Nachdem im Laufe des Telefonats immer klarer wurde, daß mein Gesprächspartner offenbar Opfer intensiver Zuckerkügelchen-Lobbyarbeit geworden war, recherchierte ich ein wenig hierzu. Und ich wurde fündig: „mein“ Bundestagsabgeordneter hatte, als die Änderung des AMG zu Ungunsten der homöopathischen Industrie im Jahre 2009 anstand, das Firmengelände der DHU besucht und einen Monat später war der Satz, welcher den betroffenen Firmen ein Dorn im Auge gewesen war, aus der Gesetzesnovelle verschwunden. Eine Pressemitteilung der DHU (s. Buch „Die Homöopathie-Lüge“, S. 196) macht explizit diesen Besuch dafür (mit)verantwortlich.
Danach wunderten mich die oben angeführten Aussagen nicht mehr so sehr…
Die Homöopathie floriert also in Deutschland und macht auch vor Politik und Bildungswesen nicht Halt. Vor wenigen Tagen bekam ich von der Fachschaft meiner Uni das Angebot, Lernkartenspiele zu bestellen. Ich wurde gefragt, ob ich ein „Pharmatett“, also eines von sechs Pharmakologie-Quartett-Spielen, oder ein “Homöotett”, eines von dreien zur Esoterik, haben wolle. Kein Smiley, kein Hinweis auf Humbug, einfach eine Anfrage (das Schreiben des Verlags an die Fachschaft füge ich als Bild ein).
Es stellt sich die Frage, wie man diesem Treiben Einhalt gebieten könnte. Vor allem für Apotheker sehe ich Schwierigkeiten bei der Frage, wie man Patienten, Bezug nehmend auf das Eingangszitat, korrekt beraten kann. Einem Patienten zu sagen, ein homöopathisches Mittel helfe gegen Symptom X wäre nicht die Wahrheit, und einen Patienten zu belügen, ob aus Profitgier oder nur, um den Placeboeffekt zu generieren, halte ich für medizinethisch bedenklich, wenn nicht gar unzulässig.
Kann man auf Bundesebene intervenieren? Mich erreichten einige Bitten darum, eine entsprechende Petition einzureichen, auch um die ewigen „Extrawürste“ für die homöopathische Industrie einzudämmen. Ich bitte um Ideen, Meinungen und Anregungen dazu in den Kommentaren.
Und schließlich – was kann man auf der Arzt-Patient-Ebene, was an der Uni tun? Ich habe dazu folgende Vorschläge:
1) Homöopathika erst ab dem Alter von 18 Jahren „verordnen“ und verkaufen. So kann man versuchen, Kinder davor zu schützen, im unmündigen Alter wirkungslosen Zuckerkügelchen statt richtiger Medizin auszusetzen. Was Eltern mit ihren Kindern zuhause machen, entzieht sich weitgehend der Kontrolle, aber vielleicht hemmt es ein wenig…
2) Globuli und Co. erst nach ärztlichem Beratungsgespräch über die wissenschaftlichen Grundlagen dieser Irrlehre: die meisten Menschen wissen nämlich gar nicht, daß ein esoterischer Ansatz ohne wissenschaftliches Fundament dahintersteht.
3) Zuckerkügelchen im Studium: nur nach dem „Know your enemy“-Prinzip. Kritische Betrachtungen, kein Appeasement, kein „both sides“ – denn es ist hier genausowenig angebracht wie in der Kreationismus-Debatte.
Daß das Gesundheitssystem in Deutschland krankt und Ärzte oftmals unter bürokratischer Arbeit fast ersticken, dürften offensichtliche und große Faktoren in diesem Sachverhalt sein. Wo ein Arzt zehn Minuten Zeit hat für einen Schmerzpatienten und sich ein Homöopath eine Stunde nimmt, geht der Vertrauens- und damit der Placebobonus oft an letzteren. Hier liegt, neben öffentlicher Aufklärung, sicherlich die eigentliche Arbeit. Dazu passend antwortete mir mein Vater, Dr. Rainer Graneis, der selbst Arzt (und kein Freund der Homöopathie) ist, auf meinen vorangegangenen Artikel mit folgendem Satz, der gleichzeitig auch den Blogbeitrag beschließen soll:
„Der Erfolg der gesamten Homöopathie hat sicher auch mit Zuwendung zu tun, und wir sollten uns im Klaren sein, dass Kranke immer in einer besonderen Situation sind und sich nicht immer rational verhalten. Und andererseits unsere Rolle immer hinterfragen: ob wir diese Zuwendung auch in dem Maße bringen, wie sie benötigt wird.“
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Quellen (abgesehen von den universitären):
- Homöopathisches Arzneibuch
- Gegenstandskatalog des IMPP
- Weymayr/Heißmann: Die Homöopathie-Lüge. So gefährlich ist die Lehre von den weißen Kügelchen. – Piper, 2012
- Homepages der jeweiligen Unternehmen und Verbände
- Psiram.com
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Ganz zum Schluß noch ein paar Bemerkungen von mir:
Die Einflussnahme der Homöopathielobby auf die Hebammen finde ich persönlich zu gleichen Teilen kaufmännisch gewitzt wie perfide. Der rationalistische Widerstand gegen esoterische und nicht wirklichkeitsbasierte Konzepte dieser (leider noch häufig) Nicht-Akademikerinnen ohne wissenschaftliche Ausbildung fällt offenbar (noch) geringer aus, als der vieler Ärzte. Zudem werden Hebammen viel schlechter bezahlt und sind daher mit preiswerteren “Zuwendungen” milde und aufnahmebereit zu stimmen, als so mancher kreuzfahrtverwöhnte Mediziner. Das macht Hebammen, die im Laufe ihrer Karriere sehr viele Schwangere betreuen, zu idealen Multiplikatorinnen, die so früh den Keim für eine lebenslange Homöopathie- und häufig allgemeine Esoterikgläubigkeit säen können. Denn die Perfidie wird offenbar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß dabei das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Hebamme und werdender Mutter, deren akute Unerfahrenheit, Beratungs- und Betreuungsbedarf und mithin die dadurch begründete profunde Vulnerabilität für derartige Beeinflussung gnadenlos ausgenutzt wird. In den meisten Fällen verlaufen die Geburten problemlos, was dann natürlich, statt gut ausgebildetem Personal und moderner medizinischer Ausstattung der guten Homöopathie zugeschrieben wird. Beim nächsten Kind wird eine solchermaßen “geprimte” Mutter häufig wie selbstverständlich wieder auf Homöopathie zurückgreifen, solche Praktiken anderen Müttern empfehlen (mit n=1 = sie selber) und sollte sie eine andere Hebamme haben, sogar von sich aus verlangen und ggf. soweit gehen, eine Hebamme abzulehnen, wenn diese keine Homöopathie und anderen Zauberklimbim anbietet. Damit schließt sich dann der Kreis aus sich gegenseitig bedingenden Angebot und Nachfrage, indem Hebammen, selbst im Falle, da sie selbst über die Unwirksamkeit solcher Verfahren informiert sind, sie dennoch anbieten müssen, wenn sie keine Patientinnen verlieren wollen (ganz analog zum Dilemma vieler rationaler aber auch betriebswirtschaftlich denkender Apotheker). Ein sich selbst erhaltendes und sogar verstärkendes System, das für immer mehr und letztlich sogar tradierte Nachfrage sorgt. Chapeau!
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