Hier nun der bereits viel nachgefragte zweite Teil des Gastbeitrags von Claudia Graneis, der seinen Schwerpunkt bei der durch die homöopathische Industrie betriebenen Lobbyarbeit und deren Einfluss auf das politische Wirken hat. Herzlichen Dank an die Autorin.
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„… die Kundin wollte ein homöopathisches Mittel haben. Ich habe sie aufklärt und gefragt, ob sie denn wisse, daß da kein Wirkstoff drin sei. Das wusste sie nicht. Später habe ich großen Ärger vom Chef bekommen, deswegen.“
Das Zitat, mit dem der zweite Teil des Artikels über die Infiltration der Pharmazie durch die Homöopathie beginnt, stammt von einem Kommilitonen, den ich vor einigen Wochen wieder traf, als das Semester startete.
Andere hatten ähnliche Geschichten zu erzählen: einer mußte in der Rezeptur vom Heilpraktiker verschriebene „Super Tuning Essenzen“ herstellen, die pro Fläschchen mehrere Dutzend Euro kosten. Anthroposophische Arzneimittel, welche nur in Flaschen mit blauen Verschlüssen abgegeben und nur mit Etiketten schwingungsharmonischer Farben versehen werden durften, mußten verkauft werden. Bachblüten durften auf Kundenbitte hin nicht gescannt werden an der Kasse (das zerstöre die Schwingungen der Blütenessenzen). Und es wurden Rezepte für anthroposophische Nasentropfen ausgestellt. Das war eine Flüssigkeit, die aus mehreren homöopathischen Essenzen bestand – und in die zusätzlich noch eine komplette Packung eines bekannten, wirksamen Nasensprays (Handelspreis ca. fünf Euro) gemischt wurde. Natürlich wirkt die Mixtur und kostet ungefähr 20 Euro.
Der Irrsinn hört nicht auf.
Apotheken verdienen an gewöhnlichen Arzneimitteln nicht viel; ca. acht Euro pro Rezept. Ohne esoterische „Arznei“mittel zu verkaufen, kann sich eine Apotheke heute kaum noch halten – so die Angaben vieler Pharmazeuten dazu. Die Nachfrage der Kunden jedenfalls ist da. Und der Rückhalt aus der Politik auch. Die Gründe hierfür möchte ich in diesem Artikel etwas genauer untersuchen.
Aus dem vorangegangenen Beitrag ist schon bekannt, daß unser Bundesministerium für Gesundheit dem Einzug der Homöopathie sowohl in den Apotheken (mit der verpflichtenden Einführung eines Homöopathischen Arzneibuchs) als auch in den Universitäten (mit der Aufführung homöopathischer Lehren im staatsexamensrelevanten Gegenstandskatalog) eifrig Vorschub geleistet hat. In einem Brief an das Gesundheitsministerium versuchte ich, herauszufinden, wie das geschehen konnte und welche politische Haltung dem zugrunde liegt. Es folgt die Anfrage, die ich an das Ministerium übermittelte:
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Claudia Graneis und ich studiere Pharmazie. Im Laufe meines Studiums bin ich schon einige Male auf Lehrplaninhalte zum Thema Homöopathie gestoßen und habe auch erfahren, daß es in Deutschland ein Homöopathisches Arzneibuch gibt. Dazu habe ich einige Fragen.
Die Homöopathie wurde vor 200 Jahren von Samuel Hahnemann (auf Grundlage eines missglückten Experiments) erfunden und ist seitdem ihren WIrksamkeitsnachweis schuldig geblieben. Es gibt keine replizierbaren wissenschaftlichen Ergebnisse aus guten klinischen Studien (also doppelt verblindet, randomisiert und placebokontrolliert), die jemals (!) den Nutzen der Homöopathie dargelegt hätten. Auch gemäß Cochrane-Review hat Homöopathie niemals besser abgeschnitten als das Placebopräparat.
Auch die wissenschaftlichen Grundlagen, auf welche sich die Homöopathie beruft, sind nicht haltbar: das Gedächtnis des Wassers, zum Beispiel. Wenn ein solcher “molekularer Imprint” je hinterlassen wird (wobei das bei mitunter riesigen Molekülen im Gegensatz zu winzigen Wassermolekülen ohnehin schwierig würde), so dauert er nur wenige Femtosekunden an und kann demnach keinen therapeutischen Effekt haben.
Ähnlich gut belegt sind die im HAB aufgeführten Techniken der Spagyrik (die sich ja als moderne Form der Alchemie versteht) und der Anthroposophischen Medizin (mit ihrer Lehre vom Astral-, Äther-,… etc. Leib).Die erste Frage lautet nun also: wieso steht die Homöopathie im Gegenstandskatalog der IMPP, der ja vom BMG über die Approbationsordnung für Apotheker festgelegt wird? Wieso muß ich als Pharmaziestudentin etwas über das angebliche Wassergedächtnis und die wissenschaftlich unhaltbaren, esoterischen Theorien Hahnemanns lernen (immerhin handelt es sich ja um einen naturwissenschaftlichen Studiengang)?
Zweitens, wieso gibt es in Deutschland ein Homöopathisches Arzneibuch, das ja auch vom BMG herausgegeben wird, mit Inhalten, die sich sogar auf Spagyrik und Anthroposophie ausweiten? Das alles ist nicht im geringsten mit Evidenz belegt und ins Reich der Esoterik einzuordnen.
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