Warnung: in dieser Reihe stelle ich schräge, drastische, extreme oder auf andere Weise merkwürdige Studien und Fallberichte vor, die die Forensischen Wissenschaften in ihrer ganzen Breite und Vielseitigkeit portraitieren sollen, die aber in ihrer Thematik und/oder den beigefügten Abbildungen nicht für alle LeserInnen geeignet sind und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte/bebilderte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
Diesmal: eine Arbeit aus China über eine tödliche nicht-thrombotische Lungenembolie (NTLE) durch Polyacrylamid-Injektion bei einer illegalen Vaginalverjüngungsprozedur [1].
Eine Frau, 34 J, wird in ein Krankenhaus in Zibo, China, eingeliefert. Sie leidet schon seit Stunden an anfallartigen Bauchkrämpfen, wäßrigen Durchfällen, Erbrechen und klagt über Übelkeit und Tenesmus. Sie ist geschwächt und blaß und weist beim Abtasten eine lokale Weichheit unter dem Brustbein auf. Sie verschweigt zunächst, was sie am Vortag gemacht hat und so vermutet man einen Schock und Lebensmittelvergiftung und verabreicht ihr Ofloxacin und Metronidazol. Viereinhalb Stunden später bekommt sie einen Atemstillstand, weitere eineinhalb Stunden später stirbt sie an Herz-Lungenversagen.
Bei der Obduktion der äußerlich gesunden, wohlgenährten Frau am folgenden Tag fanden sich Blutgerinsel im Damm und in der Vagina. Die Lungen waren ödematös mit diffusen Petechien und an mehreren Stellen wurden Blutungsherde festgestellt. Ein Einschnitt in die rechte Scheidenwand brachte mehrere Hämatome und eine blutige, galertartige Substanz hervor. Es waren zudem Anzeichen für eine Entzüdungsreaktion zu erkennen. In den Gefäßen im Bindegewebe unter der Schleimhaut sowie der Muskelschicht der Vagina fand sich basophiles amorphes Material. Dasselbe Material wurde auch in den Lungengefäßen aber nicht in anderen Organen entdeckt. Proben des Materials aus Vagina und Lunge wurden HE-angefärbt und unter dem Mikroskop begutachtet.
Um das Material zu identifizieren, wurde ein FITR-Spektrometer eingesetzt und Infrarotspektren im Bereich 4000 – 900 cm-1 mit einer Auflösung von 8 cm-1 aufgenommen. So konnte das Material als Polyacrylamid-Gel (PAAG) identifiziert werden. Durch eine FITR-Kartierung konnte zudem die Lokalisation von PAAG in Scheidenwand und Lungengefäßen bestätigt werden
Aus den medizinischen Aufzeichnungen der Verstorbenen ging schließlich hervor, daß sie sich am Tag vor ihrem Tod einer chirurgischen Vaginalverjüngung unterzogen hat, wobei ihr PAAG in die Scheidenwand injiziert wurde. So erging als endgültiger Obduktionsbefund: Tod durch Lungenembolie nach Injektion von PAAG bei einer Behandlung zur Vaginalverjüngung.
Ästhetische bzw. plastische Genitalchirurgie bei Frauen ist eine relativ neue Erscheinung, die aber bereits zu einiger Beliebtheit gelangt ist. Sie wird meistens von Gynäkologen durchgeführt, z.B. zum Zweck der funktionalen oder ästhetischen Verbesserung der Genitalien nach Geburten oder bei Dammrissen und dessen Wiederherstellung aber auch zur Behandlung inter- und transsexueller PatientInnen. Diese Prozeduren sollen kosmetische Verbesserungen und/oder ein verbessertes Sexualempfinden für die Frau aber auch deren Sexualpartner bewirken und sie umfassen u.a. Vaginoplastien, vaginale Verjüngung/Verengug, Perineoplastien, Anpassung der inneren und äußeren Schamlippen sowie der Klitorishaut und G-Punkt-Verstärkung (ja, das gibt es wirklich). Fachgesellschaften warnen vor diesen Prozeduren und weisen auf fehlende Daten zu Sicherheit und Wirksamkeit hin [2], was aber potentielle Patientinnen/Kundinnen offenbar nicht davon abhält, sich dennoch behandeln zu lassen.
Die für den hier besprochenen Fall relevante Behandlung zur Vaginalverjüngung, also die Reduktion des Kalibers des Vaginalkanals zur Verengung der als zu lax empfundenen Vagina, ist seit den 1950er Jahren bekannt, dennoch existiert bis heute keine standardisierte Vorgehensweise. Die Injektion von Füllmaterial wie PAAG ist jedoch als bestenfalls experimentell anzusehen und keinesfalls eine zulässige Behandlung und der vorliegende ist der erste Bericht über eine tödliche nicht-thrombotische Lungenembolie (NTLE) durch PAAG nach ästhetisch-chirurgischer Vaginalverjüngung. Ein anderer Bericht von Park et al. beschreibt einen ähnlichen Verlauf nach Injektion von Hyaluronsäure [3].
Obwohl in China die Verwendung von PAAG für kosmetische Zwecke seit 2006 verboten ist, wird es immer noch in vielen Kliniken und ambulanten “Salons” eingesetzt. Grund dafür sei laut den Autoren vermutlich der geringe Preis des Materials. Es gibt zahlreiche Berichte über Embolien in der frühen post-operativen Phase nach Injektion von Füllmaterialien, die sogar zum Tod führen können. Es gebe mehrere Wege, wie eine solche Embolie nach Füllmaterialinjektion entstehen könne, so die Autoren. Als Injektionsstelle für PAAG sei 2004 das Unterhautfettgewebe, die Muskelschicht oder der Bereich über der Knochenhaut empfohlen worden. Um jedoch eine Verschiebung oder Abwanderung des Materials zu verhindern, sollte PAAG nicht in Muskelschichten mit aktiver Bewegung gegeben werden, wie z.B. die Muskelschicht um die Vagina, beim hier besprochenen Fall. Diese Schicht ist von einem dichten Venennetz umgeben und so kann das durch die Bewegung freigesetzte Material direkt in die Blutbahn gelangen. Das Zeitintervall zwischen Behandlung und Todeseintritt belegt, daß das PAAG hier wohl nicht direkt in das Gefäß gespritzt wurde, sondern erst später durch Betätigung der Beckenbodenmuskulatur ausgetrieben wurde und letztlich die tödliche Lungenembolie verursachte.
Referenzen:
[1] Duan, Y., Zhang, L., Li, S., Yang, Y., Xing, J., Li, W., Wang, X., & Zhou, Y. (2014). Polyacrylamide hydrogel pulmonary embolism—A fatal consequence of an illegal cosmetic vaginal tightening procedure: A case report Forensic Science International, 238 DOI: 10.1016/j.forsciint.2014.02.021
[2] Committee on Gynecologic Practice, American College of Obstetricians and Gynecologists. ACOG Committee Opinion No. 378: Vaginal “rejuvenation” and cosmetic vaginal procedures. Obstet Gynecol. 2007 Sep;110(3):737-8.
[3] H.J. Park, K.H. Jung, S.Y. Kim, J.H. Lee, J.Y. Jeong, J.H. Kim, Hyaluronic acid pulmonary embolism: a critical consequence of an illegal cosmetic vaginal procedure, Thorax 65 (2010) 360–361.
Kommentare (9)