist aber dennoch enorm spannend, denn Phosphin ist ein Molekül, dessen Existenz dort nach Meinung vieler nur durch die Anwesenheit von Lebewesen erklärt werden kann.
Das ist natürlich Material für jede Menge Schlagzeilen. Aber bleiben wir mal bei den Grundlagen: Der Entdeckung von Phosphin auf der Venus. Was würde daraus tatsächlich folgen?
Was ist Phosphin?
Chemisch korrekt heißt Phosphin eigentlich “Monophosphan” und ist eine chemische Verbindung aus Wasserstoff und Phosphor. Drei Wasserstoffatome und ein Phosphoratom verbinden sich zu “PH3”. Das Zeug ist gasförmig, farb- und geruchslos und darüber hinaus brennbar und giftig. Wenn wir es hier auf der Erde im Labor herstellen, ist es meistens nicht absolut rein sondern durch andere Stoffe verunreinigt und dann nicht mehr geruchslos sondern mit einem eher unangenehmen Geruch nach Knoblauch und faulem Fisch. Entdeckt hat man das Zeug erstmals 1783 und seitdem verwenden wir es zum Beispiel zur Schädlingsbekämpfung oder bei der Herstellung von Leuchtdioden. Obwohl “entdeckt” eigentlich der falsche Begriff ist; Philippe Gengembre, ein Student des französischen Chemikers Antoine Lavoisier hat es 1783 bei chemischen Experimenten im Labor quasi aus Versehen erzeugt. Denn natürlich kommt es auf der Erde so gut wie gar nicht vor. Manche Bakterien können es erzeugen; die Art von Bakterien die in einer sauerstofffreien Umgebung leben. Sie können Mineralien “fressen” die Phosphate enthalten, die aufspalten und in Verbindung mit Wasserstoff entsteht Phosphin.
Wie hat man Phosphin auf der Venus entdeckt?
Es klingt seltsam, dass man in der Astronomie Moleküle irgendwo im All beobachten kann. Kann man aber. Und zwar mit Radioteleskopen. In dem Fall waren das das James Clerk Maxwell Telescope (JCMT) in Hawaii (betrieben von Großbritannien, Kanada und den Niederlanden) und das Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) das von der Europäischen Südsternwarten in Chile betrieben wird. Wie das mit der Beobachtung von Molekülen im All funktioniert habe ich hier ausführlich erklärt. Die Kurzversion: Ein Molekül kann Energie aufnehmen (durch Strahlung von Sterne, durch Wärme, durch Stöße, etc). Diese Energie gibt es in Form von Strahlung wieder ab. Jedes Molekül gibt dabei eine ganz charakteristische Art der Strahlung ab die im Allgemeinen im Radiowellen/Millimeterwellen-Bereich liegt. Mit passenden Teleskopen kann man solche Wellenlängen aufspüren und auf die Existenz der Moleküle schließen. Auf der Venus funktioniert das ein bisschen anders; das Prinzip ist aber gleich. Dort entstehen auch in der Atmosphäre Radiowellen und die Moleküle können diese Wellen absorbieren. Auch hier blockt jedes Molekül eine ganz bestimmte Wellenlänge und wenn man die gesamte von der Venus kommende Strahlung mit einem Radioteleskop anschaut, dann fehlt genau diese Wellenlänge. Bzw. fehlen normalerweise mehrere, weil ja in so einer Atmosphäre viele verschiedene Molekülarten rumschwirren. Aber mit ausreichend viel Daten und jeder Menge Computerrechnerei kann man rausfinden, was es dort alles gibt. In diesem Fall: Phosphin. Natürlich nur wenn ausreichend viele davon vorhanden sind; ein einzelnes Molekül kann man damit natürlich nicht finden!
Aber das heißt auch nicht, dass die Venus jetzt voll mit Phosphin ist. Zwanzig Molekülen pro Milliarde Moleküle lautet das Ergebnis der Beobachtung. Also nicht viel. Aber genug um die ForscherInnen zum Nachdenken zu bringen. „Als wir die ersten Hinweise auf Phosphin im Spektrum der Venus erhielten, war das ein Schock“, hat eine der beteiligten Wissenschaftlerinnen gesagt… Und in ihrem Artikel schreiben die AutorInnen: “The presence of even a few parts-per-billion of phosphin is completely unexpected for an oxidized atmosphere”. Selbst so kleine Mengen an Phosphin sind also komplett unerwartet in einer Atmosphäre wie der Venus. Eigentlich sollte das Zeug gar nicht da sein, weil es durch chemische Prozesse von selbst schnell wieder verschwindet. Je nach Atmosphärenschicht überlebt es nur Stunden bis ein paar hundert Jahre. Alles extrem kurz in planetarischen Maßstäben. Wie kommt es da also hin?
Was macht das Phosphin auf der Venus?
Das ist nun die große Frage. Die Venus gilt ja eher als extrem lebensfeindliche Welt. Auf ihrer Oberfläche herrschen Temperaturen von fast 500 Grad Celsius. Die Atmosphäre die darüber liegt ist extrem dick und dicht und voll mit Gasen wie Kohlendioxid, Schwefeldioxid und Stickstoff. Die Wolken in dieser Atmosphäre bestehen zum großen Teil aus Schwefelsäure – alles nicht unbedingt angenehm. Aber es gibt dort tatsächlich Regionen, wo es nicht ganz so schlimm ist. 50 bis 60 Kilometer über der Venusoberfläche liegt die Temperatur zwischen 0 und 60 Grad Celsius. Der atmosphärische Druck dort entspricht dem Druck am Boden der Erde. Und es gibt Wasser: Wenn die Schwefelsäure abregnet und sich dem Venusboden nähert, wird es irgendwann so heiß, dass sie sich zersetzt; unter anderem in Wasserdampf. Deswegen spekuliert man schon länger darüber, dass sich in diesen Atmosphärenschichten der Venus vielleicht doch Leben entwickelt haben könnte. Ich habe erst kürzlich über eine Arbeit berichtet in der – rein theoretisch – überlegt wurde, wie der Lebenszyklus solcher Venus-Mikroben aussehen könnte.
Soweit die Theorie. In der Realität hat man auf der Venus noch nie irgendwelche konkreten Spuren von Leben entdeckt. Aber Phosphin zählt zu den chemischen Stoffen, die man als “Biomarker” bezeichnet. Also etwas, dessen Existenz man ohne das Vorhandensein von Leben nur schwer erklären kann. Freier Sauerstoff ist so ein Fall. Sauerstoff reagiert enorm gern mit anderen Atomen. Wenn irgendwo Sauerstoff freigesetzt wird, existiert er deswegen nicht lange sondern verbindet sich – zum Beispiel mit Wasserstoff zu Wasser. Wenn ein Himmelskörper, so wie unsere Erde, eine relevante Menge an Sauerstoff in seiner Atmosphäre hat, dann muss es eine Quelle geben, die immer wieder neuen Sauerstoff nachliefert. Was in unserem Fall die Pflanzen, also Lebewesen sind. Es gibt auch andere Möglichkeiten wie Sauerstoff freigesetzt werden kann, aber wenn man auf einem Planeten einen ganzen Schwung solcher Biomarker findet, wäre das ein gutes Indiz dafür, dass da tatsächlich leben sein könnte.
Und Phosphin gehört mit dazu. Die Astrochemikern Clara Sousa-Silva hat in einem Artikel im Scientific American vom letzten Jahr folgende bedenkenswerte Worte geschrieben:
“[I]f we find phosphine on a rocky planet in the habitable zone, where it has no false positives, we will have found life.”
Frei übersetzt: “Wenn wir auf einem Planeten mit fester Oberfläche in der habitablen Zone Phosphin entdecken und es keine andere Erklärung dafür gibt, haben wir Leben gefunden.”.
Nun, die Venus hat eine feste Oberfläche. Sie befindet sich – je nachdem wie genau man es definieren möchte – in der habitablen Zone der Sonne. Und wir haben dort Phosphin gefunden. Gibt es dort also Leben?
Lebt da was auf der Venus?
Bevor man zu so einem weitreichenden Schluss kommen kann, muss man sich zuvor erst einmal sehr sicher sein, dass es wirklich keine anderen Quellen für das Phosphin gibt. Wir wissen mittlerweile, dass es auf der Venus immer noch Vulkanismus gibt. Diverse Mineralien könnten dadurch in die Atmosphäre gelangen. Eine Atmosphäre die sich stark von der unterscheidet die wir von der Erde kennen; eine Atmosphäre in der es Gewitter, Blitze und jede Menge energetische Phänomene gibt. Wer weiß, was da alles an chemischen Reaktionen abgeht? Die Forscherinnen und Forscher die die aktuelle Arbeit veröffentlicht haben, sind allerdings der Ansicht, dass die potenziellen natürlichen Quellen auf der Venus nur einen winzigen Bruchteil des nachgewiesenen Phosphin erklären können. Der Rest muss eine andere Quelle haben. Und da bleibt derzeit nur “Leben”.
Das bedeutet alles immer noch nicht, dass da wirklich Leben auf der Venus existiert. Das heißt nur, dass wir derzeit nicht genau sagen können, dass das Phosphin nicht von Lebewesen produziert worden ist. Es kann genau so gut sein, dass wir noch nicht gut genug verstanden haben, wie Planeten funktionieren. In ihrem Artikel formulieren es die AutorInnen so:
“If no known chemical process can explain PH3 within the upper-atmosphere of Venus, then it must be produced by a process not previously considered plausible for Venusian conditions. This could be unknown photochemistry or geochemistry, or possibly life.”
Wenn von den bekannten Prozessen keiner in Frage kommt um die Menge von Phosphin in der Venus zu erklären, dann muss es entweder ein unbekannter chemischer Prozess sein. Oder Leben… Irdische Bakterien, so wird weiter argumentiert, wären jedenfalls vermutlich in der Lage solche Phosphin-Mengen zu produzieren.
Gerade die Venus ist notorisch schlecht von Raumsonden erforscht. Landungen gab es dort nur eine Handvoll und seit 1985 gar keine mehr. Aus der Umlaufbahn haben wir die Venus zwischen 2006 und 2014 erforscht. Aber verglichen etwa mit dem Mars wissen wir nix über die Venus! Wer weiß, welche geochemischen Prozesse dort abgehen… So oder so bedeutet der Nachweis des Phosphins auf der Venus, dass wir etwas neues lernen werden und müssen. Auch wenn die Entdeckung von Leben natürlich ein bisschen spektakulärer ist als ein besseres Verständnis der Planetologie.
Die Wissenschaft ist – gezwungenermaßen – konservativ was große Entdeckungen angeht. Man kann nicht einfach nach Lust und Laune irgendwelche Revolutionen verkünden; und die Entdeckung außerirdischen Lebens wäre definitiv eine Revolution. Selbst wenn uns nach noch längerem Nachdenken keine nicht-lebendige Quelle für das Venus-Phosphin einfällt wird man vermutlich nicht gleich die Entdeckung von “Alien-Bakterien” verkünden. Dafür werden wir – zumindest ist das meine Meinung – zur Venus fliegen und die Atmosphäre mit entsprechenden Instrumenten aus der Nähe untersuchen müssen. Was aber erstens sowieso schon längst dringend notwendig wäre und zweitens jetzt noch notwendiger ist.
Dass die Sache aufregend und potenziell spektakulär ist, sehen auch andere so. Zum Beispiel der Astronom Leonardo Testi, der in der Pressemitteilung so zitiert wird:
“Die abiotische Produktion von Phosphin auf der Venus ist nach unserem derzeitigen Verständnis der Phosphinchemie in der Atmosphäre von Gesteinsplaneten ausgeschlossen. Die Bestätigung der Existenz von Leben in der Venusatmosphäre wäre ein bedeutender Durchbruch für die Astrobiologie. Daher ist es unerlässlich, diese aufregenden Ergebnisse mit theoretischen und beobachtenden Studien weiterzuverfolgen, um die Möglichkeit auszuschließen, dass Phosphin auf Gesteinsplaneten auch einen anderen chemischen Ursprung haben könnte als auf der Erde.”
Und am Ende schreiben die ForscherInnen in ihrer Arbeit auch noch mal explizit:
“Even if confirmed, we emphasize that the detection of phosphine is not robust evidence for life, only for anomalous and unexplained chemistry”
Wenn da Phosphin ist, dann ist das also erstmal KEIN Beweis für die Existenz von Leben auf der Venus. Sondern vorerst nur ein Beweis für ungewöhnliche und unerklärte chemische Vorgänge. Wie die dann tatsächlich erklärt werden können, ist wieder eine ganz andere Frage.
Wo kommt das Leben auf der Venus her (sofern es überhaupt da ist)?
Aber wenn da wirklich Leben ist: Wo kommt es her? Darüber lässt sich noch mehr spekulieren und noch weniger wissen als über die restlichen Punkte. Als die Venus vor 4,5 Milliarden Jahre entstanden ist, war sie vermutlich ein sehr viel lebensfreundlicher Planet als jetzt. Mit halbwegs angenehmen Temperaturen; mit Ozeanen und Wasser auf der Oberfläche. Erst später, als sich wegen der Nähe zur Sonne immer mehr Wasserdampf in der Atmosphäre angesammelt hat und der Treibhauseffekt immer stärker wurde, ist die Venus zu der Gluthölle geworden die wir heute beobachten. Aber vielleicht hat sich damals dort einfaches Leben entwickelt? Und in den habitablen Wolkenschichten bis heute überlebt? Vielleicht ist das Leben auch von der Erde importiert worden? So wie bei uns Meteoriten einschlagen die von anderen Himmelskörpern stammen, können anderswo Meteoriten von der Erde einschlagen. Eventuell ist das frühe Leben der Erde per Meteorit zur Venus gereist. Oder es war umgekehrt – das können wir nicht beantworten, solange wir das hypothetische Venus-Leben nicht im Detail und im Labor genetisch untersuchen können. Nur so lässt sich herausfinden, ob es eine Verwandtschaft gibt und wer zuerst da war.
So oder so: Die Venus ist ein spannender Himmelskörper und nun nochmal deutlich spannender geworden als zuvor. Ich hab es schon oft gesagt und sag es gern noch einmal: Der Mars ist schön und gut. Aber wir sollten auch unseren anderen Nachbarplaneten erforschen. Wer weiß, was wir in den dicken Wolkenschichten der Venus noch alles finden. Das sehen auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler so und schließen ihren Artikel mit:
“Ultimately, a solution could come from revisiting Venus for in situ measurements or aerosol return.”
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Da kann ich absolut nichts dagegen einwenden!
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