In meinen Texten schreibe ich nicht viel über die Corona-Pandemie. Erstens, weil mir der ganze Kram schon – wie den meisten – gehörig auf die Nerven geht und ich keine Lust habe, mich damit zu beschäftigen. Und zweitens, weil ich als Astronom auch nicht sonderlich qualifiziert bin, etwas dazu zu sagen, was andere Leute nicht sowieso auch wesentlich qualifizierter sagen können. Aber die Meldung, auf die ich heute gestoßen bin, hat durchaus mit Astronomie zu tun.
Es geht um die Varianten des Sars-Cov2-Virus. Das hinterhältige Ding mutiert ja ständig und manche dieser Varianten sind für uns unangenehmer als die ursprüngliche Form. Die “Delta-Variante” etwa, lässt sich von einer einzigen Corona-Impfung kaum beeindrucken; es braucht schon beide Impfungen damit sie halbwegs in Schach gehalten werden kann. Und den letzten großen Anstieg der Infektionen gegen Ende des letzten Jahres hatten wir der “Alpha-Variante” zu verdanken. Bevor man angefangen hat, die Varianten mit griechischen Buchstaben zu benennen, wurden sie nach der Gegend bezeichnet, in der sie das erste Mal nachgewiesen werden konnten. Die Alpha-Variante wurde lange Zeit die “britische Variante” genannt und bevor Delta zu Delta wurde, war es die “indische Variante”. Es war gut und richtig, dass sich die Weltgesundheitsorganisation WHO dazu entschieden hat, diese offiziellen und neutralen Bezeichnungen zu schaffen. Denn wenn man die Viren weiter nach Ländern benannt hätte, hätte das zwar nicht unbedingt Auswirkungen auf die Ausbreitung oder Bekämpfung der Pandemie gehabt. Aber eventuell für schlechte Stimmung gesorgt. Denn wir alle assoziieren zwangsläufig etwas mit Wörtern wie “indisch” oder “britisch”; wenig überraschend die zu den Adjektiven gehörenden Nationen. Und neigen dazu, bewusst oder unbewusst dann auch Großbritannien oder Indien für die Existenz der Varianten verantwortlich zu machen; wir können – ebenfalls durchaus auch unbewusst – Vorurteile gegen die Staatsbürger*innen dieser Länder entwickeln, und so weiter. Die “Spanische Grippe” ist dafür ein gutes Beispiel, die ihren Ursprung nicht in Spanien hatte, heute aber zwangsläufig damit in Verbindung gebracht wird (und als sie gerade so richtig aktiv war, hat man der Krankheit gerne auch mal den Namen anderer Ländern gegeben, die gerade passend erschienen – “Flanderngrippe” in Deutschland zum Beispiel).
Gerade bei einem Thema, das so voll mit diffusen Ängsten, Fake-News, Unwissen, Populismus und Manipulation ist wie die Corona-Pandemie, sollte man die Sprache, die man bei der Kommunikation dazu verwendet nicht völlig aus den Augen verlieren (man erinnere sich nur an Donald Trump, der ständig vom “China-Virus” sprach, durchaus absichtlich und aus politischen Gründen, um China die Schuld an der Pandemie zu geben). Und die WHO hat Recht, wenn sie darauf besteht, für Krankheiten oder eben Viren-Mutationen keine Ländernamen oder ähnlich mißbräulich verwendbaren Begriffe zu verwenden.
Und mit den griechischen Buchstaben ist so weit auch alles ok. Bis auf die Tatsache, dass sie eventuell nicht reichen werden, um alle noch auftretenden Varianten zu benennen. Das Virus mutiert weiter vor sich hin und produziert immer wieder Varianten, die so relevant für uns sind, dass sie eine offizielle Bezeichnung kriegen. Es ist absehbar, dass das griechische Alphabet bald aufgebraucht ist. Was als dann tun? Der Vorschlag der WHO lautet: Dann macht man mit den Namen von Sternbildern weiter.
Das halte ich für eine ziemlich doofe Idee. Natürlich vor allem, weil ich selbst Astronom bin und es ungern sehe, wenn die Begriffe “meiner” Forschung anderswo zweckentfremdet werden. Aber auch ganz unabhängig meines Berufstandes bin ich kein Fan dieser Idee. Ja, die meisten Menschen werden mit Begriffen wie “Ophiuchus”, “Auriga” oder “Pavonis” (die Sternbilder “Schlangenträger”, “Fuhrmann” und “Pfau”) wenig assozieren. Insofern sind diese Bezeichnungen nicht besser oder schlechter als die griechischen Buchstaben. Und wissenschaftlich gesehen spielen die Sternbilder für die astronomische Forschung keine Rolle. Aber man darf keinesfalls unterschätzen, wie wichtig gerade die Namen der Sterne und Sternbilder für die Vermittlung der Astronomie sind!
Keine Planetariumsshow kommt ohne Tour durch die Sternbilder aus. Kinder sind fasziniert von den Bildern am Himmel und den Geschichten, die sich die Menschen seit Jahrtausenden darüber erzählt haben. Und eine Geschichte braucht Namen! Was, wenn wir nächstes Jahr von der “Cepheus-Variante” heimgesucht werden? Und in allen Medien ausführlich darüber berichtet wird, wie schlimm und bedrohlich “Cepheus” ist? Dann werden wir, ob wir es wollen oder nicht, eine negative Assoziation mit diesem Wort verbinden und die im Kopf haben, wenn wir dann eine astronomische Geschichte über das Sternbild Cepheus hören oder auch nur eine Geschichte über einen einzelnen Stern aus diesem Bild. Wenn ich dann zum Beispiel vom gigantisch großen Stern VV Cephei im Sternbild Cepheus erzähle, von den faszinierenden Planeten des Doppelsterns “Gamma Cephei” oder meine Instagram-Serie zu Sternbildern fortführe, dann steckt die bedrohliche Assoziation mit der Virenvariante in den Köpfen meines Publikums.
Since this question comes up quite a bit:
Once the @WHO runs out of Greek letters to name variants of #sarscov2 it plans to start using the names of stars or constellations such as say Virgo, Draco or Orion.— Kai Kupferschmidt (@kakape) September 1, 2021
Mir ist schon klar, dass das im großen Ganzen der Dinge kein wirklich dramatisches Problem ist. Aber wieso muss man gerade die Sterne nehmen? Etwas, mit dem die Menschen so viel positives assozieren; etwas, das den Menschen so viel Freude macht und das so ein hervorragendes Instrument ist, um Interesse an der Wissenschaft zu wecken. Noch dazu völlig ohne Not, denn es gibt ja genug Alternativen zur Bennung. Soll man die Dinger doch einfach durchnummerieren; “Variante 1”, “Variante 17” oder “Variante 156”! Oder noch besser: Dafür sorgen, dass wir gar nicht erst so viele Namen brauchen und die Pandemie beenden!
Also, liebe WHO: Lasst die Astronomie aus dem Spiel, wenn es um die Viren geht. Und für den ganzen Rest gilt: Im Namen der Astronomie, lasst euch gefälligst impfen, sobald ihr die Möglichkeit dazu habt!
P.S. Und es gibt sowieso nur 88 Sternbilder. Die werden auch nicht lange reichen – welcher Wissenschaft wird die WHO danach auf die Nerven gehen?
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