In der letzten Folge haben wir gesehen, wie man zahlreiche STR-Systeme gleichzeitig mittels Multiplex-PCR vervielfältigt und dabei farblich markiert, um das dabei entstehende Gemisch von DNA-Fragmenten hinterher kapillarelektrophoretisch ordnen und analysieren zu können. Das Endergebnis ist ein DNA-Profil das aus den Angaben „STR-System” und Allel(kombination) besteht und das, so habe ich behauptet, nur einmal auf der Welt vorkommt.

In dieser Folge erkläre ich, warum und wie man berechnen kann, wie selten so ein DNA-Profil ist und ich beweise, daß meine Behauptung stimmt.


Bevor wir aber mit dem DNA-Profil selbst loslegen, müssen wir noch einige Grundlagen erarbeiten:

1. Wahrscheinlichkeit von Ereignissen
Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Ereignis eintritt, hat einen Wert zwischen 0 und 1, wobei 0 für eine 0%- und 1 für eine 100%-Wahrscheinlichkeit steht. 0 und 1 sind die Absolutwerte, d.h. ein Ereignis mit Wahrscheinlichkeit 0 bzw. 1 wird niemals bzw. sicher eintreten.
Welche Wahrscheinlichkeit aber nun das Eintreten eines bestimmten Ereignisses hat, hängt vollständig davon ab, in welcher Umgebung des Ereignis auftreten kann und unter welchen Bedingungen.
Nehmen wir als Beispiel den 6-seitigen, ungezinkten Würfel. Wenn wir ihn werfen, hat das Ereignis E1, daß eine 1,2,3,4,5 oder 6 fällt, eine Wahrscheinlichkeit von 1 und das Ereignis E0, daß keine dieser Zahlen gewürfelt wird, eine Wahrscheinlichkeit von 0. Beide Ereignisse schließen sich aus, es kann nur das eine oder das andere eintreten, nicht beide zusammen oder eine „Schnittmenge” von beiden.
Die Wahrscheinlichkeit, daß eine „1″ fällt, ist genauso hoch, wie daß irgendeine andere Zahl fällt. Bei sechs Möglichkeiten und einer gleichmäßigen Verteilung der Wahrscheinlichkeiten auf alle Möglichkeiten also E1 : 6 = 1/6 = 0,1666666.
Wie wahrscheinlich ist es aber, daß, wenn man einen zweiten, gleichartigen Würfel hinzunimmt und beide gleichzeitig wirft, beide Würfel eine „1″ zeigen? Für jeden einzelnen Würfel gilt natürlich das eben ermittelte: eine „1″ tritt mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/6 auf. Da sich aber die beiden Würfel gegenseitig nicht beeinflussen können, also unabhängig voneinander sind, wird nur in einem von sechs Fällen, in denen ein Würfel eine „1″ zeigt, auch beim anderen eine „1″ fallen. Also 1/6 von 1/6. Das ist 1/36 (= 1/6 x 1/6) von einem Ganzen. Kurz: das gleichzeitige Eintreten von zwei unabhängigen Ereignissen ist so wahrscheinlich, wie das Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten beider Ereignisse.

2. Vererbung von Merkmalen nach Mendel
Ein Mensch besitzt 23 Chromosomenpaare. 22 Autosomen- und ein Geschlechtschromosomenpaar (Frau: XX, Mann: XY). Bis auf die Geschlechtschromosomen beim Mann sind die Partner eines Paares gleich (nicht identisch), indem sie die gleichen Gene in der gleichen Reihenfolge enthalten. D.h. jeder Mensch hat von jedem Gen bzw. von jedem DNA-Abschnitt, zwei Kopien: eine auf jedem Partner eines Chromosomenpaares. Diese Genkopien müssen sich aber nicht identisch gleichen, sie können kleine oder größere Abwandlungen haben und man nennt die Varianten eines Gens „Allel” (hier ist das ausführlicher beschrieben).
Das eine Allel wurde vom Vater, das andere von der Mutter vererbt, die beide selber jeweils zwei Allele dieses Gens besitzen. Welches der beiden Allele vererbt wird, bestimmt der Zufall, also liegt die Wahrscheinlichkeit, daß ein bestimmtes Allel vererbt wird, bei 0,5. Daß also ein Kind eine bestimmte Kombination von Allelen der Eltern erhält, hat eine Wahrscheinlichkeit von 0,25 (= 0,5 x 0,5) oder ¼, weil die Vererbung der Allele durch die Elternteile unabhängig voneinander verläuft.

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Die Abbildung zeigt die Vererbung eines Merkmals, das vier mögliche Allele (A,B,C,D) hat. Der Vater hat die Allele A und B, die Mutter C und D. Deren Nachkommen haben immer eine Kombination aus einem väterlichen und einem mütterlichen Allel und alle vier möglichen Kombinationen sind gleich wahrscheinlich.
Genau so funktioniert auch die Vererbung der Allele von STR-Systemen. Jeder von uns besitzt für jedes STR-System zwei Allele, eins vom Vater eins von der Mutter.

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Kommentare (14)

  1. #1 rolak
    27/10/2011

    Kann sein, daß ich eine Denkblockade habe, doch seit gestern nachmittag komme ich nicht auf den Punkt, der die H-W-Gleichungen derart genial macht, daß sie immerhin einen eigenen Namen verdienen. K=p²+2pq+q² ist selbstverständlich die Wahrscheinlichkeit für eine beliebige Kombination zweier unabhängiger Ereignisse der Wahrscheinlichkeit p bzw q – und für komplementäre Ereignisse p+q=1 ergibt sich spätestens durch stures Ausrechnen K=1.

    Oder geht es darum, festzulegen, wann diese schlichte Wahrscheinlichkeitsrechnung auf genetische Merkmale von Populationen angewendet werden darf?

  2. #2 Cornelius Courts
    27/10/2011

    @rolak: HWs eigentliche Leistung war, entgegen der damaligen Annahme, daß seltene Allele mit der Zeit aus einer Population verschwinden würden, zu zeigen, daß die Mendelschen Gesetze dieses Phänomen genau nicht vorhersagen.
    Stattdessen formulierten sie den bekannten Zusammenhang, mit dem man bei bekannten Allelfrequenzen die Genotypenhäufigkeiten (und vice versa) berechnen (und graphisch darstellen kann – https://finetti.meb.uni-bonn.de/ ).
    Das HW-Modell ist dabei ein “Null-Modell”, das unter den folgenden, idealisierten Bedingungen zutrifft:
    – diploider Organismus
    – sexuelle Reproduktion
    – nicht überlappende, diskrete Generationen
    – der betrachtete Locus hat zwei Allele
    – Allelfrequenzen sind gleich bei allen Paarungstypen (z.B. Geschlechter)
    – Paarung ist zufällig
    – Gametenvereinigung ist zufällig
    – Populationsgröße ist nahezu unendlich
    – vernachlässigbare Migration
    – keine Mutation
    – keine nat. Selektion
    Trotz all dieser EInschränkungen funktioniert das HW-Modell auch mit “echten” Populationen recht gut (und soll auch gar keine exakte Beschreibung solcher sein). Man vergleicht vielmehr echte Populationen mit dem Null-Modell, um Hypothesen über die evolutiven Einflüsse (wie Selektion, Drift, bottlenecks etc.), die auf die Population einwirken, zu testen.
    Kurz: HW haben gezeigt, daß der Prozess der partikulären Vererbung (nach Mendel) selbst KEINE Veränderung der Allelhäufigkeiten in einer Population bewirken kann. WENN dies also beobachtet wird, muß es auf einen anderen Einfluss zurückzuführen sein. Damit ist praktisch die Populationsgenetik begründet.
    Und Du weißt ja:

    “Nothing in Biology Makes Sense Except in the Light of Evolution” (Theodosius Dobzhansky)

    und

    “nothing in evolution makes sense except in the light of population genetics.”
    (Michael Lynch)

    😉

  3. #3 rolak
    27/10/2011

    Ah danke, damit ist der schon leicht gesunkene Groschen endgültig gefallen.

    Kleiner Gag am Rande: Für den Feuerfuchs mit seinem eigenen Zertifikatspeicher ist die arme Uni Bonn nicht vertrauenswürdig 🙂

    Oh, bevor ich es vergess: “Nothing will make sense if there ain’t one” (Keine Ahnung, ggfs ich 😉

  4. #4 Karl
    29/10/2011

    Ich sollte vielleicht ganz allgemein ausführen, dass Biologen einmal versuchen sollten, ihre Theorien mathematisch zu fassen. Neulich habe ich mal ein Biologie-Lehrbuch (den Alberts, scheint seriös zu sein!) zur Hand genommen und die Mathematik, die ich darin gefunden habe, war wirklich erbärmlich. Sie war nämlich de facto nicht vorhanden!

    Obwohl man konstatieren muss, dass neue systembiologische und bioinformatische Anforderungen dafür zu sorgen scheinen, dass zukünftige Biologengenerationen keine derartigen Mathophoben mehr sein können. Ich hoffe doch sehr, dass sich so langsam auch in der Biologie die Tatsache herumspricht, dass die Mathematik die Sprache der Natur (Galileo) und die Königin ALLER Wissenschaften (Gauß) ist.

    Aber, sehr geehrter Herr Dr. Courts, ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, erwecken Sie mir doch den Eindruck eines klassischen Molekularbiologen und damit eines mathematischen Wenigkönners.

  5. #5 Cornelius Courts
    31/10/2011

    @Karl: obgleich ich zustimme, daß die Mathematik wichtig und bedeutend ist und auch in der Biologie gebraucht und geschätzt wird (und das auch kein einziger Biologe, den ich kenne, in Abrede stellt), scheint mir Ihr mathematischer Narzissmus, traurig gekrönt durch die ernsthafte Verwendung des Gauß-Zitates, darauf hinzuweisen, daß Sie, ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, ein denkerischer Garnichtskönner sind.

  6. #6 Otto von Braackenssieck
    31/10/2011

    ZITAT:”daß Sie, ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, ein denkerischer Garnichtskönner sind.”
    Also sprach der “Wissenschaftler” und “Entnormalisierder” Cor Courts 🙂

  7. #7 Cornelius Courts
    31/10/2011

    Nee, nee, der Otto wieder. Hat vermutlich den ganzen Nachmittag im Heim über dieser Bombe von Spruch gebrütet. Also gut: hast Du fein gemacht, Otto. Bist ein ganz ein Braver.

    Ham’ wir’s dann jetzt?

  8. #8 Claudia
    31/10/2011

    Irgendwie mußte ich spontan daran denken… 😉 https://bit.ly/uQXLLi

  9. #9 Karl
    31/10/2011

    Immerhin können wir darin übereinstimmen, “daß die Mathematik wichtig und bedeutend ist und auch in der Biologie gebraucht und geschätzt wird”.

    Auch muss ich ein großes Lob aussprechen: Der Blog ist ja durchaus interessant und verständlich geschrieben. Ich schaue hier wirklich ganz gern mal ab und zu rein, auch wenn es für meinen Geschmack auch etwas “unblutiger” (s. auch Banner) zur Sache gehen könnte.

  10. #10 Cornelius Courts
    01/11/2011

    @Karl: danke für die Rückmeldung; ich gebe zu, daß einige Posts für manchen Leser etwas heftig sein mögen, doch gehören diese Dinge tatsächlich zum forensichen Alltag und deshalb möchte ich auch darüber berichten. Vielleicht sollte ich aber auch vor solchen Beiträgen eine Warnung anbringen…

  11. #11 Rainer Dynszis
    04/08/2016

    Ich habe soeben entsetzt gelesen: Im Wikipedia-Artikel mit dem Titel “DNA-Reihenuntersuchung” steht wörtlich: “Die erstellten Muster kommen statistisch bei 100.000 Menschen einmal vor, in jeder größeren Stadt also mehrfach.”

    Wie passt das zusammen?

  12. #12 HF(de)
    28/10/2016

    “Wie passt das zusammen?” Würd mich auch interessieren. Hab versucht, das über Wiki rauszufinden, aber das ist mir nicht gelungen. Ev. Methoden, die billiger, aber nicht so aussagekräftig sind?

  13. #13 Cornelius Courts
    28/10/2016

    @HF(de): ” Ev. Methoden, die billiger, aber nicht so aussagekräftig sind?”

    So ist es. Bei den Reihenuntersuchungen geht es ja vor allem darum, die allermeisten Kandidaten auszuschließen und das ist immer leicht möglich. Wenn dann mal bei einem Kandidaten eine vollständige Übereinstimmung beobachtet wird, macht man natürlich noch ein komplettes Profil, um sicherzugehen. So eine Übereinstimmung findet sich dann aber eben nur alle 100.000 Mal, so daß es gut beherrschbar bleibt.

  14. #14 HF(de)
    29/10/2016

    Vielen Dank!