Zusammen mit meinem rechtsmedizinischen Kollegen, der zugleich ein Experte für Wundballistik ist, habe ich ein neues und zusätzliches Projekt begonnen, das ich sehr spannend finde.
Wir wollen erforschen, wieviel und wie intakte DNA man im Lauf einer Feuerwaffe, die für einen aufgesetzten Schuß gegen ein biologisches Ziel eingesetzt worden ist, noch finden kann.


Wenn man an die forensischen Ermittlungen bei Gewaltverbrechen, die mit einer Feuerwaffe begangen wurden, denkt, kommt einem vor allem die Notwendigkeit in den Sinn, den Täter festzustellen, indem man z.B. die Schußwaffe nach Spuren untersucht. Vielleicht finden sich auf Griff oder Abzug ja noch ein paar Hautzellen, mit deren DNA sich beweisen läßt, daß ein Tatverdächtiger die Waffe in der Hand gehabt haben muß. Häufig gelingt das auch und nicht wenige Straftaten ließen sich so bereits aufklären.

Aber was, wenn die Dinge genau anders herum liegen: wenn es eine Waffe und ein Opfer gibt, aber keinen Beweis, daß das Opfer mit eben dieser Waffe verletzt oder getötet wurde. Wenn die Kugel, die das Opfer traf, noch vorhanden und nicht stark beschädigt ist, läßt sich ein solcher Nachweis mit ballistischen Methoden führen, doch das ist nicht immer der Fall und wir haben uns gefragt, ob nicht auch DNA des Opfers an oder in einer Feuerwaffe, mit der es angeschossen wurde, gefunden werden kann. Keinem von uns fiel dazu eine existierende Studie ein und so durchsuchten wir die Literatur und fanden… nichts. Wirklich nichts. Niemand hatte das bisher untersucht. Es gab einige Arbeiten, die DNA-Rückstände auf dem Projektil mit dem Opfer in Verbindung brachten, aber in der Waffe selbst? Fehlanzeige.

Also machten wir uns an die Arbeit, die sich später zu einem zweiarmigen Projekt entwickeln sollte. Vom ersten „Arm” möchte ich heute berichten: da nichts über Ausmaß und Haltbarkeit von biologischen Spuren im Waffenlauf, wie sie bei einem aufgesetzten oder zumindest aus extremer Nähe abgefeuerten Schuß auf ein biologisches Ziel entstehen können, bekannt war, war unser erstes Ziel, den Vorgang des „Rückspritzens” in den Lauf, man nennt das „Backspatter”, zu modellieren, um ihn als erste überhaupt systematisch und quantitativ untersuchen zu können. Dazu konstruierten wir drei recht verschiedene ballistische Modelle, deren Leistungsfähigkeit und Realitätsnähe wir vergleichen wollten.

Unser erstes Modell war ein Block aus ballistischer Gelatine, in den während des Gießvorgangs ein Kunststoffbeutel mit Blut ca. 1 cm und waagerecht unter der Oberfläche eingelassen worden war.

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Unser zweites Modell bestand aus einer schwammartigen Matrix, die wir mit Blut tränkten und dann in eine Kunststoffolie einhüllten (was sich als eine ziemliche Sauerei erwies – daher auch kein Bild :-).
Das dritte Modell war das aufwendigste, denn es war einem echten Kopf nachempfunden, indem eine Halbschale aus Acryl, die den Knochen der Schädelkappe simulieren sollte, mit ballistische Gelatine gefüllt wurde. Vorn und hinten an diesen Modellkopf wurden dann Kunststoffbeutel mit Blut befestigt, indem sie unter einer dünnen Silikonschicht immobilisiert wurden.

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Auf alle Modelle gaben wir mit zehn verschiedenen Waffen, darunter Pistolen, Revolver und Gewehre verschiedener Kaliber, aufgesetzte Schüsse ab. Danach wischten wir vorsichtig mit einer sterilen und DNA-freien Bakteriette das innere einer (z.B. der oberen) Hälfte des Laufes der Waffe von der Vorderseite aus und mit einer weiteren Bakteriette vom Hinterende aus aus. Anschließend feuerten wir einen weiteren Schuß durch die Waffe in einen Kugelfang ab und wiederholten die Auswischprozedur wie beschrieben für die jeweils andere Laufhälfte.
Wir hatten also pro Waffe und Modell vier “Probenarten”:
A) nach dem ersten Schuß, Vorderende
B) nach dem ersten Schuß, Hinterende
C) nach dem zweiten Schuß, Vorderende
D) nach dem zweiten Schuß, Hinterende

Aus dem Blut von den Bakterietten wurde dann DNA extrahiert, quantifiziert und amplifiziert, um mit den angereicherten STR-Systemen ein DNA-Profil erstellen zu können.

Anmerkung: das Blut in allen Modellen stammte von verschiedenen freiwilligen Probanden, deren DNA-Profil wir zusätzlich zuvor aus einer sauberen Speichelprobe erstellt hatten, damit wir es mit dem Profil aus den Blutproben vergleichen und Kontaminationen (mit z.B. unserer eigenen DNA) ausschließen konnten

Die Ergebnisse haben uns geflasht, denn es gelang fast immer und bei allen Modellen, ein vollständiges oder zumindest zur eindeutigen Identifikation einer Person ausreichendes DNA-Profil aus Proben der Art A zu gewinnen, in nicht wenigen Fällen auch bei Proben der Art B. Völlig neu und überraschend aber war, daß wir auch einige positive Ergebnisse für Proben der Art C und sogar D erhielten, was bedeutet, daß selbst durch einen Nachschuß, bei dem die DNA im Lauf für extrem kurze Zeit extrem hoher Temperatur und Druck ausgesetzt ist, eine Spur nicht notwendigerweise zerstört wird und daß biologische Spuren offenbar über die gesamte Länge des Laufes verteilt sein können.

Man muß dabei noch bedenken, daß die Bedingungen bei unseren Modellversuchen deutlich schlechter waren, als man sie in der Realität anträfe, da wir ja jeweils nur den halben Lauf auswischten und die Proben vom Vorder- und Hinterende getrennt bearbeiteten. In einem echten Fall würde man nur eine Probe vom gesamten Lauf nehmen und, jetzt, da wir gezeigt haben, daß ggf. auch am Hinterende eines Waffenlaufs noch Spuren gefunden werden können, dort genommene Proben mit denen vom Vorderende vereinen, so daß für ein STR-Profil viel mehr Spurenmaterial zur Verfügung stünde. Hinzukommt, daß alle unsere Modelle anscheinend das reale Ausmaß des Spurenaufkommens in echten Fällen von aufgesetzten Schüssen sogar unterrepräsentieren, wie wir aus direkten Vergleichen mit solchen Fällen, die wir im Anschluss noch anstellten, ersehen konnten. Insgesamt bedeutet das, daß bei Anwendung unserer Technik in realen Fällen die Erfolgswahrscheinlichkeit für die Erzeugung eines ausreichendes STR-Profils noch deutlich höher läge.

Diese Ergebnisse belegen mithin erstmalig, daß auch das Innere von Schußwaffenläufen eine ergiebige Quelle wichtiger forensischer Evidenz sein kann und legen nahe, solche Untersuchungen in die Routinen der Spurensicherung mit aufzunehmen.

(Übrigens: Unsere Erkenntnisse haben wir im Herbst auf der 90. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin vorgestellt und die erste Publikation ist auch schon erschienen.)
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Referenz:
Courts C, Madea B, & Schyma C (2011). Persistence of biological traces in gun barrels-an approach to an experimental model. International journal of legal medicine PMID: 22160245

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Kommentare (16)

  1. #1 Jan von nebenan
    06/01/2012

    Hm, ich glaube du hast einen ziemlich coolen Job 😉

    Was ist eigentlich, wenn sich im Lauf der Waffe verschiedene DNA-Spuren finden? Also in eurem Experiment der zweite Schuss nicht in den Kugelfang, sondern in ein Modell mit anderer DNA gegangen wäre? Lässt sich das dann immer noch eindeutig zuordnen?

  2. #2 JPeelen
    06/01/2012

    Brilliante Idee! Meinen Glückwunsch. Man könnte eine Tatwaffe also auch dann identifizieren, wenn man das das Tatgeschoss nicht hat.
    Ich hätte es für unmöglich gehalten, dass auch nach einem weiteren Schuss “ins Blaue” noch auswertbare DNA-Spuren im(!) Lauf zu finden sind. Nicht Temperatur und Druck sehe ich als Hindernis, sondern das “Auswischen” durch das mit Gewalt durch den Lauf getriebene Folgegeschoss.
    Mit welchem Kaliber/Geschossart wurde die Versuche gemacht?

  3. #3 BreitSide
    06/01/2012

    Alles klar, Herr Kommissar!

    Auch ich hätte nie gedacht, dass ein zweiter Schuss den Lauf nicht reinigt.

    Muss also der Schurke den Lauf nachher ordentlich mit Bleiche reinigen für den perfekten Mord….

    Mal im Ernst: so eine Möglichkeit ist bisher noch nicht genutzt worden?!? Ok, ich wäre jetzt auch nicht drauf gekommen, bin aber auch nicht in der Branche. Aber das Zurückspritzen nach dem Einschlag eines Projektils in eine Flüssigkeit ist ja eigentlich jedem Arschbomber bestens bekannt. Bloß vielleicht nicht direkt senkrecht gegen die Schussrichtung.

    Auf jeden Fall: große Ver/Bewunderung und weiterhin viel Erfolg!

  4. #4 Ulrich Berger
    06/01/2012

    Faszinierend! Das nenne ich Wissenschaft in Aktion, sehr schöne Idee!

  5. #5 ma_il
    07/01/2012

    Gratulation! Das ist wirklich interessant! Wie wuerde sich denn eine Reinigung des Laufs mit Waffenoel auf die Auffindbarkeit (oder Verwendbarkeit?) der DNA auswirken?
    Und auch wenn ich denke, dass aufgesetzte Schuesse nicht allzu oft vorkommen, ist ja das schoene daran: schon eine einzige erfolgreiche Anwendung euer Ergebnisse kann reichen, um einen Verbrecher zu ueberfuehren!

  6. #6 Ludger
    07/01/2012

    Sehr gut! Jetzt gehts weiter: DNA-Spuren vom Opfer im Lauf der Waffe bei Schießabstand von 0,1Meter schrittweise bis 2 Meter?

  7. #7 Cornelius Courts
    07/01/2012

    Danke allen für das Feedback, ich werde nun versuchen, die aufgelaufenen Fragen zu beantworten:
    – “Was ist eigentlich, wenn sich im Lauf der Waffe verschiedene DNA-Spuren finden?[…] Lässt sich das dann immer noch eindeutig zuordnen?”

    Dann liegt eine so genannte Mischspur vor. Das kann sehr problematisch sein, muß es aber nicht und hängt stark von der Qualität der DNA und dem Mischungsverhältnis ab. Die Auswertung von Mischspuren gehört zu den schwierigsten Aufgaben in der forens. Genetik, aber sie ist lösbar und nicht selten kann man auch Mischspuren vollständig auflösen (das ist z.B. immer eine Aufgabe der jährlichen GEDNAP-Ringversuche, an denen wir teilnehmen)

    – “Nicht Temperatur und Druck sehe ich als Hindernis, sondern das “Auswischen” durch das mit Gewalt durch den Lauf getriebene Folgegeschoss.”

    Stimmt, das dachten wir vorher auch. Generell hielten wir die physikalischen Bedingungen im Lauf, also die Kombination aus thermischer, mechanischer und auch chemischer Belastung für mehr, als die DNA verkraften kann…doch siehe da….

    – “Mit welchem Kaliber/Geschossart wurde die Versuche gemacht?”

    Verschiedene. Darunter wadcutter, round nose, LR, 38er, KK, 9 mm, etc.

    – “Mal im Ernst: so eine Möglichkeit ist bisher noch nicht genutzt worden?!?”

    Offenbar nicht. Und genau das macht die Rechtsmedizin auch für die forensische Forschung als Institution so wertvoll, denn hier treffen sich z.B. Ballistiker und Genetiker in einem Forschungsumfeld und können solche transdiziplinären Projekte bearbeiten. Und das muß erhalten bleiben ( https://www.scienceblogs.de/bloodnacid/2011/04/ein-paradies-fur-morder.php )!

    “Wie wuerde sich denn eine Reinigung des Laufs mit Waffenoel auf die Auffindbarkeit (oder Verwendbarkeit?) der DNA auswirken?”

    Dazu werde ich jetzt nicht zuviel verraten 😉 – Nur soviel: die Standard-Reinigung reicht nicht aus.

    – “Und auch wenn ich denke, dass aufgesetzte Schuesse nicht allzu oft vorkommen, ist ja das schoene daran: schon eine einzige erfolgreiche Anwendung euer Ergebnisse kann reichen, um einen Verbrecher zu ueberfuehren!”

    So selten sind diese Schüsse gar nicht, insbesondere bei Suiziden kommen sie fast immer vor und auch für diese Szenarien ist unsere Methode nützlich. Und als kleiner Cliffhanger für den Folgeartikel über den zweiten Arm dieses Projekts, den ich beizeiten noch nachlegen werde: man darf sich diese Methode durchaus auch “rückwirkend” vorstellen….

    – “DNA-Spuren vom Opfer im Lauf der Waffe bei Schießabstand von 0,1Meter schrittweise bis 2 Meter?”

    Läuft! 😉

  8. #8 roel
    07/01/2012

    @Cornelius Courts

    “”Mal im Ernst: so eine Möglichkeit ist bisher noch nicht genutzt worden?!?”

    Offenbar nicht. Und genau das macht die Rechtsmedizin auch für die forensische Forschung als Institution so wertvoll, denn hier treffen sich z.B. Ballistiker und Genetiker in einem Forschungsumfeld und können solche transdiziplinären Projekte bearbeiten. Und das muß erhalten bleiben ( https://www.scienceblogs.de/bloodnacid/2011/04/ein-paradies-fur-morder.php )!”

    Dialog und Austausch sind immer sehr wichtig, gemeinsam kann das geschafft werden, was die einzelnen Teilnehmer alleine niemals realisieren könnten. Aber ab und zu komme ich dann doch ins Grübeln. Das die Tatwaffen bisher nicht gründlich untersucht worden sind habe ich mir nicht vorstellen können.

  9. #9 Bullet
    09/01/2012

    Das hängt davon ab, was bisher als “gründlich” galt …

  10. #10 roel
    09/01/2012

    @bullet Gründlich immer nach derzeitigem Stand der Technik. Genetischer-Fingerabdruck ab ca. 1988 in Deutschland. Es ehrt ja das Autorentrio, dass sie das jetzt veröffentlichen, aber dass über 20 Jahre niemand daran gedacht hat ist unfassbar. Wer schon mal mit Schusswaffen umgegangen ist und diese später gereinigt hat, weiß wo sie/er nach Spuren suchen kann.

  11. #11 Cornelius Courts
    09/01/2012

    natürlich haben Leute dran gedacht und es ist bestimmt auch versucht worden, nur ist es eben, bis heute, nicht gelungen. Und die mißlungenen Versuche wurden natürlich nicht veröffentlicht.
    Mit der Technik aus den 80ern z.B. hätte das niemals geklappt.

  12. #12 s.s.t.
    09/01/2012

    @roel

    Die Technik der 90iger unterscheidet sich erheblich von der heutigen. Nicht zuletzt deshalb werden in der jetzigen Zeit regelmäßig ‘Uralt-Morde’ aufgeklärt.

  13. #13 roel
    09/01/2012

    @s.s.t. das ist schon klar, die Entwicklung geht weiter, die Spuren, die verwertbar sind, werden immer kleiner. Wenn es schon nicht mehr reicht die Waffe mit Öl zu reinigen, um die letzten Spuren zu beseitigen und man zusätzlich noch mit Zitronensäure (?) durchspülen muß, spricht das schon Bände.

  14. #14 s.s.t.
    10/01/2012

    Morgen (Mi., 11.1.) zeigt ARD um 22:45 Uhr

    Tatort Hamburg: Unterwegs mit der Mordkommision

    Wird wohl kaum etwas mit DNA zu tun haben, könnte aber ein paar Einblicke in die Spurensicherung bei einigen Mordfällen geben, wohl auch inkl. 3D-Tatortrekonstruktion.

  15. #15 Peter Ofenbäck
    17/01/2012

    Warum wurden die Testziele in dieser Weise konstruiert? Hätte man nicht auch z.B. auf einen frischen Schweineschenkel schießen können? Wäre dessen Struktur dem menschlichen Körper nicht ähnlicher?

  16. #16 Cornelius Courts
    19/01/2012

    @Peter Ofenbäck: da spielen mehrere Aspekte eine Rolle:
    – man kann einen Schweineschenkel nicht standardisieren und für unsere Experimente war es wichtig, immer die gleichen Bedingungen für jeden Schuss zu haben, um den Einfluss von Waffentyp, Munition und Kaliber messen zu können
    – wir benötigen menschliches Blut und menschliche DNA, um prüfen zu können, inwiefern aus Schusswaffen gewonnene DNA noch zur Identifikation taugt. Es gibt zwar irgendwo auch Literatur zu Schweine-STR-PCRs, aber damit wollten wir gar nicht erst anfangen
    – Schweineschenkel sind nicht gerade günstig 😉

    es gibt aber durchaus Schuß-Experimente, die an Schweinekadavern durchgeführt werden und wir sind gerade dabei, so etwas zu planen. Wenn es geklappt hat, werde ich hier davon berichten…