Der Artikel ist Teil einer Serie zum Buch ”Die Himmelsscheibe von Nebra – Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas”* von Harald Meller und Kai Michel. Die restlichen Artikel der Serie findet man hier.
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Die faszinierende Himmelsscheibe von Nebra aus der Bronzezeit ist eines bedeutsamsten geschichtlichen und wissenschaftlichen Objekte das wir je aus der Erde geholt haben. Warum das so ist hab ich in den ersten 11 Teilen meiner Serie schon erklärt (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7, Teil 8, Teil 9, Teil 10, Teil 11).

Wer hat dieses Ding gebaut! (Bild: Dbachmann, CC-BY-SA 3.0)

Aber wir wollen natürlich auch wissen, wer vor fast 4000 Jahren in der Lage war, all dieses astronomische Wissen zu sammeln und in Form der wertvollen Scheibe darzustellen. Das macht man nicht eben mal an nem verregneten Nachmittag. Dazu braucht es eine Hochkultur und die gab es eigentlich nicht im Mitteldeutschland der Bronzezeit. Dachte man zumindest bis zum Fund der Himmelsscheibe. Aber wer waren die Herrscher der Himmelsscheibe? In Teil 12 und Teil 13 der Serie gab es einen kleinen Überblick über die europäische Bronzezeit und in Teil 14 haben die Funde aus Hügelgräbern gezeigt, dass die Aunjetitzer Kultur das Potential hat, als erste Hochkultur und erster Staat Europas bezeichnet zu werden.

Aber – und die Frage stellen sich Politikerinnen und Politiker sicherlich auch heute noch – wie kriegt man die Bevölkerung so eines Staats dazu, einem zu gehorchen? Das Reich von Aunjetitz bestand ja aus mehr als ein paar Hütten im Wald. Es war in etwa so groß wie das heutige Bundesland Sachsen-Anhalt und hat 400 Jahre lang existiert. Wie haben die “Fürsten” aus den gefundenen Hügelgräbern ihre Macht ausgeübt.

Zuerst klären Meller und Michel aber noch, was einen “Staat” von einem “Häuptlingstum” unterscheidet. Vor allem einmal die Konstanz. Wenn ein Häuptling stirbt, dann kann sich alles ändern. Wenn der Führer eines Staates stirbt, dann gibt es Institutionen und eine Elite, die die Geschäfte weiterführen und aus der ein neuer Führer kommen kann. Und wie die in der Gegend um den Fundort gelegenen Hügelgräber zeigen, gab es hier nicht nur diese Konstanz, es gab auch konstante Handelsbeziehungen. Immerhin war das Gold in den Gräber immer das gleiche Gold aus Cornwall. Es gab also eine Gegend, in der 400 Jahrhunderte lang konstant geherrscht wurde und in der ebenso lang stabile Handelsbeziehungen herrschten. Das klingt schon sehr nach “Staat”. Was nicht danach klingt sind die fehlenden großen Städte und die Schrift, wie man sie in den Hochkulturen in Ägypten und Mesopotamien findet. Aber das muss noch nicht zwingend dagegen sprechen, dass das Reich von Aunjetitz keine ausreichend hoch entwickelte Kultur war, um die Himmelsscheibe hervorbringen zu können.

Meller und Michel widmen sich nun den Herrschaftsstrategien der “Herren von Aunjetitz”, die sich aus den bisher gefundenen Artefakten ableiten lassen. Da ist einmal die “Überausstattung”, also die Tatsache, dass in den Gräbern sehr viel mehr Waffen und Werkzeuge zu finden sind als man notwendigerweise brauchen kann (sieht man mal davon ab, dass jemand der tot in der Erde vergraben wird sowieso nicht mehr viel braucht). Diese Überausstattung ist etwas, was man auch in den Grabhügeln der asiatischen Kurgankultur findet, als der Gegend aus der die Schnurkeramiker kamen, die später in den Aunjetitzern aufgegangen sind. Die große Menge an Waffen als Grabbeigaben ist also einerseits eine Fortsetzung dieser Tradition; andererseits auch ein Zeichen für die Heroisierung der Fürsten. Denn nur die wirklich großen Helden brauchen so viele Waffen. Und wer herrschen will, fährt sicher nicht schlecht damit, sich als Held zu inszenieren.

Ein echter Held braucht große Waffen! (Bild: gemeinfrei)

Gleiches gilt für die Grabbeigaben, die zur Metallverarbeitung dienten. Sie zeigen, dass die Toten nicht nur Helden waren, sondern auch Herren über das Metall und die Metallverarbeitung. Was in einer bronzezeitlichen Kultur sicher auch nicht schlecht war. Wer ein Held ist UND die wichtigsten Kulturtechniken und Handwerke beherrscht (oder sich zumindest so inszeniert), kann quasi nicht anders als Herrscher zu werden.

Dann ist da das Gold. Man hat nicht nur in den sachsen-anhaltinischen Hügelgräber die gleiche Ausstattung an Goldschmuck gefunden, sondern auch überall sonst in Europa; überall dort wohin sich die Glockenbecherleute ausgebreitet haben (neben den Schnurkeramikern die zweite Gruppe, aus der die Aunjetitzer entstanden sind). Das Gold zeigt, dass man auch diese Tradition noch gepflegt hat und Teil einer Elite war, die sich über ganz Europa erstreckt. Und die Eliten waren ja schon immer die, die sich zum Herrschen berufen gefühlt haben und denen die Beherrschten überraschend bereitwillig folgen.

Und wo ein bisschen Gold gut ist, ist viel Gold noch viel besser! Wer mit Reichtum protzen kann, kann auch herrschen. Und die Aunjetitzer haben ordentlich geprotzt! Früher hatten die Eliten nur zwischen 5 und 15 Gramm mit ins Grab genommen. In den Aunjetitzer Grabhügeln waren es 177 und 256 Gramm (und für jedes Gramm Gold müsste man damals mindestens 40 Stunden arbeiten!). Das Reichtum das herrschen leichter macht gilt übrigens auch heute noch: Vor allem in den USA gewinnt die Person die Wahlen, die am meisten Geld ausgeben kann.

Interessant ist aber neben dem Gold in den Gräbern der Stein. Beziehungsweise die Steinäxte, die man dort gefunden hat. Das sind Objekte aus der Steinzeit! Und die war auch damals schon lange vorbei! Im Hügelgrab von Leubingen hatte der Fürst eine Axt gefunden, die damals schon 2500 Jahre alt war und im Helmsdorfer Grab immerhin eine mit einem Alter von 1000 Jahren. Das waren keine Werkzeuge, sondern geheimnisvolle Objekte großer Macht. Wir haben ja noch im Mittelalter geglaubt, bei den seltsam geformten Steinen handle es sich um Artefakte des Donnergottes – die Menschen damals werden sicherlich ähnlich mythologische Bedeutung in den alten Äxten gefunden haben. Wer so etwas besitzt, kann sich als Nachfahre der Götter inszenieren – eine Taktik für die die Historiker den wunderbaren Begriff “Invention of Tradition” geprägt haben.

Aber bei all der Protzerei und Machtdemonstration muss ein Herrscher natürlich auch schlichten und versöhnen. Und auch das sieht man in den Gräber. Wo Schnurkeramiker und Glockenbecherleute ihre Toten noch unterschiedlich bestattet haben (die einen nach Süden ausgerichtet, die anderen nach Osten), findet man in den Fürstengräbern nichts davon. So als ob sie sich absichtlich nicht auf die eine oder andere Seite der Tradition schlagen sondern beide verbinden wollten.

Grabbeigaben im Hügelgrab von Leubingen (Bild: Fiedrich Klopfleisch, 1877, CC-BY 3.0)

Die Funde in den Hügelgräbern von Aunjetitz zeigen also, dass hier Menschen begraben liegen, die zu herrschen gewusst haben. Und ein Volk beherrscht haben, das keine wilde Horde von Barbaren war, sondern eine Kultur mit verschiedenen Schichten. Das belegen die goldenen Gewandnadeln . Jeder Fürst hatte genau zwei davon. Aber Nadeln dieser Art hat man in vielen anderen Gräber ebenfalls gefunden – aber nie aus Gold. Andere Gräber waren zwar auch mit ein wenig Goldschmuck ausgestattet, aber nur mit zwei Bronzenadeln. Wieder ander Gräber hatten Schmuck aus Bronze und entsprechende Nadeln. Und dann gab es die vielen Gräber, die gar nichts mitnehmen durften, höchstens vielleicht ein bisschen Keramik. Und die Mehrheit der Gräber war – bis auf die Toten – komplett leer.

Das zeichnet das Bild einer geschichteten Gesellschaft: Oben stehen die Fürsten, dann kommen die Würdenträger des Reichs, dann eine Oberschicht, eine Art Basisschicht und eine Unterschicht. Unterschieden durch ihre Gewandnadeln bzw. wahrscheinlich eher durch die Art und den Wert des Gewandes, das damit zusammengehalten wurde. Und diese anhand der Grabbeigaben ablesbare Schichtung der Gesellschaft gibt es nur in den Gräber von Sachsen-Anhalt; nur in der Umgebung des Fundorts der Himmelsscheibe. Nicht aber anderswo in den anderen Regionen die ebenfalls der Aunjetitzer Kultur zugerechnet werden (zB in Tschechien). Das, was in Mitteldeutschland existiert, war außergewöhnlich.

Und es gibt noch ein weiters Indiz für die hochentwickelte Gesellschaft von Aunjetitz. Meller und Michel widmen ihm ein ganzes Kapitel. Das werde ich hier aber nicht besprechen. Das sollten wirklich alle selbst lesen! Es geht darum um die Rekonstrunktion und Aufdeckung eines fast 4000 Jahre alten Verbrechens, einen bronzezeitlichen Krimi, der sich genau so spannend liest wie ein echter Krimi.

Wir schauen im nächsten Teil der Serie gleich zur nächsten spannenden Geschichte. Denn bis jetzt haben sich Meller und Michel nur mit den beiden Hügelgräbern von Leubingen und Helmsdorf beschäftigt. Aber, und das ist ja schon früher festgestellt worden, das können nicht die einzigen Gräber gewesen sein. Viele Hügelgräber sind im Laufe der Zeit zerstört worden. Aber wenn man noch mal ganz genau schaut, findet man ja vielleicht doch noch was. Mit dem, was man dann aber tatsächlich gefunden hat, hat vermutlich niemand gerechnet. Aber dazu mehr im nächsten Teil der Serie. *Affiliate-Links

Kommentare (8)

  1. #1 Captain E.
    20. März 2019

    Es ist schon komisch. Man fällt leicht der Versuchung anheim, den Vorfahren zu unterstellen, geistig völlig unterbelichtet gewesen zu sein. Und hier in Deutschland haben halt vermeintlich in der Bronzezeit nur felltragende Primitivlinge gelebt, wo andernorts, also beispielweise am Mittelmeer, bereits große Tempel und Städte entstanden sind. Und selbst die haben gefälligst dämlich zu sein, weswegen Pyramiden nur mit Hilfe von Außerirdischen hätten gebaut werden können.

    Halten wir also fest: Vor ein paar tausend Jahren waren die Menschen nicht blöder als heute, nur fehlte ihnen ein Gutteil unseres heutigen Wissens und an der einen oder anderen Stelle standen sie sich mit (Irr-) Glaube und schlichtweg falschen Annahmen selbst im Wege. (Umgekehrt ist manches mit Sicherheit überflüssig geworden und daher in Vergessenheit geraten, was die Menschen aber zu beachtlichen Leistungen befähigt hatte, etwa im damaligen Bauwesen.)

    Und selbst hier nördlich der Alpen ging damals so einiges. Die Himmelsscheibe von Nebra ist ein Symbol dafür, die Goldhüte im Süddeutschen ein anderes. Die Goldhutträger mögen Aunjetitz gekannt, dazugehört oder daraus hervor gegangen sein.

  2. #2 Norbert
    20. März 2019

    …dass die Aunjetitzer Kultur das Potential hat, als erste Hochkultur und erster Staat Europas bezeichnet zu werden.

    Ich glaube, da vergallopieren sich die Beiden. Denn da ist der unvermeidliche Elefant im Raum: Die Minoische Kultur, die zur gleichen Zeit anfing, repräsentative Paläste zu errichten. Die Ausdifferenzierung der Gräber nach gesellschaftlichen Schichten hat dort schon entsprechend früher begonnen. Interessant wäre sicher auch ein vergleichender Blick auf auf den Balkan, wo die Gumelniţa- und die Vinča-Kultur schon 2000 Jahre vor den Aunjetitzern Gold und Kupfer verarbeiteten, und mit den Vinča-Zeichen möglicherweise einen Vorläufer der Schrift schufen – oder ein Blick auf den Südwesten der Iberische Halbinsel, wo auch früh mit Metallen gearbeitet wurde, und sich tatsächlich sehr bald Staaten gebildet haben (Stichwort Tartessos/Tarsis).
    Die Aunjetitzer Kultur hat sicher beeindruckendes geschaffen, darunter auch frühstaatliche Merkmale. Aber die Aussage “Erster!” halte ich für seeehr gewagt.

  3. #3 Florian Freistetter
    20. März 2019

    @Norbert: “Die Aunjetitzer Kultur hat sicher beeindruckendes geschaffen, darunter auch frühstaatliche Merkmale. Aber die Aussage “Erster!” halte ich für seeehr gewagt.”

    Ok, das war vielleicht eine nicht ganz korrekte Verkürzung von mir. Es ging bei “Europa” um Mitteleuropa, also die Ecke wo man bis jetzt nur Barabarenhorden vermutet hat. Und es geht auch tatsächlich um echte staatliche Strukturen; dass anderswo und früher auch schon Dinge geleistet und Metalle verarbeitet wurden (Vinca, Spanien, etc) bestreitet niemand. Aber sowas kann auch in einem Häuptlingstum ohne dauerhafte Institutionen passieren.

    Und ich möchte auch nochmal darauf hinweisen, dass ich hier ein komplettes Buch beschreibe. Und dabei nicht alle Details wiedergeben kann. Wer es wirklich genau wissen will, wird nicht umhin kommen, das Buch auch selbst zu lesen (was ich nur empfehlen kann, weil es wirklich gut ist)

  4. #4 Captain E.
    20. März 2019

    Apropos “Goldhüte” (s.o.): Hatten diese Dinge eine mythische Bedeutung? Ja, bestimmt. Aber hatten sie auch eine astronomische Bedeutung? Womöglich auch das! Astronomie in der Frühzeit: Wenn das nicht nach dem einen oder anderen Beitrag des Haushern schreit?

  5. #5 Florian Freistetter
    20. März 2019

    @Captain: “Apropos “Goldhüte” (s.o.): Hatten diese Dinge eine mythische Bedeutung”

    Da sieht man übrigens auch schön das Problem der Raubgräberei. Da keiner weiß, wo der Goldhut herkommt kann man auch kaum was drüber sagen außer “Ist ein komisches Ding”…

  6. #6 Captain E.
    20. März 2019

    @Florian Freistetter:

    Aber nicht doch! Nur dank des unermüdlichen Einsatzes heldenhafter Schatzsucher wurden diese Hüte dem Dunklen der Vergangenheit entrissen und der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Dafür gebührt ihnen eine geziemende Belohnung!

    Ach ja, wie üblich gilt: Wer darin Ironie findet, darf sie gerne behalten…

  7. #7 Norbert
    20. März 2019

    Da keiner weiß, wo der Goldhut herkommt…

    Das stimmt nur für den Berliner Goldhut. Der Schifferstädter Goldhut ist dafür, daß er 1835 gefunden wurde, recht gut dokumentiert (Beifunde, Beschreibung der Fundsituation etc). 10 Jahre später wurde bei Avanton/Frankreich ein unvollständiger Hut gefunden. Und der Ezelsdorf-Bucher Goldhut tauchte 1953 bei Bauarbeiten als “störendes Blech” auf – da gab es Nachgrabungen in der Baugrube.

  8. #8 Norbert
    20. März 2019

    dass anderswo und früher auch schon Dinge geleistet und Metalle verarbeitet wurden (Vinca, Spanien, etc) bestreitet niemand. Aber sowas kann auch in einem Häuptlingstum ohne dauerhafte Institutionen passieren.

    Schon klar. Da gibt es aber eine Korrelation. Sobald eine ständig wiederkehrende Aufgabe auftaucht, die ein bestimmtes Maß an Komplexität in Arbeitsteilung und Organisation überschreitet, werden sich über kurz oder lang staatliche Strukturen herausbilden – oder diese Tätigkeit wird wieder aufgegeben. Die Metallherstellung ist eine solche komplexe, arbeitsteilige Aufgabe. Auch wenn das klassische Beispiel Bau und Unterhalt von Bewässerungsanlagen ist.