Eines meiner Forschungsprojekte, das ich zusammen mit einem geschätzten Kollegen (Rechtsmediziner und Wundballistiker) aus Bern und einer meiner beiden Doktorandinnen bearbeite, befasst sich mit der Entstehung von Spuren nach Schußwaffengebrauch. Seit letztem Jahr wird dieses Projekt zur molekularen Ballistik von der DFG gefördert und ich habe hier auch schon einige Male darüber berichtet (die verlinkten Artikel können auch zur Vorbereitung auf bzw. zum besseren Verständnis des folgenden Berichts dienlich sein).
Bisher hatten sich unsere Anstrengungen nur auf die DNA aus dem Waffeninneren konzentriert. Wir konnten zeigen, daß Opfer-DNA durch Backspatter ins Innere von Schußwaffen gelangen und dort erhalten bleiben, auch Nachschüsse und lange Lagerzeiten überstehen und die Waffe sozusagen ein DNA-Gedächtnis ausbilden kann: sie „erinnert“ sich, wer mit ihr erschossen wurde. Diese Erkenntnisse konnten wir inzwischen sogar schon bei den Ermittlungen zu einem prominenten Mehrfachmord zur Anwendung bringen.
Wer sich aber an meinen anderen Forschungsschwerpunkt erinnert, wird nicht verwundert sein, daß ich mich irgendwann zu fragen begann, ob die Spuren im Waffeninneren nicht auch noch auswertbare RNA enthalten könnten. Zusammen mit einem hoch motivierten Medizin-Doktoranden (ja, die gibt es) gingen wir dieser Frage nach und vor kurzem wurde nun eine weitere Publikation zur Veröffentlichung angenommen [1]: wir beschreiben darin, wie wir erstmalig RNA (mRNA und micro-RNA (miRNA)) aus dem Backspatter im Inneren von Schußwaffen untersuchten und stellen nun eine Möglichkeit vor, anhand der RNA-Zusammensetzung im Spurenmaterial Rückschlüsse auf die Eintrittstelle des Projektils (Kopfschuß oder kein Kopfschuß) zu ziehen. Der Clou ist, daß wir für diese Arbeit die Methoden zur Extraktion von DNA und RNA integriert haben und so nicht nur die RNA sondern auch die DNA aus der Spur isolieren konnten: es geht also keine Information verloren.
Die Studie bestand im Prinzip aus drei Schritten oder Phasen:
Phase I: Um einen Kopfschuß von einem Schuß an eine andere Stelle zu unterscheiden, stellten wir die Hypothese auf, daß bei einem Kopfschuß neben Blut auch Hirngewebe aus dem Einschußdefekt per Backspatter herausgeschleudert wird. Um diese Hypothese zu testen, mußten wir Blut von Mischungen aus Blut und Hirngewebe unterscheiden können. Dazu brauchten wir RNA-Kandidaten, die besonders viel in Hirngewebe vorhanden (= exprimiert) sind. Also nahmen wir uns diverse Datenbanken und die Literatur vor und suchten solange, bis wir drei vielversprechende Kandidaten, die mRNA „C1orf61“ und die beiden miRNAs miR-124a und miR-124*, gefunden hatten.
Wir fertigten dann Proben aus Blut (B), Hirngewebe (TL) und Mischungen aus Blut und Hirngewebe (M) an und untersuchten mittels quantitativer PCR (qPCR), wie stark oder schwach unsere RNA-Kandidaten in den unterschiedlichen Probenarten exprimiert waren.
Die Abbildung zeigt die Ergebnisse aus Phase 1. Man erkennt sehr schön, daß alle drei RNA-Kandidaten (X-Achse) ausgezeichnet zwischen dem Vorhandensein und Fehlen von Hirngewebe unterscheiden können. Diese Art der Darstellung nennt man Box-Plot und sie gestattet, eine Zusammenfassung mehrerer Meßwerte im Vergleich zwischen verschiedenen Gruppen. Die „Box“ zeigt dabei die Streuung der Werte an, der horizontale Strich in der Mitte ist der Mittelwert und die „Antennen“, die oben und unten aus der Box herauskommen, entsprechen in unserem Fall der dreifachen Standardabweichung (3SD). Wichtig ist nun, festzustellen, daß sich bei keinem der RNA Kandidaten die Bereiche Mittelwert ± 3SD zwischen Proben mit und ohne Hirn überlappen. Das bedeutet, daß die Wahrscheinlichkeit, einen gemessenen Cq-Wert falsch zu interpretieren, unter 1% liegt (angedeutet durch *). Wenn ich also für z.B. miR-124a in einer unbekannten Probe einen Cq-Wert von 22 messe und daraufhin auf das Vorhandensein von Hirngewebe in der Probe schließe, dann ist die Wahrscheinlichkeit, daß in dieser Probe in Wirklichkeit kein Hirngewebe vorhanden ist, kleiner als 1%. Wir waren also mit der Unterscheidungskraft unserer RNA-Kandidaten zufrieden und entschlossen uns, alle drei für die kommenden Schritte zu verwenden.
Phase II: Jetzt mußten wir überprüfen, ob sich überhaupt auswertbare RNA im durch Schüsse erzeugten und ins Innere der Waffe geschleuderten Backspatter befindet. Dazu konstruierten wir ein experimentelles, ballistisches Modell.
Die Abbildung zeigt unser Modell. Es besteht aus einer PET-Flasche, die mit ballistischer Gelatine einer bestimmten Konzentration gefüllt ist. Darauf geklebt ist ein Kunststoffbeutel, der entweder mit Blut oder einer Mischung aus Blut und Hirngewebe gefüllt wurde. Das ganze wurde dann, zur Simulation der Kopfschwarte, noch mit Silikonfolie in einer bestimmten Schichtdicke umwickelt.
Auf diese Konstruktionen, die wir jeweils möglichst gleichförmig herstellten, gaben wir dann Schüsse aus je zwei Waffentypen und mit je zwei Arten von Munition ab:
Nach jedem Schuß entnahmen wir Proben aus dem Inneren der Waffe und reinigten sie anschließend gründlichst. Aus dem entnommenen Probenmaterial wurden dann in einem integrierten Verfahren (sogenannte Ko-Exktraktion) RNA und DNA extrahiert. Die DNA verwendeten wir, um daraus forensische Standard-DNA-Profile zu erzeugen, die der Identifikation eines Menschen, hier des Opfers, dienen. Die RNA untersuchten wir auf das Vorhandensein unserer drei Kandidaten mit der gleichen Methode wie schon in Phase I (qPCR), um einen Nachweis von Hirngewebe zu führen.
Die Ergebnisse waren sehr ermutigend: zunächst erhielten für jede untersuchte Probe ein perfektes DNA-Profil. Das bestätigte unsere vorherigen Arbeiten [4,5] und wir wären also in der Lage gewesen, ein hypothetisches Opfer anhand dieser Spuren aus dem Waffeninneren zu identifizieren. Aber auch der RNA-Nachweis gelang. Wir konnten zwar zum Teil nur sehr wenig RNA aus den einzelnen Proben gewinnen, aber in allen Fällen, in denen wir ausreichend RNA hatten, gelang die korrekte Zuordnung der Probe (Hirngewebe vorhanden bzw. nicht vorhanden) anhand der Cq-Werte für die Kandidaten. Es zeigte sich allerdings, daß die mRNA dabei deutlich hinter den beiden miRNAs zurückstand, da sie in einigen Proben nicht nachweisbar war. Das läßt auf eine höhere Empfindlichkeit der mRNA gegen Degradation schließen und bestätigt damit die (auch meinem anderen Projekt zugrundeliegende) Annahme, daß die kürzeren und stabileren miRNAs grundsätzlich besser für forensische Analysen geeignet sind als mRNA.
Phase III: Nun war es an der Zeit, die Methode einem Realitätscheck zu unterziehen. Wir sammelten Proben aus dem Inneren von Waffen, die in insgesamt 8 Fällen von Suizid durch Kopfschuß (hiervon zeige ich keine Bilder) zum Einsatz gekommen waren und isolierten daraus und analysierten wieder RNA und DNA. Es muß hier erwähnt werden, daß die Waffen, bevor wir Proben daraus nehmen konnten, zwischen 44 und 259 (im Mittel 153) Tage gelagert worden waren und grundsätzlich gilt: je länger die Lagerung, desto schlechter für das Spurenmaterial.
In der Tat war die Ausbeute an DNA und RNA auch deutlich geringer als bei den experimentellen, frischen Proben und in drei Fällen konnte überhaupt keine meßbare RNA mehr gewonnen werden. Dennoch gelang es uns, in 5 von 8 Fällen für eine Opfer-Identifikation ausreichende DNA-Profile zu erstellen und in den 5 von 8 Fällen, in denen RNA vorhanden war, eine Aussage zum Vorhandensein von Hirngewebe in der Spur zu treffen (in nur einem Fall konnten wir Hirngewebe nachweisen). Alle acht Schüsse waren Schüsse zum Kopf gewesen, allerdings waren drei davon unter dem Kinn bzw. im Mund angesetzt worden, wo aus anatomischen Gründen keine Spritzer von Hirngewebe erwartet werden und auch nicht nachgewiesen werden konnten. Der positive Nachweis gelang bei einem Schuß in die Stirn, ein anderer Stirnschuß erbrachte hingegen keinen Nachweis von Hirngewebe.
An dieser Stelle wird die Einschränkung bei der Verwendung dieser Methode ersichtlich: ein Kopfschuß erzeugt nicht notwendig Backspatter, der auch tatsächlich Hirngewebe enthält. Die Methode weist aber nur Hirngewebe nach, sie kann also falsch-negative Ergebnisse erzeugen, wenn sie kein Hirngewebe nachweist, aber sich dennoch ein Kopfschuß ereignet hat. Das ist zwar nicht ideal aber aus forensischer Sicht akzeptabler als falsch-positive Ergebnisse, die möglicherweise einen Angeklagten zu Unrecht belasten würden.
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Wir haben also zunächst eine Pilotstudie vorgelegt, die 1. aufzeigt, daß Backspatter in Schußwaffen nicht nur DNA sondern auch analysierbare RNA enthalten kann, 2. die grundsätzliche Möglichkeit einer parallelen und integrativen Analyse von DNA und RNA aus Backspatter demonstriert und 3. als Anwendungsbeispiel die Differenzierung zwischen Kopfschuß und Nichtkopfschuß anhand des Nachweises hirnspezifisch exprimierter RNA bei gleichzeitiger Erzeugung zur Identifizieurng tauglicher DNA-Profile vorstellt.
Aber wie das in der Wissenschaft häufig der Fall ist, wirft jedes Ergebnis gleich mehrere neue Fragen auf. Das ist hier nicht anders und wir werden im Rahmen unseres in hohem Maße transdisziplinären Projekts, „Vom Schuß zur Spur“, welches rechtsmedizinische, wundballistische, klassisch ballistische, physikalische, genetische und molekularbiologischer Expertise erfordert, u.v.a. folgende Probleme untersuchen: Wundballistik des Kopfschusses [2] – wir wollen besser verstehen, welche physikalischen Wechselwirkungen zwischen Projektilen verschiedener Art und Geschwindigkeit und biologischem Gewebe, speziell der komplexen Struktur eines Kopfes, auftreten und wie diese Wechselwirkungen das durch einen Schuß entstehende Spurenmuster beeinflussen; Wundballistik des Gasdrucks [3] – wir wollen untersuchen, welchen Einfluss der bei einem Schuß aus einer Waffe freigesetzte Gasdruck auf Entstehung und Muster von Schußverletzungen hat; molekulare Ballistik – wir werden verschiedene molekularbiologische Eigenschaften biologischer Spuren, die durch Schüsse auf lebende Ziele entstehen, analysieren [4, 5]…
Für jetzt und heute wünschen wir uns aber erst einmal, daß es (uns) gelingt, unsere Methode soweit zu verbessern, daß sie validiert und praxistauglich gemacht werden kann. Und wenn man dann in Zukunft RNA- und DNA-basierte Analysen bei der Untersuchung von Schußwaffendelikten kombiniert, dann kann man eine am Tatort (oder anderswo) gefundene Schußwaffe zum Sprechen bringen und wenn man Glück hat, “erzählt” sie einem dann, wer mit ihr aus welcher Entfernung auf wen geschossen hat und wohin der Schuß getroffen hat.
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Referenzen
[1] C. Lux, C. Schyma, B. Madea, & C. Courts (2014). Identification of gunshots to the head by detection of RNA in backspatter primarily expressed in brain tissue Forensic Science International DOI: 10.1016/j.forsciint.2014.01.016
[2] C. Schyma, S. Greschus, H. Urbach, B. Madea, Combined radio-colour contrast in the examination of ballistic head models, Int. J Legal Med 126 (2012) 607-13.
[3] C. Schyma, Wounding capacity of muzzle-gas pressure, Int. J. Legal Med. 126 (2012) 371-6
[4] C. Courts, B. Madea, C. Schyma, Persistence of biological traces in gun barrels–an approach to an experimental model, Int. J Legal Med 126 (2012) 391-7.
[5] C. Schyma, B. Madea, C. Courts, Persistence of biological traces in gun barrels after fatal contact shots, Forensic Sci Int. Genet. 7 (2013) 22-7.
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