Phase II: Jetzt mußten wir überprüfen, ob sich überhaupt auswertbare RNA im durch Schüsse erzeugten und ins Innere der Waffe geschleuderten Backspatter befindet. Dazu konstruierten wir ein experimentelles, ballistisches Modell.
Die Abbildung zeigt unser Modell. Es besteht aus einer PET-Flasche, die mit ballistischer Gelatine einer bestimmten Konzentration gefüllt ist. Darauf geklebt ist ein Kunststoffbeutel, der entweder mit Blut oder einer Mischung aus Blut und Hirngewebe gefüllt wurde. Das ganze wurde dann, zur Simulation der Kopfschwarte, noch mit Silikonfolie in einer bestimmten Schichtdicke umwickelt.
Auf diese Konstruktionen, die wir jeweils möglichst gleichförmig herstellten, gaben wir dann Schüsse aus je zwei Waffentypen und mit je zwei Arten von Munition ab:
Nach jedem Schuß entnahmen wir Proben aus dem Inneren der Waffe und reinigten sie anschließend gründlichst. Aus dem entnommenen Probenmaterial wurden dann in einem integrierten Verfahren (sogenannte Ko-Exktraktion) RNA und DNA extrahiert. Die DNA verwendeten wir, um daraus forensische Standard-DNA-Profile zu erzeugen, die der Identifikation eines Menschen, hier des Opfers, dienen. Die RNA untersuchten wir auf das Vorhandensein unserer drei Kandidaten mit der gleichen Methode wie schon in Phase I (qPCR), um einen Nachweis von Hirngewebe zu führen.
Die Ergebnisse waren sehr ermutigend: zunächst erhielten für jede untersuchte Probe ein perfektes DNA-Profil. Das bestätigte unsere vorherigen Arbeiten [4,5] und wir wären also in der Lage gewesen, ein hypothetisches Opfer anhand dieser Spuren aus dem Waffeninneren zu identifizieren. Aber auch der RNA-Nachweis gelang. Wir konnten zwar zum Teil nur sehr wenig RNA aus den einzelnen Proben gewinnen, aber in allen Fällen, in denen wir ausreichend RNA hatten, gelang die korrekte Zuordnung der Probe (Hirngewebe vorhanden bzw. nicht vorhanden) anhand der Cq-Werte für die Kandidaten. Es zeigte sich allerdings, daß die mRNA dabei deutlich hinter den beiden miRNAs zurückstand, da sie in einigen Proben nicht nachweisbar war. Das läßt auf eine höhere Empfindlichkeit der mRNA gegen Degradation schließen und bestätigt damit die (auch meinem anderen Projekt zugrundeliegende) Annahme, daß die kürzeren und stabileren miRNAs grundsätzlich besser für forensische Analysen geeignet sind als mRNA.
Phase III: Nun war es an der Zeit, die Methode einem Realitätscheck zu unterziehen. Wir sammelten Proben aus dem Inneren von Waffen, die in insgesamt 8 Fällen von Suizid durch Kopfschuß (hiervon zeige ich keine Bilder) zum Einsatz gekommen waren und isolierten daraus und analysierten wieder RNA und DNA. Es muß hier erwähnt werden, daß die Waffen, bevor wir Proben daraus nehmen konnten, zwischen 44 und 259 (im Mittel 153) Tage gelagert worden waren und grundsätzlich gilt: je länger die Lagerung, desto schlechter für das Spurenmaterial.
In der Tat war die Ausbeute an DNA und RNA auch deutlich geringer als bei den experimentellen, frischen Proben und in drei Fällen konnte überhaupt keine meßbare RNA mehr gewonnen werden. Dennoch gelang es uns, in 5 von 8 Fällen für eine Opfer-Identifikation ausreichende DNA-Profile zu erstellen und in den 5 von 8 Fällen, in denen RNA vorhanden war, eine Aussage zum Vorhandensein von Hirngewebe in der Spur zu treffen (in nur einem Fall konnten wir Hirngewebe nachweisen). Alle acht Schüsse waren Schüsse zum Kopf gewesen, allerdings waren drei davon unter dem Kinn bzw. im Mund angesetzt worden, wo aus anatomischen Gründen keine Spritzer von Hirngewebe erwartet werden und auch nicht nachgewiesen werden konnten. Der positive Nachweis gelang bei einem Schuß in die Stirn, ein anderer Stirnschuß erbrachte hingegen keinen Nachweis von Hirngewebe.
An dieser Stelle wird die Einschränkung bei der Verwendung dieser Methode ersichtlich: ein Kopfschuß erzeugt nicht notwendig Backspatter, der auch tatsächlich Hirngewebe enthält. Die Methode weist aber nur Hirngewebe nach, sie kann also falsch-negative Ergebnisse erzeugen, wenn sie kein Hirngewebe nachweist, aber sich dennoch ein Kopfschuß ereignet hat. Das ist zwar nicht ideal aber aus forensischer Sicht akzeptabler als falsch-positive Ergebnisse, die möglicherweise einen Angeklagten zu Unrecht belasten würden.
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