Ein anderes Virus mit dem einprägsamen Namen „Iridovirus IIV-6/CrIV“ infiziert Grillen. Es befällt deren Fettkörper und übernimmt dessen Stoffwechsel, wodurch das Organ zu einer Virusfabrik wird. Der Fettkörper stellt für die Grille wichtige Proteine nicht länger her, wodurch unter anderem die Ei- und Spermienproduktion beeinträchtigt und das Wirtstier praktisch sterilisiert wird. Dennoch paaren sich infizierte Grillen sehr intensiv und deutlich häufiger als nicht infizierte Tiere: das Virus zwingt sie dazu, da die Paarung eine Gelegenheit zur Infektion neuer Wirte ist. Wie es das macht, ist noch nicht erforscht [5]. Interessant ist hierbei aber auch, daß infizierte Tiere durch die Ausschüttung von Entzündungsmediatoren und anderen Immunmolekülen normalerweise eher appetitlos und lethargisch sind. Das Iridovirus und vielleicht generell sexuell übertragbare Parasiten scheinen diese dämpfenden Effekte unterdrücken zu können.
Aber auch der Mensch kann Opfer neuroparasitärer Viren werden: das Rabiesvirus, ein Rhabdovirus, ist der Erreger der Tollwut, an der jedes Jahr über 50.000 Menschen sterben, die allermeisten davon in Entwicklungsländern. Die Tollwut ist unbehandelt so gut wie immer tödlich, doch bevor man daran stirbt, greift das Virus das Gehirn an und verändert in der Spätphase sogar das Verhalten und Empfinden. Erkrankte können den Anblick von Wasser nicht mehr ertragen, reagieren darauf mit Krämpfen in Rachen und Kehlkopf. Trinken und damit ein der Verbreiterung des Virus hinderliches Verdünnen des infektiösen Speichels wird so fast unmöglich. Außerdem erzeugt die Infektion eine extreme Reizbarkeit, so daß minimale Irritationen sofort Wutanfälle auslösen, die mit Um-sich-Schlagen, Beißen und Schreien einhergehen, wobei das im als Schaum vor dem Mund stehenden Speichel hochkonzentrierte Virus weiterverbreitet wird. Erinnert ziemlich stark an die andere, aggressive und alerte Form von “Zombies” aus Filmen wie „28 days later“, oder?
Der entscheidende Unterschied zwischen diesem Film, in dem auch ein Virus, das sich über infiziertes Blut verbreitet, der Auslöser der Verwandlung ist, und einer realen Tollwut-Pandemie ist also lediglich die ultrakurze Inkubationszeit im Film.
Der beängstigendste weil bereits bei ca. einem Drittel der Menschheit verbreitete und zugleich sehr subtil vorgehende Neuroparasit ist in meinen Augen jedoch kein Virus, sondern ein Einzeller, das Toxoplasma. Sein Endwirt ist eigentlich die Katze, als fakultative Zwischenwirte können jedoch die meisten Säugetiere fungieren. Um z.B. von einer Maus in eine Katze zu gelangen, schaltet der Parasit den Fluchtreflex, den Mäuse gegenüber Katzen normalerweise haben, ab, so daß die furchtlose Maus leicht von der Katze gefressen werden kann.
Daß ein Mensch mit Toxoplasma infiziert ist, merkt er meistens gar nicht, obwohl er sehr wahrscheinlich winzige Zysten im Gehirn hat. Nur in seltenen Fällen zeigen sich Symptome der Toxoplasmose, so wie Fieber, Lymphknotenschwellung, Müdigkeit, Kopfschmerzen etc., die aber so mild sind, daß eine Behandlung nur ganz selten erforderlich ist (nur Ungeborene im Körper von Schwangeren sind ernsthaft gefährdet). Viel erschreckender aber ist die subtile Wirkung, die Toxoplasma offenbar auf das Verhalten seiner menschlichen Wirte hat. Der Parasit versteckt sich in Immunzellen, um die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und gelangt so ins Hirn.
Die gekaperten Zellen werden zu Zombies, die von Toxoplasma mit Hilfe gezielter Proteinsignale durch die Barriere hindurchgeschleust werden. Möglicherweise indem er die Verbindungen zwischen Neuronen manipuliert, kann er verändern, wie wir auf erschreckende oder ängstigende Situationen reagieren, wie und ob wir Vertrauen in andere Menschen aufbauen, den Grad unserer Extrovertiertheit etc. Selbst Robert Sapolsky, renommierter Neurowissenschaftler in Stanford, bezeichnet, das, was Toxoplasma in den Tiefen des Hirns anrichtet, als „wilde, bizarre Neurobiologie“: der Parasit könnte so zu Autounfällen, Suiziden und der Entwicklung psychischer Störungen wie Schizophrenie beitragen [6]. Erste Studien zeigen, daß Mütter, die mit Toxoplasma infiziert sind, deutlich häufiger zu Suizid und Gewalt gegen sich selbst neigen [7] und daß Toxoplasma-Infektion mit einem deutlich erhöhten Risiko für Verkehrsunfälle [8] sowie erheblichen (bei Männern und Frauen verschiedenen) Persönlichkeitsveränderungen [9] korreliert. Angesichts dieser heftigen aber wenig bekannten Auswirkungen und der hohen Durchseuchungsrate der Bevölkerung ist der Biologe und Toxoplasma-Forscher J. Flegr inzwischen überzeugt davon, daß Toxoplasma auf diese heimliche Weise jedes Jahr „vielleicht sogar genauso viele Menschen umbringt, wie Malaria…“.
Kommentare (52)