Wie zuvor angekündigt, gibt es hier nun den Bericht zum zweiten Teil unserer „Zwillingsstudie” über die Analyse von DNA von Opfern von Schußwaffendelikten.

Die Frage, das forensische Problem, das uns umtrieb, war ja, was zu tun ist, wenn nicht der Täter, sondern das Opfer eines Schusswaffendelikts fraglich ist, also

wenn es eine Waffe und ein Opfer gibt, aber keinen Beweis, daß das Opfer mit eben dieser Waffe verletzt oder getötet wurde. Wenn die Kugel, die das Opfer traf, noch vorhanden und nicht stark beschädigt ist, läßt sich ein solcher Nachweis mit ballistischen Methoden führen, doch das ist nicht immer der Fall und wir haben uns gefragt, ob nicht auch DNA des Opfers an oder in einer Feuerwaffe, mit der es angeschossen wurde, gefunden werden kann.

Die Ergebnisse der Modellstudie hatten sich ja als sehr ermutigend erwiesen und so hatten wir begonnen, parallel dazu mit unserer Methode auch eine Reihe echter Schußwaffendelikte, deren Opfer an unserem Institut obduziert wurden, zu analysieren. Die Ergebnisse dieses „zweiten Arms” des Projekts liegen nun (auch offiziell, s.u.) vor und… sind sogar noch besser, als die Modellversuche 🙂

Aber der Reihe nach: insgesamt haben wir 20 „echte” Fälle in die Studie einbezogen, davon 19 Suizide und 1 Tötungsdelikt. Alle Fälle wurden an unserem Institut obduziert und in allen Fällen konnte autoptisch oder bereits durch die äußere Leichenschau (woran man mal wieder sieht, wie wichtig es ist, daß Profis die Leichenschau durchführen) die Abgabe eines aufgesetzten Schusses bestätigt werden. In 17 Fällen gelang zudem eine Schußrückstand-Analyse der Schußhand (ein Spezialgebiet meines rechtsmedizinischen Kollegen), wodurch zusätzliche Erkenntnisse über den Ablauf des Schußvorgangs gewonnen werden können.
Was die Sache ein wenig verkompliziert hat, war, daß wir die beteiligten Schußwaffen nicht immer sofort erhielten und zum Teil bereits ballistische Untersuchungen daran durchgeführt worden waren, bevor man sie uns aushändigte. Das „Angebot” an Waffen war jedenfalls buntgemischt und bisweilen sah es im Büro des Kollegen nicht ganz so aus, als arbeite dort ein überzeugter Pazifist: wir untersuchten Pistolen und Revolver verschiedener Kaliber, darunter eine martialische .357-Magnum, aber auch Gewehre und sogar Schrotflinten (sog. „shotguns”).

Methodisch gingen wir fast identisch vor, wie hier schon beschrieben: Sobald wir die Waffe erhielten, säuberten wir sehr gründlich die Waffenmündung, um uns keine Kontaminationen einzuhandeln (z.B. durch Leute, die die Waffe vorher angefasst hatten). Dann wischten wir vorsichtig mit einer sterilen und DNA-freien Bakteriette das innere einer (z.B. der oberen) Hälfte des Laufes der Waffe von der Vorderseite aus und mit einer weiteren Bakteriette vom Hinterende aus aus.
Diese „geteilte” Auswischung, das hatten wir bei unseren Modellen gelernt, war notwendig, um noch etwas von der Spur für die Probennahme nach dem Nachschuß übrig zu lassen. Anschließend feuerten wir mit Munition, wie sie bei der Tat eingesetzt worden war, einen weiteren Schuß durch die Waffe in einen Kugelfang ab und wiederholten die Auswischprozedur wie beschrieben für die jeweils andere Laufhälfte.

Wir hatten also pro Waffe und Modell wieder vier “Probenarten”:
A) nach dem ersten Schuß, Vorderende
B) nach dem ersten Schuß, Hinterende
C) nach dem zweiten Schuß, Vorderende
D) nach dem zweiten Schuß, Hinterende

Aus dem Blut von den Bakterietten wurde dann DNA extrahiert, quantifiziert und amplifiziert, um mit den angereicherten STR-Systemen ein DNA-Profil erstellen zu können. Die Identifikation des Opfers gelang durch einen Vergleich des Profils aus der Waffe mit dem des Opfers, das wir jeweils unabhängig davon erstellt hatten. Ab 8 (von insgesamt 20 untersuchten) auswertbaren STR-Systemen aus der Waffen-DNA, die mit denen des Opfers übereinstimmen mußten, werteten wir dies als „identifiziert”.

Bei einigen Waffen, noch vor der ersten Auswischung, sahen wir uns das Innere des Laufs mit einem ballistischen Endoskop an, um zu prüfen, ob makroskopisch sichtbare Anlagerungen biologischen Materials vorhanden seien und ob sich bei deren Verteilung ein Muster erkennen lasse.

lauf innen.jpg

 

 

 

 

 

 

 

 

Wie man auf dem Beispiel im Bild, das zwei Innenansichten aus dem Lauf einer Schrotflinte zeigt, sieht, sind dort teilweise sogar recht grobe Spurenanteile zu finden, die ein gutes Ergebnis bei der DNA-Analyse versprechen. Nach unseren Modellversuchen hatten wir erwartet, auch in realen Fällen DNA in Feuerwaffenläufen nach Schüssen auf biologische Ziele zu finden. Allerdings übertrafen unsere Ergebnisse unsere Erwartungen noch bei weitem, denn nach dem ersten Schuß gelang eine Identifikation mit Proben vom Vorder- (A) bzw. Hinterende (B) in 89% bzw. 59% und zusammengenommen (A+B) 95% der Fälle! Und selbst nach dem zweiten Schuß (= Nachschuß) konnten wir aus den Proben vom Vorder- (C) bzw. Hinterende (D) in 56% bzw. 50% und zusammengenommen (C+D) 63% der Fälle das Opfer noch identifizieren. Da im Realfall ja eine Vierteilung der Proben nicht stattfinden würde, man würde stattdessen immer den ganzen Lauf, nicht nur eine Hälfte, auswischen und die Proben vom Vorder- und Hinterende vereinigen, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit unseres Verfahrens in solchen Fällen sogar noch höher.

Dergestalt ermutigt, besorgten wir uns eine Waffe, die ein Asservat aus einem „cold case”, also einem Fall, an dem nicht mehr aktiv gearbeitet wird, war und die sich bereits seit 10 Jahren in Polizeigewahrsam befand. Wir analysierten sie mit unserer Methode und erhielten ein ausgezeichnetes DNA-Profil, das zur Identifikation des Opfers geeignet war. Insgesamt bestätigen diese Befunde, was die ballistischen Modelle schon andeuteten, daß sich nämlich nach aufgesetzten Schüssen DNA im Lauf von Feuerwaffen finden läßt, sie dort auch hartnäckig persistiert und selbst nach Jahren noch für Profiling-Zwecke tauglich sein kann.
Wir haben mit unserer Arbeit eine praxisfähige Methode vorgelegt, um solche DNA-Spuren der forensischen Analytik zugänglich zu machen und werden für ihre routinemäßige Anwendung noch konkrete Empfehlungen für Spurensicherer und Erkennungsdienstler formulieren.

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Referenz:

Schyma C, Madea B, & Courts C (2012). Persistence of biological traces in gun barrels after fatal contact shots. Forensic science international. Genetics PMID: 22683116

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Kommentare (7)

  1. #1 Claudia
    25/06/2012

    Sehr, sehr, sehr cool! 🙂 Und schöner Artikel. Jetzt nur noch auf das Bild warten. Aber sonst, wie immer: Daumen hoch!

  2. #2 rolak
    25/06/2012

    Die Kombination von Waffentechnik und friemeliger Spuren- und Methodensuche ist auch für mich ungemein spannend. Daumen hoch? Da gabs doch was? Ahja:

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  3. #3 Cornelius Courts
    25/06/2012

    @rolak: Danke! Voll oldschool! 🙂

  4. #4 JPeelen
    25/06/2012

    Eine Supersache. Herzlichen Glückwunsch.

  5. #5 Cornelius Courts
    26/06/2012

    @Claudia und @JPeelen: vielen Dank 🙂

  6. #6 Cornelius Courts
    03/07/2012

    So, dank der Hilfe von Jürgen (die Blogsoftware ist immer noch im …äh…kaputt) konnte ich jetzt wenigstens das fehlende Bild nachlegen…

  7. #7 Nicki Shodunke
    29/02/2016

    Indeed valuable entry. I would recommend.

    https://www.mazda-forum.info/members/67209/jogobella.html